Foto: Marcel Wurm

Vorhang zu, Fragen offen

Die Kölner Stadtspitze hat die Neubesetzung der Intendanz beim Schauspiel Köln vor die Wand gefahren — und weigert sich, aus ihren Fehlern zu lernen

Und wieder ist es passiert: Kölns Kulturpolitik war im Rest der Republik für einige Lacher gut. Nur besonders witzig ist das nicht. Ende Januar wurde im Rathaus der neue Intendant vorgestellt, der das Schauspiel Köln ab Sommer 2021 übernehmen soll, eine Woche später war die Personalie schon Geschichte. Schon die Einladung zur Pressekonferenz am 24. Januar war ungewöhnlich. Erst am Nachmittag zuvor wurde ins Rathaus geladen, der amtierende Intendant Stefan Bachmann nicht unterrichtet. Die kulturpolitischen Sprecher der Ratsfraktionen erfuhren erst eine Stunde vor Beginn den Namen des künftigen Intendanten. 

 

Nicht nur ihnen war Carl Philip von Maldeghem vom Landestheater Salzburg völlig unbekannt — auch ein großer Teil der Theaterschaffenden in Deutschland hatte nie von ihm gehört. Ohne Not, so schien es, sollte die Leitung eines der größten Schauspielhäuser der Republik an einen Außenseiter vergeben werden. Unter Karin Beier (2007-2013) war das Schauspiel mehrfach zum Theater des Jahres gewählt worden, ab 2013 unter Bachmann feierte es in der schwierigen Interimsphase nicht ganz so spektakuläre, aber immer noch solide Erfolge. Von Maldeghem steigerte in Salzburg dagegen zwar die Zuschauerzahlen, inszenierte in der konservativen Festivalstadt der Superreichen aber auch unverdrossen Operetten, Musicals, Kinderballette neben Ödon von Horvath und Goethes Faust als Kostümtheater mit konventioneller Ästhetik. Der Stolz über ihre Lösung im Eiltempo — der neue Intendant wird erst in zweieinhalb Jahren antreten — war Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach bei der Pressekonferenz deutlich anzusehen. 

 

Aber die überregionalen Feuilletons und Theaterleute außerhalb Kölns reagierten mitleidig bis verständnislos. Wieso wollte man sich in Köln freiwillig hinter Bochum und Düsseldorf einreihen? Wieso präsentierte man einen Kandidaten aus der dritten Liga, eine Notlösung ganz ohne Not? Viele vermuteten, dass die Entscheidung von der konservativen Sehnsucht getragen war, in Köln ein unterhaltsames, boulevardeskes Stadttheater im Stil der 50er Jahre wieder auferstehen zu lassen. Aber ist es das, was eine Metropole mit der größten türkischen Community Deutschlands in Zeiten des Rechtsrucks braucht? Und was ein öffentlich gefördertes Haus den Bürgern bieten soll? Qualifiziert ein Leitungsjob im lieblichen Salzburg für das schmutzige, heterogene Köln? Und warum gab es im Vorfeld darüber keine öffentliche Verständigung? Der designierte Intendant versprach zwar ein Theater »für die Bürger der Stadt«, was aber wie eine zweite Ohrfeige für Stefan Bachmann wirkte. Bachmann hat das Depot in Mülheim, das während der Sanierung des Hauses am Offenbachplatz als Interim dient, etabliert und — bundesweit einmalig — die türkischstämmigen Communities der Keupstraße aktiv mit einbezogen. Schließlich bezeichnete der Schriftsteller Navid Kermani das Besetzungsverfahren als »eine Demütigung für Köln«. Sieben Tage nach seiner Ernennung trat von Maldeghem dann zurück. Er wolle lieber in Salzburg bleiben, als ins »provinzielle« Köln zu gehen. 

