»Vice«

Adam McKay (»The Big Short«) zeigt den ehemaligen US-Vizepräsidenten

Dick Cheney als teuflisches Politgenie

 

Kaum jemand erinnert sich noch an Oliver Stones Bush-Jr.-Biopic »W.« aus dem Jahre 2008, mit dem das angeschlagene Enfant terrible vergeblich versuchte, an seine Polit-Epen »J.F.K.« und »Nixon« aus den 90er Jahren anzuknüpfen. Während Josh Brolin sich in »W.« redlich müht, dem Tölpel George W. Bush naive Würde zu verleihen, ist stets klar, dass der eigentliche Star der Geschichte der diabolisch am Bildrand lauernde Richard Dreyfuss ist — in der Rolle des Vizepräsidenten Dick Cheney. 

 

Um diesen Schuft hätte es gehen sollen: das teuflische Politgenie C., das über seinem ratlosen Chef thront, mit Pokerface eine beispiellose Verquickung von (Öl-)Wirtschaft und Weltpolitik forciert und einen außenpolitischen Amoklauf antreibt, dessen desaströse Tragweite auch heute nicht absehbar ist. 

 

»Vice«, der lang geplante Film über den Polit-Leviathan von der drögen Gestalt, war ein Wunschprojekt des Komödienspezialisten Adam McKay (»Anchorman«, »Stiefbrüder«). Schon mit der Bankenkrisen-Satire »The Big Short« (2015) hat er gezeigt, dass rabenschwarzer Humor ein Weg ist, sich den Abgründen und Folgen schurkischer Gier zu nähern, ohne an ihr zu verzweifeln. Für Cheney braucht es davon viel. Schließlich lässt dessen Karriere sechs Staffeln »House of Cards« wie eine Folge »Borgen« aussehen.

 

Für die Rolle des Polit-Paten konnte Method-Acting-Berserker Christian Bale gewonnen werden, der sich nicht nur eine Schreibtischtäter-Wampe zugelegt hat, sondern auch unter dicken Make-Up-Schichten begraben wurde. Damit wäre jede Zutat für eine fade Gimmick-Performance gegeben, doch hier blickt der Zuschauer lediglich in einen hypnotischen Abgrund aus Speck- und Maskenfalten. Die zynische Arroganz der Macht, die sich Cheney als junger Aufsteiger von seinem Mentor und Buddy Donald Rumsfeld (Steve Carell — nahe an der Groteske und noch näher an der Realität) abschaut und die er immer weiter steigern wird, entzieht sich jeder moralischen Messbarkeit. Angetrieben von seiner Herzdame Lynn (Amy Adams im Lady-Macbeth-Modus) wird Cheney zu einem willfährigen Trabanten der Macht, der über Jahrzehnte durch Washington spukt. Er grübelt, wie sich Macht bis zur Tyrannei ausbauen und Demokratie aushöhlen lässt, während er auf den richtigen Narren wartet, durch den er regieren kann. Als ein leicht tumber Präsidentensohn in Cowboystiefeln (in delikater Arglosigkeit badend: Sam Rockwell) auf die politische Bühne torkelt und ihn zu seinem Vize macht, wittert Dick Morgenluft. 

 

Um die bürokratischen Taschenspielertricks und die undurchschaubare Litanei des Politsprechs transparent zu machen, greift McKay mehr noch als in »The Big Short« auf alle möglichen Mittel der Verfremdung zurück: Er durchbricht die vierte Wand, führt scheinbar unbeteiligte Erzähler ein, benutzt Infografiken und lässt Cheney an einer Stelle in Shakespeare’scher Zunge über den Lockruf der Macht sinnieren. 

 

Gut geht es Cheney auf dem Höhepunkt seiner Macht allerdings nicht. Nicht, dass ihn ein Gewissen plagen würde. Vielmehr ist es das Herz des Vizes, welches das sinistere Treiben seines Besitzers einfach nicht verantworten will. Ständig verweigert es den Dienst. Zu sehen, wie Bale die Kapitulationen des Körpers vor der Bösartigkeit der Seele mit pragmatischer Routine darstellt, ist eines der leisen Schauspiel-Highlights von »Vice«, für das es weder Hüftgold noch Maskenberge brauchte.

 

Vielleicht wird das Sinnbild der kranken Pumpe ein wenig zu oft bedient und mit ein wenig zu viel morbidem Pathos beladen. Doch in Momenten wie diesen gleicht »Vice« doch den zur drastischen Metapher greifenden Königsdramen, wie sie Stone in seinen besten Momenten zu entfachen verstand.

 

 

 

(dto) USA 2018 R: Adam McKay, D: Christian Bale, Steve Carell, Amy Adams, Sam Rockwell, Tyler Perry, 136 Min. Start: 21.2.