Foto: Marcel Wurm

Das Geräusch der anderen

Keine Großstadt ohne Lärm. Das gilt auch für Köln, das seinen Lärmaktionsplan fortschreibt und »Lärmwagen« durch die Veedel schickt. Doch ausgerechnet die nachhaltige Stadtplanung verschärft das Problem

»Es ist absolut unmöglich, irgendwo in der Stadt zu schlafen. Der unaufhörliche Verkehr von Wagen in den Nachbarstraßen genügt, um Tote aufzuwecken, » schrieb der Satiriker Juvenal bereits 100 n. Chr. über die Weltstadt Rom. Klagen über urbanen Lärm gibt es, seit es Städte gibt. Größe, Dichte, Arbeitsteilung, Ökonomie und Mobilität, alles geht mit Geräusch einher. Nach einer Umfrage des Umweltbundesamtes von 2016 nennen die Bürger — nicht anders als im antiken Rom — Straßenverkehr (76 Prozent) und den geschätzten Nachbarn (59 Prozent) als wichtigste Lärmquellen. Danach folgen Flugverkehr und Schiene. Bereits 2002 hat die EU die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Lärmkarten und Lärmaktionspläne unter Beteiligung der Bürger zu erstellen. Köln schreibt gerade seinen Lärmaktionsplan fort. »Im Fokus steht der Straßenverkehrslärm«, sagt Konrad Peschen, Leiter des Umwelt- und Verbraucherschutzamtes. Die Lärmkarten werden anhand von Indikatoren wie Verkehrszählung, Straßenbelag oder Abstand der Gebäude berechnet. Messwagen sind keine unterwegs. »Wir messen nicht, wir berechnen Lärm«, so Peschen. Gleichzeitig wurden die Bürger zur Lärmbelastung befragt. Aktuelle Ergebnisse liegen noch nicht vor, doch nach Berechnungen von 2017 werden 311.190 Bürger über 24 Stunden mit mehr als 55 Dezibel belastet. Das sind immerhin knapp ein Drittel aller Kölner. Die geplanten Maßnahmen zur Lärmminderung reichen von Straßenbelagssanierung, Verkehrsfluss durch bessere Ampelschaltung bis zu Verkehrsberuhigung. So soll Mitte 2020 die Autobahnauffahrt an der Herkulesstraße mit »Flüsterasphalt« versehen werden.

 

 

Bundesweit, so hat die Deutsche Gesellschaft für Akustik (DEGA) festgestellt, sind die Belastungen durch Straßenverkehr und Schiene kaum gestiegen. Anders sieht es in der Luft aus. »Beim Fluglärm haben wir nach wie vor starke Wachstumsraten«, sagt Michael Jäcker-Cüppers vom Arbeitsring Lärm der DEGA. Zwar seien die Flugzeuge leiser geworden, doch die Anzahl der Flüge nehme zu, und die Routen änderten sich. So meldete der Flughafen Köln-Bonn für Januar bis August 2018 vier Prozent mehr Fracht und fünf Prozent mehr Passagiere als im Vorjahr. Vor allem die nächtlichen Passagierflüge stiegen von 10 069 auf 11 810. Der Flughafen begründete den Anstieg mit außergewöhnlichen Flugverspätungen. Claudia Wieja (Grüne), Vorsitzende der Fluglärmkommission ist nicht überzeugt: »Wir zweifeln das an, weil es sich dabei nicht nur um Landungen, sondern auch um Starts handelte«. Sie bemängelt außerdem, dass die Entgelte für nächtliche Starts nicht so erhöht worden sind, dass sie für Fluggesellschaften unattraktiver würden. Schließlich muss sich der Flughafen für sein 600 Mio. teures Ausbauprogramm erstmals einem Planfeststellungsverfahren unterziehen. Dabei geht es um Neu- und Ausbau von Parkhäusern, Frachthallen, Verwaltungsbauten, aber auch eines Hotels. »Wenn ein Flughafenhotel gebaut wird, führt das zu mehr Flügen«, so Wieja. Angesichts der wirtschaftsfreundlichen schwarzgelben Landesregierung rät sie zu Wachsamkeit. Der Flughafen könnte handstreichartig die Verlängerung der derzeit bis 2030 geltenden Nachtflugerlaubnis bis 2050 beantragen.

