Sinnliche Thrills

Der in Brühl aufgewachsene Tilman Singer hat mit »Luz« einen

der ungewöhnlichsten deutschen Debütfilme der letzten Jahre gedreht

 

 

Die warmen Farben und das grobe Korn von 16mm-Aufnahmen zeigen den Vorraum eines Polizeireviers. Das Interieur versprüht den spröden Charme des Innenlebens eines Amts der 70er Jahre. Plötzlich stürzt Luz von rechts durch die Glastür. Mit ihrem umgedrehten Basecap, den schulterlangen Haaren, dem grungy Charme ihres Outfits zeigt sich die junge Frau als Wiedergängerin der Taxifahrerin aus Jim Jarmuschs »Night on Earth«. Doch die Titelfigur des ersten Langspielfilms des jungen Regisseurs Tilman Singer erwartet vieles, aber kein komödiantischer Ritt durch Los Angeles. Es wird schnell unheimlich — im wahrsten Sinne freudscher Deutung.

 

Tilman Singer wurde 1988 in Leipzig geboren. Wenige Monate bevor die Mauer fiel, flüchteten seine Eltern über Ungarn — und landeten ausgerechnet in Brühl. »Für mich ist Brühl eine Vorstadt von Köln. Köln ist ja generell eine Stadt, die vornehmlich aus Vorstädten besteht«, erzählt er bei einer Tasse Tee. Allerdings hat ihn die Brühler Musikszene um das Label Dorfjungs und den Booker Matthias Kurth unmittelbar beeinflusst: »Mit meinem alten Jugendfreund Simon Waskow habe ich schon früher in Bands gespielt; heute haben wir das Bandprojekt Huyghend. Darüber hinaus steuert er die Musik zu meinen Filmen bei.«

 

Neben Musik interessierte Singer die Schauspielkunst; sein Bruder Konrad ist ein erfolgreicher Theaterschauspieler. Und so spielte er im Jugendclub des Schauspiel Köln, den Rheinischen Rebellen, und bereitete sich für Vorsprechen an den großen staatlichen Schulen vor: Er wollte nach Berlin, Leipzig oder an die Folkwang-Uni ins Ruhrgebiet, doch parallel zum Monologe lernen, interessierte ihn auch die Kölner Kunsthochschule für Medien. Wenn Musik und Schauspiel und generelles künstlerische Gestaltungsinteresse zusammenkommen, bietet sich der Film ja an. Eine Bewerbung folgte, eine Absage auch. Doch seine Stop-Motion-Kurzfilme erzeugten- -Interesse: Die Videoplattform Vimeo empfahl seine Filme und recht schnell kamen Angebote aus der Werbeszene. Singer jobbte in den USA und in Paris für verschiedene Auftraggeber und arbeitet gleichzeitig an seiner zweiten Bewerbung an der KHM — die erfolgreich war.

 

Singer lernte gleich im Grundstudium sein Team kennen, mit dem er bis heute arbeitet, den Produktionsdesigner Dario Méndez Acosta, den Kameramann Paul Faltz, dazu kommt sein Bandkollege Simon Waskow. Zusammen mit Schauspieler Jan Bluthardt entstand 2014 »The Events At Mr. Yamamoto’s Alpine Residence«, Singers erster eigenständiger Kurzfilm, der gleich zu den Internationalen Kurzfilmtagen nach Oberhausen eingeladen wurde.

 

Hier lassen sich schon neben der personellen Kontinuität (auch Bluthardt spielt in »Luz« wieder mit) weitere Vorlieben festmachen, die nun bei seinem ersten Langfilm wieder auftauchen: der 16mm-Film, das sorgfältig ausgewählte Inventar, die Stimmung, die andeutet, dass hier etwas nicht »in Ordnung« ist. Man kann darüber streiten, ob man seinen Film einfach unter dem Label »Horror« subsumiert. Singer ist Vertreter einer Schule, die sich im Schatten der großproduzierten (Hollywood-)Horrorfilme gebildet hat. In den letzten Jahren kamen vermehrt Filme wie der hervorragende »Ich seh Ich seh« des österreichischen Duos Veronika Franz und Severin Fiala in die Kinos, die mit den Mitteln des unabhängigen Kinos mit den alten Klischees des Genres spielen — und dabei gerne Anleihen nehmen bei der Tradition des italienischen Giallo-Films oder den Arbeiten von John Carpenter und David Cronenberg. 

 

Singer selbst bezeichnet seine  Filme als »Sensuous Thriller«. Sinnlich sind sie tatsächlich, nicht nur wegen des Analogmaterials und der erotischen Spannung in vielen Sequenzen von »Luz«, sie spielen auch mit der Sinneswahrnehmung des Zuschauers. Nicht zuletzt auf diese Weise erzeugen sie Unbehagen. Singer grenzt sich damit gegenüber einem Horrorkino ab, das auf einfache Schreckmomente setzt. Zugleich bedient er sich bei den Elementen des »Gruselfilms«: »Ich benutze sehr viele Klischees und Archetypen, die man kennt. Das ermöglicht es mir, an vielen Stellen abzukürzen: Bei einem runtergekommenen Polizeirevier weiß der Zuschauer direkt, was gemeint ist. Das heißt, dass ich die Ebene des Realismus verlassen kann, da ich nicht lange brauche, um in die Bedingungen des Ortes einzuführen.« Singer schreibt möglichst unreflektiert, »lässt laufen«. Mit dem Wissen, in welche Richtung es gehen soll, tippt er sich durch die Fassungen und beleuchtet erst im Nachhinein, woher die Referenzen und Bilder kommen. So schleicht sich bei »Luz« zum Beispiel das Jarmusch-Zitat ein. Ebenso wichtig ist die Ebene der Sprache. Seit einem sechsmonatigen Aufenthalt in Bogota — an der Partneruni der KHM — ist das Thema sehr präsent: »Das hat etwas mit mir gemacht, in einer Stadt, in einem Land zu sein, dessen Sprache ich nicht verstehe oder spreche. Seitdem habe ich alles, was ich geschrieben habe, bilingual angelegt.« Es geht in »Luz« — wie in seinem nächsten Projekt — um Sprachverwirrungen, um Verstehen und Missverstehen.