Foto: LVR/Ludolf Dahmen

Die Hände zum Himmel

Als  Gebärdensprachdolmetscher  übersetzen Aline  Ackers  und  Michael  Zymelka den  Karneval  für  Gehörlose.  Wir  haben  ihnen beim  Einsatz  auf  die  Finger  geschaut

Mehr Karneval als auf der Miljö-Sitzung geht eigentlich nicht. Am Anfang der Sitzung marschieren die Mitglieder des Traditionskorps »Die Altstädter 1922« in ihren grün-weiß-roten Uniformen auf die Bühne im Kristallsaal der Messe. Säbel werden gezückt, Tanzmariechen werfen erst die Beine in die Luft und werden dann hinterher geworfen. Und der Elferrat wacht über die Gepflogenheiten des -Kölner Karnevals«: erst eine Rede, dann die Bläck Fööss, Bernd Stelter, noch mehr Tanzmariechen und nach zwei Stunden eine Pause mit »rheinischem Sushi«, also Mettbrötchen. Kölle Alaaf!

 

Am Bühnenrand aber stehen zwei Menschen, die wie Mitglieder der Band Kraftwerk aussehen: rotes Hemd und schwarze Hose, beziehungsweise umgekehrt. Aber wie die Roboter aus Düsseldorf reden die beiden nicht, sondern sie bewegen ihre Arme und Hände. Es sind Aline Ackers und Michael Zymelka. Beide arbeiten als Dolmetscher für Gebärdensprache, auch im Karneval. Wenn der Sitzungspräsident »Kölle Alaaf« ruft, ziehen die beiden ihre Hände vor der Brust in die Höhe, um damit die zwei Türme des Doms anzudeuten — die Gebärde für »Köln«. Beim »Alaaf« grüßen sie mit dem rechten Arm wie der Rest der Karnevalisten. »2013 habe ich das erste Bühnenprogramm am Alter Markt gedolmetscht«, erzählt Aline Ackers. Seitdem seien die Einsätze jedes Jahr zahlreicher geworden. Dieses Jahr war Ackers zum ersten Mal bei der Prinzenproklamation auf der Bühne, was zu Unstimmigkeiten zwischen dem Festkomitee Kölner Karneval und dem WDR führte, der die Sitzungen überträgt. Letztlich wurde auf Betreiben des Senders nur die Verkündigung des Dreigestirns in Gebärdensprache übertragen und der Rest der Sendung nur untertitelt ausgestrahlt. »Ich war nicht Teil der Auseinandersetzung«, sagt Ackers. »Für mich war der Einsatz eine Ehre, die Rückmeldungen waren durchweg positiv.«  

 

Die Miljö-Sitzung ist die erste gemeinsame Sitzung von Michael Zymelka und Aline Ackers in dieser Session. Gleich zu Beginn werden sie stark herausgefordert. Auf der Bühne steht der Bauchredner Klaus Rupprecht mit seiner Puppe, dem Affen Willi. Ackers und Zymelka teilen sich die Parts auf: Ackers spricht Willi, Zymelka Klaus. Der Affe macht Wortwitze, redet über »ALDI vielen Mädchen« und spielt Echo: »Wie heißt der Bürgermeister von Wesel? — Esel.« Für Gehörlose können solche Witze schwierig sein, erklärt Michael Zymelka: »Bei Wortspielen kommen wir an unsere Grenzen. Gehörlose haben oft einen anderen Humor. Viele Witze sind visuell, da geht es nicht so sehr um die Pointe.«  Aber bei Klaus & Willi zünden die Pointen. Ich sitze an einem Tisch mit etwa einem Dutzend Gehörloser, die auf Einladung des Landschaftsverbands Rheinland und der Altstädter an der Sitzung teilnehmen. Sie lachen, heben ihre Hände in die Luft und drehen sie um 90 Grad, um die Gebärde für Applaus zu machen. 

 

Auftritte im Karneval sind die Königsdisziplin für Kölner Gebärdensprachdolmetscher. »Viele Stunden« flössen in die Vorbereitung, sagt Aline Ackers, wieviel genau, kann sie nicht sagen. Sie und ihr Kollege müssen die Witze in Gebärdensprache übersetzen und die Karnevalslieder kennen. Zusätzlich müssen sie noch die passenden kölschen Gebärden beherrschen. »Auch in der Gebärdensprache gibt es Dialekte, etwa einen rheinischen«, sagt Aline Ackers. Das Kölsche sei in der Alltagssprache der Gehörlosen fast ausgestorben. Sie und ihr Kollege haben deshalb mit älteren Gehörlosen gesprochen, um zu erforschen, wie sie früher zu Hause gebärdet hatten, als in vielen Haushalten noch Kölsch gesprochen wurde. »Dabei haben wir entdeckt, dass die Gebärde für ›Regenschirm‹ anders aussieht als die für ›Paraplü‹. Auch ein ›Bützjer‹ sieht anders aus als das ›Küsschen‹.« Zur kölschen Sprache kommt noch die Beherrschung der Karnevalsrituale hinzu: »Ich glaube, wer noch nie selbst auf einer Sitzung war, hat Schwierigkeiten, im Karneval zu übersetzen«, sagt Aline Ackers.  

