The Favourite

Yorgos Lanthimos (»The Lobster«) zeigt mit viel Spaß Macht und Privilegien den Stinkefinger

Der nicht ganz so diskrete Charme des Adels: »Wollen Sie mich verführen oder vergewaltigen?«, fragt die Zofe den Edelmann, der eines Nachts stürmisch in ihre Kammer eindringt. »Ich bin ein Gentleman!«, empört der sich. »Vergewaltigen also«, kontert die junge Frau trocken, als habe sie die Erfahrung schon unzählige Male gemacht.

 

Yorgos Lanthimos’ sechster Spielfilm ist voll mit solch sarkastischem Humor, mit scharfen Sottisen und intelligenten Riposten. Der 45-jährige Grieche, der es wundersamerweise geschafft hat, für ebenso düstere wie surreale Allegorien wie »The Lobster« (2015) und »The Killing of a Sacred Deer« (2017) Geld und Starpower aus Hollywood hinter sich zu bringen, hat mit »The Favourite« seinen bislang komischsten — und zugänglichsten — Film gedreht. Das liegt wohl vor allem daran, dass diesmal das Drehbuch nicht zusammen mit seinem langjährigen Schreibpartner Efthymis Filippou entstanden ist, sondern von der noch recht unbekannten Deborah Davis und dem TV-Serien-erfahrenem Tony McNamara stammt. Es geht um Ränkespiele in den Hallen der Macht — in diesem Fall am Hof von Königin Anne im England des frühen 18. Jahrhunderts.

 

Die erste Monarchin des frisch  gegründeten Königreichs Großbritannien ist eine Adelige von trauriger Gestalt: Von vielen chronischen Krankheiten geplagt, kinderlos trotz 17 Schwangerschaften hält sie eine ebenso große Anzahl Kaninchen als Trostbringer. Für das politische Tagesgeschäft interessiert Anne sich wenig, das macht es ihrer besten Freundin und Einflüstererin Lady Sarah, Herzogin von Marlborough, leicht, im Hintergrund die Strippen der Macht zu ziehen. Als die geschickte Macchiavelistin eines Tages ihre unverschuldet in Ungnade gefallene Cousine Abigail aufnimmt, ahnt sie nicht, dass sie damit einer ihr ebenbürtigen Intrigantin ein Entrée am Hof gibt. Und die hübsche junge Frau weiß die Chance für ihren Aufstieg zu nutzen.

 

Ungewöhnlich an dieser Ausgangssituation ist vor allem, dass es um drei Frauen im Zentrum der Macht geht. Ungewöhnlich ist für Lanthimos, dass er seine drei Hauptdarstellerinnen recht nah an den Konventionen des Hollywoodfilms agieren lässt. Musste Colin Farrell in »The Lobster« und in »The Killing of a Sacred Deer« noch seine Dialoge möglichst affektfrei aufsagen, haben Emma Stone, Rachel Weisz und vor allem die großartige Olivia Coleman die Gelegenheit zwischen kalter Berechnung und tiefer Verzweiflung alles zu geben — was alle drei mit ansteckender Freude besonders an den Boshaftigkeiten ihrer Figuren auch tun. 

 

Die exzentrischen Seiten der Figuren und des Lebens am Hofe — Hummerrennen, frivole Spiele und exaltierte Tänze — betont Lanthimos mit ebenso ungewöhnlichen Kameraperspektiven und zum Teil extremen Weitwinkelverzerrungen. Die analogen Bilder von Kameramann Robby Ryan kommen dabei in einigen Szenen nur mit dem Kerzenlicht am Hofe aus. Nicht nur das erinnert an Stanley Kubricks ebenfalls im 18. Jahrhundert spielende Aufsteigersaga »Barry Lyndon« (1975). Kubrick wie Lanthimos vereint der spöttische Blick auf eine Welt voller Bigotterie und Dekadenz — und ein bisweilen recht gnadenloser Blick auf die Schwächen der Menschen. Doch wo Kubrick die feine Ironie bevorzugt, zieht es Lanthimos’ Naturell eher in Richtung der deftigeren surrealen Gesellschaftssatiren des späten Luis Buñuel. Gezielt eingestreute Anachronismen — besonders in einer wunderbar komischen Street-Style-Tanzsequenz — weisen dabei immer wieder in Richtung Gegenwart. Dennoch ist dieser filmische Stinkefinger Richtung Macht und Privilegien recht zeitlos, eine spezifische Dringlichkeit mag man in unserem neuen Gilded Age erkennen, muss man aber nicht. Klar ist auf jeden Fall: Das junge Kinojahr hat mit »The Favourite« einen ersten Höhepunkt.

 

 

The Favourite (dto) IR/UK/USA 2018, R: Yorgos Lanthimos, D: Emma Stone, Rachel Weisz, Olivia Coleman