Die Schönheit der Papier­taschentücher

Tina Haases Materialexperimente in der ­Villa Zanders

Einen der prächtigen Kronleuchter in der großbürgerlichen Villa Zanders hat Tina Haase schon einmal ins Visier genommen: Für ihr Salonstück »Oh Maria Theresia« entfernte sie ihn 1995 kurzerhand von der Decke und bettete ihn in ein Meer aus Glühbirnen auf dem Parkettboden.

 

Für ihre aktuelle Einzelausstellung hat sie nun einen weiteren Lüster — den in der antikisierenden Halle im Obergeschoss — entweiht und mit einer braunen Mauer umbaut. Deren »Steine« entpuppen sich bei näherem Hinsehen allerdings als Papiertüten. Kein robustes Baumaterial, vielmehr recycelbares Gebrauchsgut, das aber nun auf verwunschene Weise viele kleine Räume im Raum bildet. 

 

Tina Haase (Jahrgang 1957) experimentiert in Bergisch Gladbach wieder mit den Utensilien des Alltags und führt sie durch Häufung, Verformung und Neukomposition zu höherer Bedeutung. Das abstrakte, streng-lineare Relief in Weiß, Rot, Blau besteht aus Toilettenpapierrollen und Klebebändern. »Sold« ist eine filigrane Ansammlung kleiner Papierschirmchen, und die leuchtend bunte Wandarbeit »Wie viel Farbe kannst Du noch ertragen?« hat Haase mit Kunststoffmappen »gemalt«, wie sie selbst sagt.

 

Die Bildhauerin verbirgt weder ihre Technik noch ihr Ausgangs-material, im Gegenteil: Sie stapelt, klebt, steckt, näht, heftet, schnürt und erforscht dabei die Schönheit des Banalen. Welchen Zauber können Toilettenpapier, Eisschirme oder Sammelmappen entfalten, wenn sie nicht zu Körperreinigung, Dekorationszwecken oder zum Aufbewahren genutzt werden? Die präzisen Arrangements lösen bei den Betrachter*innen Staunen und Schmunzeln aus. Sammler*innen könnten sich schnell fragen, wie es denn um die Haltbarkeit der Arbeiten steht. Die in München an der Fakultät für Architektur am Lehrstuhl für Bildende Kunst lehrende Professorin kümmert sich wenig um solche konservatorischen Bedenken, sondern würde zurückfragen: »Warum sollten Kunstwerke denn älter werden als Bäume?« 

 

Bei Tina Haase geht es nur um das Hier und Jetzt, so auch bei ihrem »Schnupfenstück«. Dabei handelt es sich um eine lapidare Spiegelung des vornehmen De-ckenstucks, den sie in der Größe 1:1 auf einer Holzplatte am Boden nachvollzogen hat. Ihrer mit Blumenmustern und anderen schnörkelnden Formen ist nicht weniger reizvoll, obwohl er aus schnöden Papiertaschentüchern und Wandfarben gearbeitet wurde.

 

 

Kunstmuseum Villa Zanders, Konrad-Adenauer Platz 8, Bergisch Gladbach, Di–Sa 14–18 Uhr, Do 14–20 Uhr, So 11–18 Uhr, bis 5.5.