Wirklich frei ist niemand

 

Ersan Mondtag spaltet am Schauspiel Köln mit seiner »Räuber«-Inszenierung die Gemüter

Er ist Dauergast beim Berliner Thea­tertreffen, in diesem Jahr bekommt er den 3sat-Kulturpreis. Ersan Mond­tag zählt zu den angesagtesten Regisseuren im deutschen Sprachraum. Er hat eine unverwechselbare Handschrift: düstere Bühnenwelten, an Schauerromantik, Franz Kafka und David Lynch erinnernd, verstörende Soundtracks, surreale Bilder.

 


Nun hat er sich in Köln Friedrich Schillers »Räuber« vorgenommen — ein Stück, das vor allem durch seine von Leidenschaft durchglühte Sprache lebt. Von der allerdings ist nur selten etwas zu spüren, weil die Schauspieler über Mikroports sprechen und einige Szenen als Film projiziert werden. