Foto: Marcel Wurm

»Wer kritisch berichtet, dem droht haft«

Adil Demirci ist frei und dennoch gefangen. Der Kölner Journalist und Sozialarbeiter saß zehn Monate in der Türkei in U-Haft. Mittlerweile ist er auf freiem Fuß, darf aber Istanbul nicht verlassen. Warum, das erklärt er im Interview

Herr Demirci, im Februar wurden Sie nach zehn Monaten Untersuchungshaft aus dem Gefängnis entlassen. Wie geht es Ihnen?

 

Besser. Ich habe etwas Zeit gebraucht, um alles zu verstehen und zu realisieren. In den ersten zwei Wochen haben mich viele Freunde und Verwandte besucht. Da verging die Zeit sehr schnell. Jetzt kommt die Routine. Ich darf die Stadt nicht verlassen, meine Arbeit und die Familie sind aber in Deutschland. Nun verbringe ich meine Tage damit, nachzulesen, was in den vergangenen zehn Monaten passiert ist. 

 

 

Wie sehr waren Sie denn im Gefängnis von der Außenwelt abgeschlossen?

 

Wir hatten Fernsehen mit vielen Kanälen, aber die haben meist aus der Türkei berichtet. Aus Deutschland habe ich wenig mitbekommen, eigentlich nur, wenn ich mit meiner Familie telefoniert habe. Auch die Mitarbeiter des deutschen Konsulats haben mir manchmal Zeitungsartikel mitgebracht. Außerdem wurde mir gesagt, es gebe in der Gefängnisleitung keinen Übersetzer für Deutsch. Daher konnte ich keine Briefe auf Deutsch versenden und bekam Briefe auf Deutsch mit drei bis vier Monaten Ver-zögerung, wenn überhaupt.  

 

 

Das Gericht hat verfügt, dass Sie Istanbul bis zum Prozessende nicht verlassen dürfen. Darf Ihre Familie Sie besuchen?

 

Meine Mutter will mich besuchen, aber da kommt es auf den Fortschritt ihrer Krebstherapie an. Wahrscheinlich wird sie erst im April kommen, kurz bevor der Prozess weitergeht. 

 

 

Können Sie in Istanbul journalistisch arbeiten?

 

Die Anwälte haben mir geraten, möglichst wenig Kritisches zu veröffentlichen, weil das zum Anlass genommen werden könnte, um alles hinauszuzögern. Ansonsten unterliege ich keinen Beschränkungen, etwa einer Meldepflicht bei den Behörden. Ich bin in Deutschland beim Internationalen Bund (IB) angestellt und habe junge Geflüchtete bei der Suche nach beruflichen und schulischen Perspektiven geholfen. Der IB hat mich die ganze Zeit über unterstützt und zahlt auch weiterhin mein Gehalt. 

 

 

Sie sind im April 2018 in der Nacht aus dem Bett heraus verhaftet worden. Was genau wird Ihnen vorgeworfen?

 

Mir wird vorgeworfen, an öffentlichen Demonstrationen teilgenommen zu haben, die von der Stadt und den Behörden genehmigt waren und zum Teil sechs Jahre zurückliegen. Nebenbei habe ich für die linke Nachrichtenagentur Etha gearbeitet und war bei größeren Veranstaltungen wie Wahlkundgebungen und Beerdigungen von kurdischen Kämpfern. Diese drei Punkte wurden in der Anklageschrift dafür genutzt, mich zu beschuldigen, Mitglied einer Terrororganisation zu sein. In der Anklageschrift sind auch Fotos dieser Aktionen. Darauf sieht man, dass ich am Rand stehe und keine Transparente hochhalte oder ähnliches. Ich habe die Veranstaltungen nur beobachtet und darüber berichtet. Tausende Menschen haben daran teilgenommen.

 

 

Dem Welt-Journalisten Deniz Yücel wird seine Berichterstattung über die Kämpfe in den Kurdengebieten vorgeworfen. Wie ist das bei Ihnen?

 

Wie bei Deniz Yücel wurde auch mir anfangs »Terrorpropaganda« vorgeworfen. Mittlerweile ist das aus der Anklageschrift gestrichen, vermutlich, weil sie nichts gefunden haben. Jetzt wird mir »nur« noch Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen, was aber schwerwiegender ist.

 

 

Worüber haben Sie denn als Journalist berichtet?

 

Ich war bei Etha hauptsächlich im Büro und habe dort Weltnachrichten aus dem Englischen und Deutschen ins Türkische übersetzt. Außerdem habe ich kleine Reportagen oder Berichte von Veranstaltungen im Inland geschrieben, etwa von Demonstrationen zum 1.Mai oder Wahlveranstaltungen. 

 

 

Zu welchen Themen berichtet Etha?