 

 

Der Mensch ist nicht laut, sondern nur der Mitmensch. »Lärm ist das Geräusch der anderen«, meinte schon Kurt Tucholsky. Freizeit- und Nachbarschaftslärm zählt nicht umsonst zur zweitwichtigsten Lärmquelle in der Studie des Umweltbundesamtes. Michael Jäcker-Cüppers vom Arbeitsring Lärm der DEGA sieht neben dem ansteigenden Fluglärm auch einen Anstieg bei den Events in den Städten, die dadurch ihre Attraktivität zu erhöhen versuchen —
und auf gesetzliche Änderungen drängen. Auf Wunsch der Kommunen hat der ehemalige grüne Umweltminister Johannes Remmel 2016 im NRW-Freizeitlärmerlass die Zahl der »seltenen Veranstaltungen«, bei denen es lauter werden darf, von zehn auf 18 erhöht. Auch bei der Außen-gastronomie wurde schon vor Jahren der Nachtschutz mit Sondergenehmigungen bis 24 Uhr aufgeweicht.  »Die Eventdichte hat zugenommen«, sagt auch Petra Metzger, die in der Innenstadt wohnt. Festivals, Karneval, Straßenfeste, Außengastronomie, Tourismus, Airbnb-Vermietungen — die Liste der Lärmquellen sei lang. Selbst das gut gemeinte Rauchverbot, so Metzger, habe aus einer Geruchs- eine Lärmbelästigung gemacht. Beispielhaft für die daraus entstehenden Konflikte steht der Brüsseler Platz. Im Mai gab das Verwaltungsgericht Köln den Anwohnern recht, die von der Stadt die Einhaltung der Nachtruhe ab 22 Uhr fordern. Seit 2007 schicken Polizei und Ordnungsamt am Wochenende zwischen 22 und 6 Uhr gemeinsame Funkstreifen, so genannte »Lärmwagen«, durch die Stadt, eine mobile Eingreiftruppe in Sachen Lärm, die Streit schlichten und Vergehen ahnden soll.

 

 

Verschärft wird das urbane Lärmproblem ausgerechnet durch das Leitbild der nachhaltigen Stadt mit kurzen Wegen, hoher Verdichtung und Mischnutzung. So wurde 2017 in die Baunutzungsverordnung das »Urbane Gebiet« als neue Kategorie aufgenommen, die nicht nur eine variable Mischung der Nutzung durch höhere Dichte, sondern tagsüber eine Lärmbelastung von 63 dBA zulässt. Damit wurde der bisherige Grenzwert verdoppelt. Eine Grenzverschiebung, die allerdings alle Großstädte mit entsprechender Begründung schon seit längerem vornehmen, erläutert Anne Luise Müller, Leiterin des Kölner Stadtplanungsamtes. Der Grund: »Die verfügbaren Flächen reichen nicht, um alle Nutzungen unterzubringen«. Man müsse ständig abwägen, so Müller. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt rückt immer häufiger Grundstücke in den Blick, die lange als unbebaubar galten. Der Prozess habe schon vor mehr als zehn Jahren begonnen, sagt Müller, und erwähnt die Wohnbebauung am Eifelplatz mit gläsernen Schutzwänden zur Bahnlinie. Oder die geplante Bebauung des Güterbahnhofs Ehrenfeld und des Deutzer Hafens, die hochkomplexe Schallschutzmaßnahmen erfordern. Maßnahmen, die allerdings durch die zu erzielenden Renditen im Wohnungsmarkt finanzierbar geworden sind. 

 

 

Die nachhaltige Stadt der kurzen Wege favorisiert schließlich auch die Rückkehr der Produktion in die Veedel. Mit der Deindustrialisierung, dem Leitbild der Dienstleistungsgesellschaft sowie dem 1974 erlassenen Bundesimmissionsschutzgesetz wurden die Reste industrieller
Produktion und Handwerk aus den Stadtvierteln verdrängt. Die Schreinerei Manufact zum Beispiel war lange im Jungbornweg in Höhenhaus zuhause. »Wir hatten Bestandsschutz«, sagt Geschäftsführer Christoph Antz. Lärmklagen der Anwohner vertrieben den preisgekrönten Handwerksbetrieb allerdings in ein Industriegebiet in Dellbrück. Inzwischen hat jedoch ein Umdenken eingesetzt. »Man hat sich zu sehr auf Dienstleistung in der Stadt konzentriert«, sagt Stefan Gärtner vom Institut Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen. Er hat 2017 das Gutachten «Produktion zurück in die Stadt? Neue Arbeitsorte in der gemischten Stadt« für das NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung erstellt. Die Rückkehr der materiellen Produktion, so das Fazit, würde den Verkehr verringern, für Nutzungsvielfalt sorgen und Energiekopplung ermöglichen. Das Lärmproblem ließe sich technisch lösen, so Gärtner. Nichtsdestotrotz dürfte Lärm in einer wachsenden Stadt wie Köln dauerhaft ein Problem bleiben. Tote wird er nicht aufwecken, aber für Schlaflosigkeit ist auch 2000 Jahre nach Juvenal gesorgt.