Under the Silver Lake

David Robert Mitchell (»It Follows«) aktualisert den Film noir für Millennials

»Besser am Jupiter vorbeifliegen, als auf dem Mond landen«, hat der junge Diedrich Diederichsen einmal geschrieben. Ambition zählt mehr als Perfektion: Nach diesem Motto haben in der Filmgeschichte immer wieder junge Regisseure —
meist waren es Männer, denn welche Frau hätte die notwendigen Budgets bekommen? — nach ihrem ersten Erfolg gehandelt. Mit Selbstbewusstsein und Chuzpe haben sie nach den Sternen gegriffen — um auf der Schnauze zu landen. David Lynch etwa, der nach seinem ersten Kassen- und Kritikererfolg »Der Elefantenmensch« (1980) an dem SciFi-Epos »Dune« (1984) scheiterte, oder Richard Kelly, der nach »Donnie Darko« (2001) mit der Endzeit-Extravaganza »Southland Tales« (2006) crashte — und völlig von der Bildfläche verschwand.

 

David Robert Mitchell hat sich nun mit »Under the Silver Lake« ebenfalls zum Jupiter aufgemacht — und die Kritik ist sich nicht einig, ob er gelandet, havariert oder am Ziel vorbeigeschossen ist.

 

Mit dem Nachfolger seines Retro-Horrors »It Follows« (2014) verdoppelt er den Einsatz: »Under the Silver Lake« ist ein Neo-Noir, der Hitchcock, Polanski, Altman und Lynch die Ehre erweist und gleichzeitig mit ihnen in den Ring steigt. Ein Los-Angeles-Film, der ein Gesellschaftspanorama entwirft und dabei Vergangenheit wie Zukunft im Blick hat, Oberflächen und Verborgenes, Reales und Imaginäres. Ein zweieinhalbstündiges  Epos, das um eine einzige Figur kreist: um Sam, 33, ohne Job, ohne Ambitionen, aber mit Sportwagen — zumindest bis der gepfändet wird. Zu alt, um noch als Millennial durchzugehen, zu jung, um noch Slacker sein zu können. Sam sitzt in seinem Apartment und beobachtet die Nachbarn wie einst James Stewart in Hitchcocks »Rear Window«. Darsteller Andrew Garfield (»The Amazing Spider-Man«) erinnert allerdings eher an eine bekifft-verpeilte Variante von Anthony »Psycho« Perkins.

 

Sam beobachtet heimlich die alternde Hippie-Frau von gegenüber, die sich grundsätzlich oben ohne auf dem Balkon zeigt — doch dann entdeckt er am Pool eine geheimnisvolle Blonde mit einem riesgen Hut und um so kleinerem Schoßhund. Es dauert nicht lange, bis die neue Nachbarin den Voyeur bemerkt — und mit ihm anbandelt. Doch am nächsten Morgen ist sie spurlos verschwunden und hinterlässt einen perplexen Sam.

Ist sein Herz wirklich gebrochen, hat sich der Film-noir-Fan lediglich in die Idee einer Femme fatale verliebt oder braucht er einfach nur Ablenkung von seiner ziellosen Existenz? Sam wird jedenfalls zum Detektiv und versucht, Sarah zu finden. Das führt ihn zu exklusiven Partys auf Downtown-Dachterassen und in geheime Tunnel unter den Hollywood Hills. Er entdeckt geheime Botschaften auf Schallplatten und Cornflakes-Packungen sowie die Verschwörungen und Kulte der Superreichen. 

»Wir sehnen uns nach Geheimnissen, weil keine mehr übrig sind«, sagt ein Bekannter zu Sam, es ist der zentrale Satz im Film. »Under the Silver Lake« bedient diese Sehnsucht wie kaum ein anderer Hollywoodfilm in den vergangenen Jahren — und zugleich ist er sich der Vergeblichkeit und auch der Gefahr dieser Wiederverzauberung der Welt bewusst. Das macht den Film so melancholisch und so aktuell. Wie Polanskis »Chinatown« (1974) und Altmans »The Long Goodbye« (1973) die im Film noir sublimierte Nachkriegsverunsicherung auf die Paranoia der Watergate-Ära übertrugen, so aktualisiert Mitchell den Neo-Noir für die Fin-de-libéralisme-Generation. Dass der Film dabei ebenso wie sein Protagonist die Zügel schleifen lässt und abschweift, kann nur kritisieren, wer vom Kino fest an die Hand genommen werden will.

Vielleicht fliegt Mitchell mit »Under the Silver Lake« am Jupiter vorbei, aber zu landen wäre viel langweiliger gewesen.

 

 

Under the Silver Lake (dto), USA 2018, R: David Robert Mitchell, D: Andrew Gar-field, Riley Keough, Grace Van Patten, 139 Min. Start: 6.12.