 

Etha ist eine linke Nachrichtenagentur mit Hauptsitz in Istanbul. Die Agentur berichtet über die täglichen Ereignisse in der Türkei und verzichtet dabei nicht auf Kritik. Vor allem wurde Etha bekannt, als andere oppositionelle Medien die Berichte der Nachrichtenagentur während der Gezi -Proteste übernahmen. Viele dieser Oppo-sitionsmedien wurden zum Teil 2016 geschlossen, etwa der alevitische Kanal TV10 und Yol-TV aus Köln, oder die TV-Sender IMC und Hayat TV. Auch eine größere Mediengruppe aus dem Westen hat die Nachrichten von Etha übernommen.

 

 

In der Türkei vergibt der Staat die Presseausweise, nicht wie in Deutschland die Berufsverbände. Etha ist vermutlich nicht vom Staat anerkannt?

 

Nein, die meisten oppositionellen türkischen Nachrichtenagenturen und Journalisten sind dort nicht anerkannt. Jetzt gerade wurde ja der Presseausweis des ZDF-Studioleiters in Istanbul erst nach langem Tauziehen verlängert.
Das ist eine neue Qualität der Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Das ist ja öffentlicher Rundfunk, der hat einen ganz anderen
Status als eine kleine Nachrichtenagentur. Wer in der Türkei kritisch berichtet, dem droht Haft. Und wer nicht inhaftiert werden kann, dem droht die Ausreise. 

 

 

Sie stehen mit 23 weiteren Menschen vor Gericht. Was wird ihnen vorgeworfen?

 

Am Tag meiner Festnahme wurden vier weitere Etha-Mitarbeiter festgenommen. Aber vor Gericht stehe ich nicht mit ihnen, sondern mit Menschen, die in zwei Razzien gegen die kurdische Partei PSK und bei einer 1.Mai-Demo verhaftet wurden. Die meisten Angeklagten kennen sich untereinander nicht, aber uns werden ähnliche Dinge vorgeworfen: Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen wie Demonstrationen oder Beerdigungen oder kritische Facebook-Posts. Dazu dann Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Terror-Propaganda. 

 

 

Was ist mit diesen 23 Angeklagten passiert?

 

Nach der ersten Verhandlung im November wurden sechs Menschen freigelassen, sechs blieben in Haft. Jetzt, bei der zweiten Verhandlung im Februar, wollte die Staatsanwaltschaft fünf Personen freilassen, aber der Richter hat nur auf zwei entschieden. Das kommt nicht oft vor und war eine große Überraschung. Ich hoffe, sie werden beim nächsten Verhandlungstermin im April freigelassen.

 

 

Vertrauen Sie der türkischen Justiz noch?

 

Das ist eine schwierige Frage (lacht). Ich hoffe, dass die Richter nach Gesetz entscheiden. Wenn man sich die Anklageschrift anschaut — es gibt keine Beweise für die Vorwürfe gegen mich. Ich hätte also gar nicht so lange in der Untersuchungshaft bleiben dürfen. Aber die juristische Lage in der Türkei ist natürlich sehr schwierig. 

 

 

In Deutschland gab es viel Unterstützung für Sie. Ihr Bruder Tamer hat mehr als 40 Mahnwachen veranstaltet, es waren Vertreter aus Köln beim Prozess in der Türkei. Wie wichtig war dies?

 

Sehr wichtig. Es hat mir sehr viel Kraft und Hoffnung gegeben, dass meine Familie, meine Freunde, mein Arbeitgeber und meine Kollegen gemeinsam die Mahnwachen organisiert haben und auch zum Gericht gekommen sind. Diese Solidarität hat die Isolation im Gefängnis aufgebrochen. Viele Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen, die ich zum Teil gar nicht persönlich kenne, haben mir Briefe geschrieben. Diese Briefe haben mir Kraft und  Mut geschenkt. Ich denke, die Solidaritätsarbeit hatte auch Einfluss auf die Verhandlung in der Türkei. Schließlich war  auch eine Delegation vor Ort, mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich, Jörg Detjen von der Kölner Linken, Günter Wallraff und zwei Vertreterinnen vom Internationalen Bund. 

 

 

Ihr Prozess wird am 30. April fortgesetzt. Was erwarten Sie?

 

Wir hoffen, dass die vier Leute, die in U-Haft sind, auch noch freikommen werden. Meine Anwälte und ich fordern, dass meine Ausreisesperre aufgehoben wird, damit ich endlich nach Deutschland zurückkehren kann. Aber ob es so kommen wird, weiß ich nicht.

 

 

 

 

Adil Demirci ist 33 Jahre alt und lebt in Köln. 1992 kam er als Kleinkind mit seinen Eltern nach Bochum, wo er aufwuchs und später Sozialwissenschaften studierte. 2015/2016 war er für ein Promotionsstudium in der Türkei und arbeitete als Jour-nalist für die Nachrichtenagentur Etha. Zuletzt hat Adil Demirci in Remscheid für den Internationalen Bund gearbeitet, wo er jugendliche Migranten beraten hat.

 

Mahnwache

Adil Demircis Bruder Tamer organisiert jeden Mittwoch eine Mahnwache für inhaftierte Journalist*innen in der Türkei. Beginn ist um 18 Uhr am Wallrafplatz