»Der Film ist Ausdruck meiner Wut«

Der Kölner Regisseur Jan Bonny über sein Rechtsterroristen-Drama »Wintermärchen« und die Angst des deutschen Films vor produktiven Fehlern

 

Ihr Film handelt von einer rechten Terrorzelle, die wahllos Migranten ermordet. Die Idee dazu ist Ihnen bei einem Besuch des NSU-Prozesses in München gekommen. Wie hatte dieses Ereignis Einfluss auf das Drehbuch? Ich wollte mich rechten Terroristen erzählerisch annähern, weil sie zugespitzter Ausdruck unserer problematischen gesellschaftlichen Gegenwart sind. In diesem Kontext fanden ich und Produzentin Bettina Brokemper solche Täterfiguren interessant, aber es fehlte immer ein Zugang, der nicht in erster Linie erklärend, einhegend oder didaktisch ist. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert eine Unmittelbarkeit, ein anderer Zugang. Ich will mich nicht als Erklärer von außen dem »Fremden« annähere. Aber ich fand keinen anderen Zugang. Als ich beim NSU-Prozess war, fiel mir auf, dass die Geschichte auch ein Beziehungsdrama ist und dass das einen Zugang bietet zu solchen Figuren. So kann ich den Zuschauer mitnehmen in Situationen, die er normalerweise von vorherein von sich weisen würde. Dann habe ich diese Konstellation anders belebt. Das ist eben nicht der NSU. Darum geht’s nicht.

 

 

Man könnte kritisieren, dass durch die Dreierkonstellation im Film die Parallele zu Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos evident ist, dass Sie sich zugleich aber der Auseinandersetzung mit diesem realen Fall nicht stellen.

 


In dieser Kritik steckt doch die an sich verständliche Hoffnung, Filme zu bekommen, die einem die Welt erläutern, die ein Thema bearbeiten. Bei meinem Film geht es aber eher um einen Zugang zu fiktionalen Figuren und ihrer Binnendynamik, um einen Zugang zu einer sehr subjektiven und eingeschränkten Sicht. Im besten Fall ist das ein Zugang zu einem Erlebnis, das einem als Zuschauer dann eine andere Auseinandersetzung mit der Welt möglich macht, auch mit den Figuren des NSU und den komplexen Verflechtungen, die ihn möglich gemacht haben.

 

 

Würden Sie linke und rechte Gewalt unterscheiden?

 


Natürlich, aber in der Frage steckt ja die Idee, dass es eine bessere und schlechtere Gewalt geben kann. Die gibt es nicht.

 

 

Kann man nicht zwischen Gewalt mit emanzipatorischen und mit rassistischen Zielen unterscheiden? 

 

Impliziert die Frage, dass linke Gewalt grundsätzlich emanzipatorisch ist? Ich glaube, dass in »Wintermärchen« und in vielen vergleichbaren realen Fällen, Narzissmus und Ich-Bezogenheit die zentralen Motive sind: sich selbst Geltung verschaffen durch Gewalt. Darum geht es ja im Film. Es geht darum, sich sichtbar zu machen — um jeden Preis. Das ist total narzisstisch. Und das verbindet linke, rechte und religiös motivierte Gewalt natürlich. Unabhängig von der Frage, ob es so etwas wie gerechtfertigte, befreiende Gewalt gibt.

 

 

Ich frage das, weil Ihr Film nicht zuletzt deshalb irritiert, weil die Protagonisten sich fast nie politisch äußern.

 


Zum einen: Jeder Film wählt natürlich seinen Ausschnitt. Die Figuren haben ein größeres Leben als das, was wir sehen. Aber ihre Taten und Morde sind eindeutig politisch. Mich interessiert an den Figuren ihre monströse Banalität. Ich muss nicht sehen, wie die sich abends noch mit ihrem Heidegger-Bändchen zurückziehen und sich gegenseitig dazu gratulieren, sich in einem größeren gesellschaftlich-historischen Kontext etabliert zu haben.

 

 

Beeindruckend ist, wie der Film einen gefangen nimmt. Man will nicht hingucken, kann aber auch nicht weggucken.

 


Man ist mit Figuren zusammen, die man ablehnt. Dennoch kann man ihnen auf der Ebene der Beziehungsdynamik folgen. Damit rückt man denen natürlich nahe. Es widerstreiten viele Gefühle. Was ja auch gut ist. Zum anderen ist »Wintermärchen« als physischer Film angelegt. Es ist eine Körpererzählung — was zutiefst filmisch ist. Auch deswegen hält es einen drin.

 

 

Kann man sagen, der Film gibt den Nazis den Hass zurück?

 


Es geht mir nicht darum zu hassen. Aber der Film ist Ausdruck meiner Wut, auch der Wut meiner Produzentin. Daher ist er auch ungezügelt. Man macht Filme natürlich immer aus Ärger, aus Liebe, aus Wut. Es geht aber um weitere Kreise, um größere Phänomene.  

 

 

»Wintermärchen« sticht aus dem Gros deutscher Produktionen heraus, weil er nicht den üblichen »mittleren Realismus« bedient, der sich weder traut, wirklich realistisch zu sein, noch wirklich »unrealistisch«.

 


Ich bedaure sehr, dass in Deutschland alles auf eine Art Fernsehrealismus hinausläuft. Es gibt eine Vereinbarung über einen Gewohnheitston, in dem aber nicht alles erzählt werden kann. Realismus im Film gibt es natürlich nicht wirklich, aber »Wintermärchen« arbeitet mit Physis, dadurch hat er vielleicht einen anderen Ton. Es geht viel mehr ums Erleben als ums gezeigt bekommen. In deutschen Filmen ist gewöhnlich alles so sauber, nie soll etwas kollidieren. Natürlich kann man einen zutiefst komischen, zutiefst tragischen, surrealen, realistischen Film machen. Stattdessen gilt hier, dass man immer alles korrekt machen muss.

 

 

Es ist eine Ästhetik der Angst.

 


Ja, weil es um Fehlermeidung geht.
Da würde ich mich ja gar nicht -ausschließen: Ganz oft geht es darum, Fehler zu vermeiden. Das ist aber lähmend. Das muss man immer wieder versuchen zu durchbrechen.

 

 

 

 

 

Jan Bonny, Jahrgang 1979, studierte von 2000–2006 an der Kölner Kunsthochschule für Medien. Sein Debütfilm »Gegenüber« (2007) feierte Premiere beim Filmfestival von Cannes. Er dreht außerdem immer wieder für das Fernsehen (z.B. »Polizeiruf 110«). Außerdem ist er als Werbefilmer erfolgreich und mit Alex Wissel im Kunstkontext aktiv.