Fritz Dinger (1827–1904), » Rotkäppchen mit dem Wolf«

Verkanntes Biest

Eine Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum ist den Wölfen auf der Spur

Sonnenlicht fällt scheinwerferartig auf einen Waldweg und erhellt eine märchenhafte Szene: die Begegnung von Rotkäppchen und dem Wolf, wie sie sich der Düsseldorfer Maler Ernst Bosch Ende des 19. Jahrhunderts vorstellte. Bei den Gebrüdern Grimm entwickelt sich die Geschichte bekanntlich fatal: Das Mädchen wird von dem Tier verschlungen, am Ende jedoch gerettet — auf Kosten des Wolfs, der dabei sein Leben lassen muss. Ernst Bosch entwirft eine andere, utopische Version dieser Erzählung: Das ungleiche Paar scheint sich, fasziniert voneinander, auf Augenhöhe zu begegnen. 

 

Die Beziehungen von Menschen und Wölfen waren immer schon wechselvoll, wie die Ausstellung »Der Wolf. Zwischen Mythos und Märchen« wunderbar vorführt. Der Parcours von dreißig druckgrafischen Werken beginnt im 16. Jahrhundert mit dem Mythos von Romulus und Remus, den Gründern Roms, die als Säuglinge von einer Wölfin genährt wurden. Am Ende des Rund-gangs steht ein ebenso ungewöhnliches Bild von Lovis Corinth, das eine Fabel über einen hinterhältigen Fuchs illustriert: Der führte eine naive Wölfin aufs Glatteis, wo sie festfror, und »übermannte sie leider«, wie es Johann Wolfgang Goethe formulierte. Andere Wolfsfantasien zeigen das Tier als Täter, der seine Zähne in das nackte Fleisch einer schönen Frau gräbt — auch im Rudel, wie in dem Blatt »Der Wolfsbrunnen« — und als Räuber, der vom Menschen zur Strecke gebracht wird. 

 

Damit betritt die Ausstellung aktuelles Terrain. Denn auch im 21. Jahrhundert sind Wölfe noch Projektionsflächen für menschliche Vorstellungen. Lange galten sie in Deutschland als ausgerottet. Vor knapp zwanzig Jahren kehrten die eleganten Langstreckenläufer über die polnisch-deutsche Grenze zurück, inzwischen machen sie fast täglich Schlagzeilen. Die einen fragen, wie das Zusammenleben mit dem unter Naturschutz stehenden Raubtier organisiert werden kann. Die anderen fordern »Obergrenzen« und, Stichwort »Lex Wolf«, das Recht auf Abschuss. Angesichts hysterischer Töne in dieser Debatte versteht Kurator Thomas Ketelsen die Ausstellung, mit der er sich vom Wallraf-Richartz-Museum verabschiedet, als Appell an das politische Unterscheidungsvermögen. Tatsächlich bietet die Beschäftigung mit den widersprüchlichen Wolfsbildern gute Gelegenheiten zur Selbsterkenntnis. 

 

 

Wallraf-Richartz-Museum, Di–So 10–18, 1.+ 3. Do im Monat 10–22 Uhr, bis 28.4.

Das empfehlenswerte Begleitheft zur Ausstellung kostet 9 Euro, cedon.de