Der Funktionär

Andreas Goldsteins erhellendes Porträt seines Vaters Klaus Gysi

Auf Deutsch heißt Andreas Goldsteins erster abendfüllender Dokumentarfilm »Der Funktionär«, auf Englisch »The Communist«, der Arbeitstitel lautete »Bilder meines Vaters«. Alle drei Titel eröffnen Wege in dieses wohltuend karge, trotz seiner Bestimmtheit sehr zarte Werk, das der politisch vielleicht wichtigste Film seit vielen Jahren über die DDR und ihr Vermächtnis ist. Ein Vermächtnis, das auch aus jenen Menschen besteht, welche seit 1991 in der BRD leben und sich hier verloren fühlen, wie die Protagonisten von Goldsteins wunderschönem Spielfilmdebüt »Adam & Evelyn«, das im Januar in den Kinos lief. »Der Funktionär« ist in erster Linie ein Film über Goldsteins (und Gregor Gysis) Vater: Klaus Gysi, der von 1966 bis 1973 Kulturminister der DDR war sowie von 1979 bis 1988 Staatssekretär für Kirchenfragen. In zweiter Linie ist der Film ein Selbstporträt — Goldstein sagt »Ich« und meint das auch.

 

Warum Gysi Kommunist wurde, erfährt man gleich zu Beginn aus einer Anekdote, die er wohl immer wieder erzählt hat, und die nun sein Sohn weitergibt. Der junge Gysi sieht, wie ein Arbeiter auf der Straße von Polizisten ermordet wird. Kommunismus und Kampf sind für ihn die einzige Antwort — alles andere wäre bloß Flucht. Gysi ging in den Widerstand, stellte sich in den Dienst der Partei und machte das gut. Er besaß eine bürgerliche Bildung, Intelligenz, Aura, war feinsinniger Kosmopolit. Das tat dem DDR-Kommunismus gut. Er erwies sich als bestens einsetzbar in brisanten Momenten: Er verbreitete Ruhe, genoss Vertrauen gerade bei den Künstlern und Intellektuellen. Gysi leitete von 1957 bis 1966 den Aufbau-Verlag.

 

Goldstein drückt diese Biografie nicht zu Gunsten halbrelevanter Privatismen in den Hintergrund: Er erinnert sich an diesen Kommunisten und Funktionär, sieht auch die Ermattung der DDR, deren Versacken im Stillstand. An einem Vergleich von Fernsehauftritten des Vaters zeigt er, wie aus dem charmanten Denker ein sich immer ungelenker bewegender Mann mit Geschichte wird, einer, an dem die Zeit vorbeigeht. Ein Mann, verloren in einem Land, das mit seinen Idealen immer weniger zu tun hat.

 

Goldstein spricht melodisch, melancholisch und bei aller Weichheit mit klarem Rhythmus. Er schaut auf Bilder, sucht in Bildern, evoziert Bilder. Dabei spricht der 1964 geborene Berliner immer wieder von sich selbst auch als DDR-Bürger, als jemand, der in der Ermüdung des Vaters und seines Landes aufwuchs, dessen Enttäuschung teilt. In seiner Seele hat Goldstein jenen Staat jedoch nie verlassen, in dem der Vater vielleicht nie wirklich ankam.

 

 

Der Funktionär. D 2018, R: Andreas Goldstein, 72 Min. Start: 11.4.