Foto: Marcel Wurm

Die große Abrissparty

Kerpen-Manheim soll 2022 dem Braunkohletagebau weichen. Seit Aktivisten dort vier leer stehende Häuser besetzten, hat RWE es mit dem Abriss des Dorfs noch eiliger. Dabei ist völlig offen, ob der Tagebau überhaupt noch bis Manheim kommt

Neulich war Uwe Büsseler kurz einkaufen. Als er zurückkam, war die sechs Meter hohe Tannenhecke hinter dem Haus verschwunden. Seine Frau Silvia steht im Garten und zeigt auf die Baumstümpfe. Überall in Manheim werden jetzt Bäume gefällt, Sträucher und Hecken aus den Gärten gerissen. »Mein erster Gedanke war: Jetzt wollen die uns echt rausekeln«, sagt sie. 

 

Manheim, ein Ortsteil von Kerpen mit ehemals 1.700 Einwohnern, muss dem Braunkohletagebau weichen. Die meisten sind schon nach »Manheim-neu« westlich von Kerpen umgezogen. Aber einige Dutzend Menschen leben noch im alten Ort und sehen nun, wie ihr Dorf im Eiltempo abgerissen wird. Selbst an Samstagen hört man die Bagger, beinahe täglich fällt wieder ein Haus. Überall liegt Schutt, die Luft riecht nach Baustaub. »Morgens um halb sechs fahren hier die LKW ein«, erzählt Uwe Büsseler. 

 

Eigentlich soll Manheim erst 2022 eingeebnet werden. Doch im November hat sich die Zahl der Abrisskolonnen verdreifacht. Zehn Bagger hat RWE nun im Einsatz. Darum hat der Bürgerbeirat das Unternehmen gebeten, damit »die leer stehenden Häuser nicht wieder besetzt werden können«, heißt es in einer Niederschrift aus dem Bürgerbeirat, dem Gremium, das die Interessen der Manheimer während der Umsiedlung vertritt. 

 

Nachdem Umweltaktivisten vier Häuser in Manheim besetzt hatten, um gegen den Braunkohletagebau zu protestieren, berief der Bürgerbeirat am 18. Oktober eine Sondersitzung ein. Auch Silvia Büsseler kam in das Bürgerhaus von Manheim-neu. Sie sah, wie Polizisten mit Hunden die Veranstaltung schützten. Und dann sah sie die etwa 200 Teilnehmer, von denen sie viele nie zuvor gesehen hatte. »Aus dem alten Ort war kaum jemand da, aus dem neuen habe ich einige erkannt. Wo all die anderen herkamen, weiß ich nicht«, sagt Silvia Büsseler. Die Stimmung sei aufgeheizt gewesen, viele hätten über die Aktivisten geschimpft, die vermummt durch die Straßen gelaufen seien. Der Vorsitzende des Bürgerbeirats habe dann vorgeschlagen, beim Abriss auf die Tube zu drücken.

 

 Daraufhin präsentierte ein RWE-Vertreter in einer weiteren Sitzung am 15. November die neuen Abrisspläne. Danach bleibt von Manheim bis Ende 2019 nicht mehr viel übrig. Bei einem Beiratsmitglied sei das nicht auf Begeisterung gestoßen. »Er sagte, als Frist sei doch 2022 genannt worden. Er hatte Angst, dass hier bald Zustände herrschen wie in Etzweiler«, sagt Silvia Büsseler. Der Ortsteil von Elsdorf, der 2006 im Tagebau verschwand, diente den Manheimern stets als Warnung. »In Etzweiler mussten die Menschen jahrelang in Ruinen leben.« Doch über diesen Einwand sei man barsch hinweggegangen. »Besser weg als besetzt«, sei das Motto gewesen.

 

Für die vier besetzen Häuser bekam RWE quasi über Nacht die Abrissgenehmigung. Auch Schule und Schwimmbad sind schon weg. »Aufgrund der höheren Taktung zum Abriss verzögert sich der Schuttabtransport«, heißt es in der Niederschrift der Bürgerbeiratssitzung. Im Oktober fiel das Haus Bochheim, ein fast 900 Jahre alter Hof. Kurz zuvor hatte RWE bereits die Immerather Mühle bei Erkelenz abreißen lassen. Sie stammte aus dem 17. Jahrhundert. 

 

Der Eifer von RWE scheint nach der Räumung des Hambacher Forsts und den wachsenden Protesten gegen die Braunkohle wie entfesselt. Am 5. Oktober untersagte das Oberverwaltungsgericht Münster RWE, den Forst zu roden – bis über eine Klage des Umweltschutzverbands BUND entschieden ist. Der Forst aber liegt zwischen Tagebau und Manheim. Bleibt der Wald stehen, kommt RWE an Manheim nicht heran. Dasselbe gilt für Morschenich, ein weiter westlich gelegenes Dorf, das seit 2015 umgesiedelt wird.

