Den Wahn durchschauen

Heinrich Pachl (1943–2012) war der Satiriker unter den Aufklärern und der Journalist unter den Kabarettisten. Jetzt würdigt ein Festival das Werk des »Aktivisten von der Schädelbasisgruppe Nippes«

Das ist ein beeindruckend hässliches Köln, durch das Heinrich Pachl da stapft — und einfach nicht vorwärtskommen will. Denn dieses Köln ist verbaut und gleichzeitig zerfleddert, seine Plätze sind von Straßen zerschnitten, seine Wege und Unterführungen laden nicht zum Flanieren ein, die Bürger werden in lieblose künstliche Paradiese abgeschoben, wo sie am besten nur ans Konsumieren denken sollen. In der modernen Stadt ist das Auto kein Mittel, sondern der Zweck. »Homo Blech« heißt Pachls Filmessay, der 1987 vom WDR produziert wurde.

 

Noch über dreißig Jahre später ist er ein starkes Statement gegen die Wahnvorstellung einer autogerechten Stadt. Pachl kommt ohne die Beschwörung einer wahlweise untergegangenenen oder noch utopischen Öko-Idylle aus, er moralisiert nicht, jammert nicht. Vielmehr analysiert er Situationen, zergliedert sie, verfremdet all-tägliche Geschehnisse. Seine Methode: berüchtigte Wortschwalle, in denen er wenige Sätze rasend schnell variierend wiederholte und wiederholend variierte, bis ihr Sinn sich verkehrt und sie einen anderen Blick auf die Wirklichkeit freigeben. So sind Fußgängerbrücken nicht für Fußgänger da, sondern für den Autoverkehr. Der Mensch ist Störfaktor, und die (damals) neue Stadtarchitektur soll ihn demütigen — ob am Heumarkt oder im U-Bahn-Haltestellen-Ungeheuer »Neusser Straße / Gürtel«. Kunstvoll montiert Pachl gespielte Passagen und spontane Ereignisse, in denen er quatschend und lamentierend Passanten in seine Gedankenströme hineinzieht, so dass am Ende »Homo Blech« weder Satire noch Journalismus ist, aber aus beidem das Beste zieht — die Lust an der Übertreibung und die Verpflichtung auf nüchterne Recherche. 

 

»Homo Blech« wird gemeinsam mit Heinrich Pachls anderen Filmessays im Rahmen einer Festival-Reihe zu sehen sein, die ab Februar sein Werk würdigt. »Agent für vertrauensstörende Maßnahmen« wird von der Initiative Köln im Film, Pachls Frau Li Daerr und Freunden wie Martin Stankowski organisiert, Anlass wäre sein 75. Geburtstag gewesen, den Pachl am 12. Oktober 2018 gefeiert hätte. Er starb 2012 nach langer, schwerer Krankheit, die ihn aber nicht davon abhielt, noch kurz vor seinem Tod aufzutreten. Pachl ging eben notorisch andere Wege und ließ sich vom Krebs nicht einschüchtern, er überlebte die Frist, die ihm die Ärzte prognostizierten, um das doppelte.

 

Pachl, 1943 im Schwarzwald geboren, kam Mitte der 70er Jahre nach Köln, er hatte da schon Theatererfahrung und war Mitgründer des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt. In Bochum engagierte er sich in einem Theaterkollektiv, das Erfahrungen von Arbeitern unmittelbar aufgreifen wollte, um daraus Sketche aus dem Alltag kapitalistischer Ausbeutung zu machen. Individuelle Erfahrungen sollten so dargestellt werden, dass an ihnen das Allgemeine deutlich wird, das, was alle angeht. Von dieser Theaterpraxis scheinen, bis auf ein frühes Interview mit Pachl, keine Dokumente vorhanden, aber man kann sich gut vorstellen, wie prägend sie gewesen sein muss. In Köln übersetzt Pachl die theatralen Interventionen in Video-Aktivismus. Das Medium Video ist neu, leicht zu bedienen, noch von niemandem vereinnahmt. Mit Jochen Fischer und Christian Maiwurm gründet er die »Kölner Wochenschau«, die zwischen 1975 und 1981 Kölner Realität kommentiert: Hausbesetzungen, die drohende Stadtautobahn in Nippes, der Immobilienskandal um das Stollwerck-Gelände in der Südstadt, schließlich die Besetzung des Geländes. Die Aktivisten filmen tagsüber, stürzen sich ins Handgemenge — großartig die Szene, in der Martin Stankowski als Journalist Stadtdirektor Josef Baumann sich selbst entlarven lässt — und zeigen abends auf Plätzen und in Kinos die Folgen. 

 

Einerseits sind die Beiträge gut recherchiert, andererseits wagen Pachl und seine Mitstreiter die spontane Intervention: Diese Mischung zeichnet die Wochenschau aus — und sie gilt auch für sein Kabarett. Zusammen mit Richard Rogler und Eusebius Wirdeier, der für Masken und Bühnenbild verantwortlich ist, ist Pachl der »Der wahre Anton«, damals noch mehr Straßentheater als Kabarett, das in grotesken Szenen den mafiösen kölschen Klüngel zur Kenntlichkeit entstellt. Seit den 80er Jahren kennt man Pachl dann vor allem als Kabarettist, zunächst im Duo mit so genialen Partnern wie dem bitterbösen Matthias Beltz, schließlich solo. Die Kalauerdichte nimmt zu, aber dass er immer noch genau hinschaut, wird deutlich, wenn er sich den großen Kölner Skandalen der 90er Jahre um Müllverbrennung und Messebau widmet. Im Zweifelsfall bleibt Köln die hässliche, geschundene Stadt. 

 

Natürlich ist der Humor Heinrich Pachls zeitbedingt, das Tempo ist heute höher, die Witze sind sarkastischer, meistens aber bloß bösartiger. Vergleicht man Pachls Aktivismus mit Jan Böhmermann , fällt einem schnell auf, dass der Humor schon mal weiter war. Böhmermann, der spätestens seit dem Aufstieg der AfD gerne politisiert, legt es auf Entlarvung an: Schlimm, was man als Paketbote alles ertragen muss; fies, wie niederträchtig Doku Soaps im Privatfernsehen mit ihren Protagonisten umgehen. Böhmermann skandalisiert, stellt bloß und ist stolz auf seinen Schabernack. Bei Pachl ist der Skandal aber nur der Ausgangspunkt, um einzufangen, wie die Menschen damit umgehen, um ein vollständigeres Bild von der gesellschaftlichen Situation zu bekommen. Er stellt keine Menschen bloß, sondern will gesellschaftliche Verhältnisse darstellen. Dass im Ruhrgebiet der viel beschworene Strukturwandel ein Flop ist, setzt Pachl in einem anderen Filmessay, »Ben Ruhr« (1988), voraus. Aber wie reagieren die Leute darauf? Was erwarten sie von einer Zukunft, in der sie nur noch Insassen eines schlecht laufenden Freizeitparks sind? 

 

Das Pachl-Festival ist eine Einladung, sein Werk neu kennenzulernen, nicht zuletzt die Seiten, die weit über das Kabarett hinausweisen. Er hat Vorschläge gemacht, wie man in eine Wirklichkeit eingreifen kann, die zunehmend lächerlich und gleichzeitig rätselhafter wird. Aufklärung ist immer möglich. Wir sollten sie uns aneignen.