Im Herz der Finsternis

»Another Day of Life« erzählt über den Angolakrieg aus der Sicht des

Kriegsreporters Ryszard Kapuściński — in Form eines Animationsfilms

»Der Film ist ein halluzinatorischer Trip ins Herz der Finsternis«, sagt Raúl de la Fuente über den dokumentarischen Animationsfilm »Another Day of Life«, den er zusammen mit Damian Nenow gedreht hat. Die beiden geben Interviews im Innenhof eines Hotels in Sevilla, wo sie am Abend mit dem Europäischen Filmpreis für den besten Animationsfilm ausgezeichnet werden.

 

»Another Day of Life« basiert auf dem Buch »Wieder ein Tag Leben« des polnischen Kriegsreporters Ryszard Kapuściński, der darin seinen dreimonatigen Aufenthalt in Angola 1975 aufarbeitet. Der Vietnamkrieg ist vorbei, der Kalte Krieg noch lange nicht. Während die USA und UdSSR um die Weltherrschaft ringen, bricht nach dem Ende der Diktatur Salazars das portugiesische Kolonialreich zusammen. Die Kolonien in Afrika sollen unabhängig werden, darunter das an Öl und anderen Ressourcen reiche Angola. Stichtag: der 11. November. Doch der Übergang verläuft nicht friedlich, das Land versinkt nach fünf Jahrhunderten der Besatzung in einem blutigen Bürgerkrieg. Während portugiesische Staatsangehörige fluchtartig Angola verlassen, sieht der polnische Kriegsreporter Kapuściński die Chance, als einziger internationaler Korrespondent für die Nachrichtenagentur PAP aus dem Land zu berichten. Es gelingt ihm mit Sensibilität und Genauigkeit, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Krisengebiet zu richten, das zum Spielball im Kalten Krieg wird. Heute gilt Kapuściński als einer der wichtigsten Journalisten des 20. Jahrhunderts, seine literarischen Reportagen wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt.

 

»Another Day of Life« besteht aus rund einer Stunde animierter Sequenzen und etwa zwanzig Minuten Archivmaterial und Interviews mit Zeitzeugen und Weggefährten des Reporters. Entstanden ist der Film unter der gemeinsamen Regie des spanischen Dokumentarfilmers de la Fuente und des polnischen Animationsfilmers Nenow. Ihre Vorlage gilt heute als wichtiges Dokument dieser Zeit, da Angola durch den Krieg weitgehend zerstört wurde und kaum anderes historisches Material existiert. Eine Adaption ist es allerdings nicht, wie Nenow betont: »Wir wollten nicht das Buch illustrieren. Unser Film handelt vielmehr von der Zeit, die ihn dazu bewog, ein Buch zu schreiben, als aus dem Reporter ein Schriftsteller wurde«. De la Fuente kennt Kapuścińskis Bücher seit seiner Jugend. »Ich war fasziniert von seiner Sichtweise auf die Welt«, sagt er, »durch ihn habe ich Afrika und Lateinamerika kennengelernt. Seine Bücher fühlten sich wie Kino an, ich tauchte in eine fremde Welt ein«.

 

Für Nenow hat Kapuścińskis Perspektive heute noch Relevanz: »Er recherchierte und vertraute Menschen, hörte sich ihre Geschichten und Sicht der Dinge an. Und er schrieb auf, was er aus erster Hand erlebte. Dieses Konzept geht in den Medien immer mehr verloren, wenn Bilder von überfüllten Rettungsbooten mit Flüchtlingen auf hoher See wichtiger sind als Einzelschicksale.« Und so erzählt »Another Day of Life« nicht nur von Kapuścińskis Recherche, sondern beleuchtet die Motive und das Handeln von Beteiligten des Konflikts. Wichtige Figuren sind die junge Kämpferin Carlota, der portugiesisch-stämmige General Farrusco und nicht zuletzt Kapuścińskis Kollege Artur Queiroz. Die beiden Männer haben überlebt, sie gehören auch zu den Zeitzeugen, die in den Interviews im Film zu Wort kommen und über die damaligen Ereignisse reflektieren. Sie alle kannten Kapuścińskis Buch, sagt de la Fuente: »Sie bestätigten uns, dass es sehr genau die damalige Situation widerspiegelt.«

 

Zur Vorbereitung, und um die animierten Sequenzen möglichst authentisch zu realisieren, reiste de la Fuente 2011 mit einem Team selbst nach Angola und fotografierte und drehte an den realen Orten. Eine weitere wichtige Quelle waren Fernsehinterviews, die der Portugiese Luis Alberto 1975 in Angola mit Carlota und anderen Kämpfern führte. Die Animationssequenzen sind bisweilen abstrakt und surreal, spiegeln eher die emotionale Ebene. Der 1932 geborene und 2007 verstorbene Kapuściński bezeichnete »Wieder ein Tag Leben« als sein persönlichstes Buch: »Es geht darin nicht um Krieg oder die Kriegsparteien, es geht um die Beschreibung des Gefühls der Verlorenheit, um das Unbekannte, die Unsicherheit des eigenen Schicksals.«

 

Während de la Fuente hauptverantwortlicher Autor des Drehbuchs war und sich Nenow um technische Aspekte kümmerte, betonen beide, dass sie alle wichtigen Entscheidungen zusammen getroffen haben. »In unseren Augen waren Animations- und Dokumentarteile gleichwertig. Es sollte ein organisches Ganzes werden, in der die Übergänge fließend sind.« Für de la Fuente stellte das Hybrid aus Dokumentarischem und Animation eine Herausforderung dar, aber er sieht darin eine konsequente Entscheidung ganz im Sinne Kapuścińskis: »Für ihn lag der Sinn des Lebens in der Überwindung von Grenzen. Und wir haben hier versucht, eine neue Filmsprache zu entwickeln, die dem Thema gerecht wird«.