 

Michael Kreuzberg ist Landrat des Rhein-Erft-Kreises und Mitglied der Kohlekommission, die der Bundesregierung Ende Januar Empfehlungen für den Kohleausstieg vorlegen soll. Kreuzberg erregte Aufsehen in der Region, als er der Kölnischen Rundschau sagte, die Chancen für den Erhalt des Hambacher Forsts seien gestiegen. Der CDU-Politiker war in der Vergangenheit nicht als Braunkohlegegner aufgefallen,aber nun  beschimpfte man ihn in Leserbriefen. Der Stadtrevue gegenüber bekräftigt Kreuzberg seine Einschätzung: Nach seiner Wahrnehmung werde »die Kommission Laufzeitverkürzungen empfehlen, welche dann zwangsläufig Folgen für den räumlichen Zuschnitt der Tagebaue haben werden« — in Hambach wie auch in Garzweiler. »Falls die Flächen der Städte nicht betrieblich genutzt werden sollten, muss in Absprache mit den verbliebenen Bewohnern beraten werden, welche Zukunft die Orte haben«, sagt Landrat Kreuzberg. 

 

Gerade bei Garzweiler, wo in den nächsten Jahren noch fünf Dörfer umgesiedelt werden, spüren nun viele Aufwind. David Dresen lebt in Kuckum, einem Ortsteil von Erkelenz. Dort hat die Umsiedlung gerade erst begonnen, 2027 soll Kuckum verschwinden. Dresens Eltern haben einen 150 Jahre alten Bauernhof, Obstbäume, Pferde. Dresen will all das und  ganz Kuckum retten. Mit Bergbaubetroffenen aus dem Rheinischen Revier, aber auch der Lausitz und dem Leipziger Land hat er die Initiative »Alle Dörfer bleiben!« gegründet. »Mit Neurath und Frimmersdorf versorgt der Tagebau Garzweiler die ältesten, dreckigsten und ineffizientesten Kraftwerke Deutschlands — also die, die eigentlich als erstes abgeschaltet werden müssten«, sagt Dresen. Er rät allen Umsiedlern, beim Verkauf an RWE Klauseln in den Vertrag schreiben zu lassen, damit sie ihr Haus zurückkaufen können, falls es stehen bleibt.

 

Wenn also eine reelle Chance besteht, dass die Tagebaue die Dörfer gar nicht mehr erreichen — hat man Manheim und Morschenich dann nicht zu früh aufgegeben? Nein, sagt CDU-Landrat Michael Kreuzberg. »Die aktuellen Genehmigungen gelten schon lange und auch weiterhin.« Der lange Vorlauf bei Umsiedlungen habe sich bewährt. Wer bereits umgesiedelt ist, sei von RWE entschädigt worden und habe sich freiwillig für den Umzug entschieden. Kreuzberg verteidigt auch den Schnellabriss von Manheim. Die verbliebenen Bewohner fühlten sich so sicherer. 

 

»Ich weiß nicht, warum ich mich durch Schuttberge sicherer fühlen sollte«, sagt Silvia Büsseler. Beim Spaziergang mit ihrem Mann trifft sie den Bauern, dessen Hof  am Marktplatz liegt, mitten im Ort. Er steht am Hoftor und spricht mit jedem, der an diesem Samstagnachmittag vorbeikommt. Der Bauer hat nicht vor, an RWE zu verkaufen. In den umgesiedelten Orten, die aussehen wie aus dem Eigenheimkatalog, ist für Bauernhöfe kein Platz. Viele seien ja schon früh aus Manheim umgesiedelt. »Aber ich bleibe hier, solange es geht.« Dann erzählt der Bauer noch, dass er neulich zum ersten Mal in seinem Leben auf einer Demonstration war. Es war die große Anti-Kohle-Demo am 6. Oktober. 

 

Die Büsselers verabschieden sich, sie ziehen im Sommer nach Manheim-neu. Sie wohnen dann wieder mit vielen Menschen aus der alten Dorfgemeinschaft zusammen. Aber so wie früher wird es nicht werden, und das liegt nicht nur an den neuen Häusern. Die Büsselers wollten sich aus dem Streit um um die Umsiedlung heraushalten. Aber dann kamen die Sitzungen des Bürgerbeirats. Dann war die Tannenhecke weg. »Ich verstehe nicht, wie man den Abriss des eigenen Dorfes noch forcieren kann«, sagt Silvia Büsseler. »Aber klar, die Leute haben sich abgefunden — und dann stellt sich heraus, dass das alles vielleicht gar nicht nötig war. Das muss schlimm sein für die Leute.«