Hinter der Fassade der Smart City

Die Klangkunst-Pionierin Christina Kubisch bei der reihe m

Ob die Sicherheitsschranke im Kaufhaus, die Automatenterminals in der Bank oder der Stromkasten an der Straßenecke: sie brummen, ticken, rauschen unentwegt. Christina Kubisch macht die elektromagnetischen Felder dieser stromdurchflossenen Orte und Apparate mittels Induktivtechnik hörbar. Vor 15 Jahren startete sie in Köln ihre »Electrical Walks«, bei denen ihr Publikum mit Induktionskopfhörern ausgestattet einen festgelegten Stadtparcour absolvierte. Seither hat sie über sechzig Städte von New York bis Tallinn zu einer Klanglandschaft verwoben, die den Hörer hinter die Fassade unserer »smarten« Umwelt blicken lässt.

 

Kubisch hat über die Jahre eine Entwicklung in der Beschaffenheit dieser Klanglandschaft festgestellt: »Analoge Sounds, etwa von alten Trams, sind melodiös, digitale mehr scharfkantig und rhythmisch — und von letzteren haben wir immer mehr«, erklärte sie kürzlich in einem Interview. Unsere Alltagsumgebung wird rhythmischer und ist zunehmend binär getaktet. Was das über unsere Lebenswelt aussagt und wie uns die Automatisierung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle beeinflusst, darüber darf man jenseits von Elektrosmog-Paranoia spekulieren. Kubisch durchstößt mit ihren »Electrical Walks« die Benutzeroberflächen der Stadt und gibt dem Passanten ein Stück — freilich sinnenverwirrende — Souveränität zurück.

 

Christina Kubisch gehört zu den Pionieren der Klangkunst, sie ist seit vierzig Jahren aktiv. Neben der ästhetischen Nähe zu Pauline Oliveros’ Deep-Listening-Meditationen und Eliane Radigues pränatalen Feedback-Schleifen tritt bei Kubisch aber vor allem die Fokussierung auf Raum und Licht und ein aufklärerisches, aber nicht missionarisches Interesse an den technologischen Bedingtheiten des modernen Lebens.

 

Zunächst bewegte sich die Arbeit der 1948 in Bremen geborenen Kubisch zwischen Instrumentalmusik und Musiktheater, Malerei und Installation. Unter den in den späten 70ern bis Mitte der 80er in Mailand (wo sie von 1974-86 lebte) entstandenen Arbeiten ragt »Night Flights« heraus. Bei dem im November 1986 kurz vor ihrer Übersiedlung nach Berlin im Studio von Riccardo Sinigaglia aufgenommenen Album handelt sich um eine Art »Nachtmusik«. Mit den überblasenen und archaischen Klängen von Glas-Flöten, Field Recordings und einem kreiselnden Drumloop formiert sich eine somnambule »natur-elektronische« Klanglandschaft. »Night Flights« und das (auch) auf den »Electrical Walks« basierende »Spectral Cities« (2018) werden von Kubisch jetzt in Köln selbst aufgeführt.

 

 

Performance: Mi 24.4., Alte Feuer-wache, 20 Uhr, im zweiten Teil des Abends trifft Kubisch auf Peter Kutin und Florian Kindlinger