»Wir kalkulieren auf die Null«

Die Türen, geheimes Zentrum des Staatsakt-Labels, melden sich mit neuem Album zurück

Prenzlauer Berg steht auch außerhalb Berlins für einen 2000er Chic, für »Casting«-Allee, Bugaboo-Kinderwagen und Holzspielzeug. Für alles, was man in Zeiten der Abwanderung aller Kreativen und Intelligenten schon immer verachtet hat. 

 

Wenn man ins Hauptquartier von Staatsakt möchte, sieht man derweil eine andere Seite des gleichen Stadtteils. Außerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes wartet nicht das kosmopolitische Berlin, sondern der türkische Imbiss mit »Fleischtasche nach Döner Art«, ein Fahrradladen, der provisorisch Fixie-Fahrräder anbietet, aber sicher keine verkauft und außerdem gleich drei Nagelstudios auf hundert Metern. Danach wandert man über eine dieser Berliner Straßen, die kaum befahren wird, trotzdem die Breite der Neusser Straße besitzt. Hier, zwischen Wohnhäusern mit Mietverträgen aus DDR-Zeiten und Eigentum von DIWKs (Dual Income With Kids), hallen die parolenhaften drei Worte, die auf der Single zum neuen Türen-Album schon zu hören sind, gleich doppelt so laut: Miete! Strom! Gas! »Bei Miete, Strom, Gas braucht es doch gar nicht einer weiteren Differenzierung, da wir an einem Punkt sind, wo ein Großteil der Menschen weiß, was wir damit sagen wollen. Gentrifizierung oder Gefälle innerhalb der Gesellschaft stecken implizit in diesen drei Worten«, meint Türen-Frontmann und Staatsakt-Mastermind Maurice Summen.

 

Auf den restlichen zwei Stunden ihres neuen Mammutwerks »Exoterik« sucht man Parolen meist vergeblich, es geht immer häufiger ohne Strophe, Brücke, Refrain. Summen erzählt im Interview bereitwillig, warum sie häufiger schweigen und instrumentale Wege gehen.

  

 

Ihr habt letztes Jahr sowohl auf dem Pop.Kultur-Festival, als auch bei der c/o pop Fünfzehnjähriges gefeiert. Das ist ja eine ganze Weile. Spiegelt sich das auch auf der Platte wider? 

 

Ist die Länge des Albums vielleicht auch ein Statement dazu? Kurz: Ist das endlich der Übergang zum Alterswerk? Alterswerk? So empfinde ich das gar nicht. Ich denke sogar, dass es sehr frisch ist. Allein die Sequenzen, die Andreas Spechtl mit seinem Modularsystem verbunden und generiert hat und Chris Imler mit seinem musikalischen Wahn aus Sperrmüllschlagzeug und elektronischem Sound — das ist doch von der musikalischen Haltung extrem aktuell.

 

 

Ich meinte eher: Hier sind Leute, die sich gefunden haben, die es keinem mehr beweisen müssen. Vor allen Dingen, wenn man das mit deinen Anfängen, etwa der Elektro-Punk-Band The Boy Group, vergleicht sucht das Album ja die Länge (knapp zwei Stunden) und den Raum. Da ist nichts mehr zu spüren von Dringlichkeit oder Hast.

 

Von mir aus kann man sagen: Man hat sich gefunden. Gleichzeitig ist das mit dem Finden so eine Sache; das Werden ist interessanter. Und die gesellschaftlichen Prozesse lassen ein Finden gar nicht mehr zu. Auf »ABCDE ...« haben wir das schwarz-gelbe Unterseeboot besungen; alleine seit 2012 hat sich extrem viel getan — nicht nur in unserem Geschäftsfeld und der Umgebung, in der man als Musiker lebt. Zu einem Alterswerk gehört auch »Besitzstandwahrung«, sonst kann man das gar nicht auskosten. Die große Anhäufung von Kapital ist weder bei Staatsakt noch bei mir gegeben. Wir kalkulieren auf die Null, nicht auf Akkumulation.

 

 

Die Türen waren immer auch eine Band der Parole. Der Anteil an Parolen ist auf »Exoterik« jedoch gering. Sicherlich ist da die erste Auskopplung »Miete, Strom, Gas«; doch viel dreht sich um Instrumentalnummern. Man fragt sich, ob ihr selbstgewählt habt, weniger zu sagen, oder ob sich Fatique hinter eurem Schweigen verbirgt?

 

Das ist sicher willkürlich. Der Flow stand im Vordergrund. Alle textlichen Inhalte sind quasi improvisiert. Es gibt Gründe, warum wir verzichtet haben, Strophen zu formulieren. 

 

 

Ihr habt mit »Fiesta Antifa« gleichzeitig ein Stück, dass allein schon vom Titel sehr explizit wird.

 

Das ist für mich ein zentrales Stück. Dass eine klar linke, antifaschistische Haltung, die wir als Band immer gelebt haben, heute wieder wichtiger wird, weil einige Entwicklungen gesellschaftlich sowie im Feld der Popkultur von uns eher als schwierig wahrgenommen werden, das muss angekommen sein. Wir können total nachvollziehen, dass bekannte Bands sich über Hashtags wie #unteilbar vergewissern wollen, dass ihr Publikum da mitzieht. Da reicht für uns hingegen ein bloßer Songtitel, um nochmal zu erinnern, wo wir stehen.

 

 

Tocotronic haben gesungen »Über Sex kann man nur auf Englisch singen«; kann man über linke Bewegung, die auch Arbeiter*innen ansprechen soll, auch nicht auf Deutsch singen?

 

Wird man dann zum Biermann oder Wader? Die Präzision der deutschen Sprache macht es einem sicherlich nicht einfach. Entweder geht man mit der Sprache sehr frei um, neigt zur Abstraktion, zum Dada, und ist kaum greifbar, oder man ist sehr genau und kommentiert eins zu eins, was einen stört. Wir wollten uns eine Ambivalenz, die wir nicht nur aus Popgründen, sondern auch generell recht wichtig finden, bewahren. Das wäre im Englischen vielleicht einfacher gewesen.

 

 

 

 

... wenn man einem der Begriff lieb ist. Der Begriff ist umstritten ...

 

 

... zufrieden seid ihr damit sicherlich nicht. Hendrik Otremba schlägt im Pressetext den Bogen zu den Situationisten, die sich daran abgearbeitet hat, künstlerische Avantgarde und proletarische Bewegung miteinander zu versöhnen.

 

Das ist ja nicht nur unser Problem. Wenn sich eine »Working Class« nicht eingeladen fühlt, wenn man da nicht rankommt, wenn das nur in akademischen Kreisen stattfindet, was wir machen, dann — das muss man betonen — ist das fatal. Für mich als Kind der Arbeiterschicht war Pop sehr wichtig und hat mich schon sehr früh berührt. 

 

 

Tonträger: Die Türen, »Exoterik« ist bereits erschienen (Staatsakt/Caroline International).