 

 Abgang Klaus & Willi, Einmarsch der Bläck Fööss. Die Kölsch-Rocker haben ein zwanzigminütiges Hit-Programm zusammengestellt. »Drink doch ene met«, »Bickendorfer Büdche«, »Du bes de Stadt« — und dazwischen ein neuer Song, den keiner kennt. »Wir lernen die Lieder auswendig, übersetzen sie in Gebärdensprache und liefern diese Übersetzung im Takt der Musik zeitgleich auf der Bühne«, erzählt Michael Zymelka, und seine Kollegin Aline Ackers ergänzt: »Man sieht, welcher Stil auf der Bühne performt wird. Man erkennt an unseren Gebärden, ob die Musik ruhiger ist oder eher lauter.« Ackers ist bei den Bläck Fööss im Einsatz. Bei »Du bes de Stadt«, der rührseligen Hymne auf das Kölschsein als bestem Lebensentwurf der Welt, wiegt sie sich im Takt der Musik, genau wie der Rest der Saals. Als gebürtiger Sauerländer mit funktionierendem Gehör muss ich an dieser Stelle kapitulieren: Weder kann ich den Text auswendig, noch irgendeine Geste zuordnen. Aber an meinem Tisch wird geschunkelt, das ist ja letztlich auch das Wichtigste. Mehr Glück habe ich bei »Kaffeebud«. Aline Ackers spreizt den Daumen ab und führt eine imaginäre Tasse an den Mund, dann formt sie mit beiden Händen ein Dach. Und wenn sich alle »de Kaffe in d’r Kopp« kippen, kippt sie ebenfalls nach. »Man muss das auch fühlen. Wenn man sieht, was da auf der Bühne geboten wird, kann man nicht lustlos übersetzen.« Das findet auch Bläck-Fööss-Sänger Pit Hupperten und bezieht Ackers auf der Bühne in seine Performance mit ein.

 

Abgang Bläck Fööss, Einmarsch Bernd Stelter. Der 57-jährige aus Bornheim gehört zur Stammbesetzung des Kölner Karnevals — obwohl er auf der Bühne immer wie ein Versicherungsvertreter aussieht, der sein Kostüm zu Hause vergessen hat: Bauch, grauer Anzug, Brille, Seitenscheitel. Er macht Witze über Donald Trump. Gedolmetscht wird Bernd Stelter von Michael Zymelka. Seine Gebärden sind ruhig und wenig ausgreifend und passen so gut zu Stelters betulichem Sprechrhythmus. »Man wird auch als Hörender im besten Fall erkennen, welcher Künstler da gerade auf der Bühne steht«, erklärt Aline Ackers.  »Wir imitieren die Redner nicht, aber was sie mit der Stimme machen, ist ja auch ein eigener Stil. Und wir gebärden so, dass man einen Stil auch wiedererkennt.« Michael Zymelka hält sich vornehm zurück. Als Stelter ein leicht melancholisches Lied über seine zunehmende Körperfülle anstimmt und bedauert, dass er nicht mehr »knackig« ist, zeichnet Zymelka einen schmalen Stelter in der Luft. Dann spricht der Karnevalist über seine Frau. Man müsse ihr Komplimente machen, das sei im Alter wichtig: »Toffifee, nicht du hast zugenommen, das Wohnzimmer ist geschrumpft.« -An meinem Tisch wird gelacht, die Hände wandern wieder in die Höhe.  »Inklusion heißt auch, dass nicht jeder über die gleichen Witze lachen muss«, sagt Aline Ackers. Verboten ist es aber auch nicht.

 

 

Mit seinem Programm »Karneval für alle« setzt sich der Landschaftsverband Rheinland für mehr Inklusion im Karneval ein. Bei verschiedenen Karnevalszügen hat der Verband Tribünen für Menschen mit Behinderung aufgestellt und finanziert die Übersetzung in Gebärdensprache und für Blinde während des Karnevals. Für die übersetzten Sitzungen vergibt er auch Karten. Bewerben kann man sich jetzt schon für die Session 2019/2020 auf 

 

karneval-fuer-alle.lvr.de