»Ein Steuerskandal ohnegleichen«

Kölns freie Szene bringt ein erfolgreiches Theaterjahr hinter sich, und das Schauspiel wandelt sich immer mehr zur bürgerlichen Trutzburg. Ein Rückblick auf 2018

Gerade eben wurden sie zum 24. Mal verliehen: die Tanz- und Theaterpreise der freien Kölner Szene, auf einer Gala mit Oscar-Anklängen — auch wenn sie nur für Getränke-Selbstzahler und ohne Büffet stattfand. Dafür sind aber die Preisgelder durchaus sehenswert: 31.500 Euro Preisgeld sind für die in Köln chronisch unterfinanzierten Player der freien Szene lebenserhaltend.

 

Dem Regisseur Kieran Joel, der mit Cervantes‘ »Don Quijote« (Bauturm Theater) das Rennen um den Kölner Theaterpreis machte, bedeuten die 10.000 Euro — so hoch ist der Hauptpreis dotiert — allerdings eine Welt. In dem kleinen und schwer zu bespielenden Bauturm hat der Nachwuchsregisseur eine aberwitzige und abenteuerliche Fantasiereise mit nichts als zwei Schauspielern und einem Bücherhaufen auf dem Boden gezaubert. Ein eindrückliches Plädoyer dafür, dass die besten Bilder im Kopf entstehen, wenn sie nur richtig stimuliert werden — es also nur wenige Mittel braucht, wenn Spielfreude, Selbstironie und Liebe zur Vorlage aufeinandertreffen. Ausdrücklich erwähnte Jury-Mitglied Winfried Gellner in der Laudatio, dass »diese Inszenierung stärker dem Geist von Cervantes« entspreche als das »opulente Schauspiel im Depot«, wo Simon Solbergs Inszenierung des gleichen Stoffes eher eine alberne Ansammlung von Regie-Gags war, die Kritik schrieb von »Schnappatmungstheater« zwischen Nebelwerfer, Videoleinwand und Konfettikanone.

 

Das Gegenteil davon war auch der andere Theaterhöhepunkt aus Kölns reicher freien Szene, die aus rund 70 Gruppen und kleinen -Theaterhäusern besteht und jährlich weit über 200 Premieren hervorbringt: »Shit Island« von Futur3, am Galaabend mit dem Kurt-Hacken-berg-Preis für politisches Theater (2500 Euro) ausgezeichnet, macht sich das Bilderverbot zum Prinzip: eine eindringliche Abrechnung mit Südseeklischees, Kolonialismus und der Ausbeutung in der Globalisierung — ein ganz großer Wurf.

 

Macht die Kölner Freie Szene, die sich jahrelang nicht gerade auf dem neuesten Stand des Theaterdiskurses befand, nun ernsthaft den Städtischen Bühnen Konkurrenz, die um ein Vielfaches gefördert werden? Mit dem Interims-Geld hat Intendant Stefan Bachmann das alte Carlswerk in Mülheim immer mehr zu einer wahrhaft bürgerlichen Trutzburg ausgebaut, mit Drehbühne, roten Samtvorhängen, Sessel-Kopfstützen — vom engagierten Urbanisierungsprojekt und der engen Zusammenarbeit mit der Keupstraße in der Nachbarschaft ist mittlerweile weniger zu hören. 

 

Wohl auch, weil der ehemalige Chefdramaturg Thomas Laue das Haus verlassen hat. Auch Bachmann verlässt Ende der Spielzeit 2020/21 das Kölner Schauspiel, und seine Bilanz muss auch in dieser Saison als eher gemischt angesehen werden. Dabei sollte mit der neuen Chefdramaturgin Beate Heine doch alles noch einmal richtig aufgemischt werden: ein neues Erscheinungsbild — die gewaltig knallenden Neon-Buchstaben wirken ziemlich marktschreierisch — und diverse Großregisseure wurden eingekauft. Der Knaller unter ihnen: Frank Castorf, der Köln mit »Ein grüner Junge«, der letzten seiner Dostojewski-Romandramatisierungen, allerdings einen großen Abend beschert hat. Zumindest, was die ersten drei Stunden betrifft, zaubert der Großmeister aus dem Ensemble eine nie gesehene fiebrige Energie und glamouröse Lässigkeit, auch wenn das permanent entäußerte Castorf-Brüllen den Kölnern ziemlich auf die Stimme schlägt. Grandios erzählt Castorf von einer ka-pitalistischen Gesellschaft, die verfällt. Die letzten drei Stunden der Ins-zenierung kann man sich allerdings sparen.

 

Dennoch wirkt der Castorf-Einkauf, entstanden durch Beate Heines Kontakte, irgendwie aufgesetzt, ein Export aus der großen weiten Theaterwelt, die mit Köln kaum etwas zu tun hat. Auch die anderen Premieren der neuen Saison, die offenbar vieles herausreißen sollten, sind zwar solide und sauber, aber etwas, das rundum begeistert, ist nicht dabei. Auch wenn »Tyll«, Kehlmanns grandioser Schelmen-roman, intensiv und groß gedacht ist und als Projekt besticht, im Gedächtnis bleiben vom Theaterjahr 2018 doch leider eher die Skandale — allen voran die »Mobbing-Vorwürfe« gegen Melanie Kretschmann, Regisseurin und Frau von Stefan Bachmann. Publiziert wurden sie vom Spiegel. Tage-, ja wochenlang stürzte sich die nationale Presse auf den Vorfall. Kretschmann und Bachmann versuchten dagegen mit juristischen Mitteln vorzugehen: Das Streit mit dem Spiegel dauert wohl an; der Stadt-revue wollte Kretschmann sogar verbieten, über die Existenz von Mobbingvorwürfen zu berichten. Dem wurde allerdings nicht nachgeben, und Frau Kretschmann hat auch bis heute keine weitergehenden gerichtlichen Schritte gegen die Stadtrevue eingeleitet.

 

Schmutzige Wäsche hin oder realtoxische Arbeitsweise am Schauspiel her, der wahre Theaterskandal im Jahr 2018 liegt in Köln ohnehin woanders, es bleibt verwunderlich, dass dazu nicht stärker protestiert und berichtet wird: Es ist die uferlose Sanierungsbaustelle am Offenbachplatz, ein Steuerskandal ohnegleichen. -Kostenprognose bei Redaktionsschluss: 548 Millionen Euro. Eröffnung: vielleicht 2022.

 

Dann ist Stefan Bachmann bereits gegangen, und die freie Szene hat hoffentlich weitere zauberhafte Formate entwickelt, die beweisen, dass gutes Theater auch auf kleinem Raum stattfinden kann.