 

Im Scheitern offenbart sich, wie zutiefst undemokratisch das Auswahlverfahren war, wie wenig es der Verantwortung gerecht wird, die der Posten für eine Stadt bedeutet — und wie losgelöst von der jungen, lebendigen Szene die Stadt agierte. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass das Kulturdezernat einsame Personalentscheidungen trifft — Georg Quander, der Vorgänger von Laugwitz-Aulbach, hatte so immerhin Karin Beier und Stefan Bachmann nach Köln geholt, aber zuvor auch die Kulturpolitik einbezogen. Aber in diesem Fall dachte eine gänzlich theaterferne Oberbürgermeisterin offenbar, die Schauspielintendanz sei wie nebenbei und nahezu ohne Fachkompetenz zu besetzen, obwohl es sich beim Schauspiel um eins der wichtigsten Theaterhäuser der Bundesrepublik handelt. Eine bereits teilentmachtete Kulturdezernentin hielt es offenbar für eine gute Idee, einen alten Bekannten durchzusetzen, den sie aus seiner Zeit bei einem Stuttgarter Privattheater kannte. Rätselhaft bleibt einzig, dass sich der pensionierte Ex-Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin für diese Besetzung hergab. Im Bonner Generalanzeiger gab er indirekt zu, nie eine Inszenierung von Maldeghem gesehen zu haben — und musste hinnehmen, dass sich der amtierende Direktor des Vereins, Marc Grandmontagne, im Kölner Stadt-Anzeiger später von ihm distanzierte: »Rolf Bolwin handelt als Privatperson«. 

 

OB Reker hat sich durch die Vorgänge ein weiteres Personalproblem eingehandelt, und Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach hat ihre ohnehin schwache Stellung in der Politik noch weiter geschwächt. Im Sommer 2017 hatte ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen versucht, sie abzuwählen, scheiterte jedoch am Widerstand der SPD. Der Express berichtete im vergangenen Juni unter Berufung auf ein Geheimpapier von einer Vereinbarung: Wenn Grüne und CDU der Wahl des damaligen SPD-Chefs Martin Börschel zum Vorsitzenden des Stadtwerke-Konzerns zugestimmt hätten, hätten die Sozialdemokraten den Weg für eine Abwahl von Laugwitz-Aulbach vor dem Ende ihrer Amtszeit 2021 freigemacht. Soweit kam es nicht, weil OB Reker den gesamten Vorgang stoppte. »Von dieser Abmachung weiß ich nichts«, erklärt Klaus Schäfer, der kulturpolitische Sprecher der SPD. Aber er sagt auch: »Ich sehe keine Beschädigung der Kulturdezernentin«. Die Genossen halten die Reihen geschlossen. Oder haben die kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen wirklich so wenig Einblick und Gestaltungskraft? Birgitta von Bülow, kulturpolitische Sprecherin der Grünen, sagt, immerhin sei ihnen von Reker nun mehr Beteiligung zugesagt worden. Wie genau sie aber in das neue Verfahren einbezogen werden, bleibt unklar. 

 

Henriette Reker will nun eine von ihr geleitete Findungskommission einsetzen. Die Kulturdezernentin wird darin nicht erwähnt. Erst auf Nachfrage erklärt das Presseamt, das Kulturdezernat sei ebenfalls beteiligt. Der Ablauf des Besetzungsverfahrens wird nicht erklärt. Interviewanfragen werden nicht beantwortet, weil Reker und Laugwitz-Aulbach »zu beschäftigt seien mit dem Aufsetzen der Kommission«. Ein Fachmann sitzt übrigens genau vor ihrer Tür: Milo Rau, einer der derzeit wichtigsten Regisseure Deutschlands, wohnt seit zehn Jahren mit seiner Familie in Köln. Scham befalle ihn, schrieb er Anfang Februar im Kölner Stadt-Anzeiger, wenn er miterlebe, wie sich Köln aktiv gegen Weltgeltung entscheide.

 

Hinter der kulturpolitischen Blamage offenbart sich aber auch eine niederschmetternde Ignoranz aktueller Theater-Debatten: Bundesweit wird diskutiert, dass die Leitungen von Schauspielhäusern divers und heterogen besetzt werden sollen. Aber in Köln stand weder eine weibliche Leitung noch eine divers besetzte Doppelspitze zur Debatte. Vor allem aber fehlte eine Auseinandersetzung mit der Frage, welches Theater Köln in diesen Zeiten braucht. Weder die Stadtbevölkerung noch Theaterfachleute hatten die Gelegenheit, ihre Wünsche und Erfordernisse zu formulieren. Dabei gäbe es jetzt die einmalige Chance, ein echtes Signal zu setzen. Köln könnte mit einer Neuausrichtung des Stadttheaters einen Aufbruch auf Höhe zeitgenössischer Diskurse wagen. Denn nur, wer wirklich die gesamte Stadtgesellschaft anspricht, re-präsentiert sie, nur, wer Strukturen umbaut, kann Theater-hierarchien aufbrechen.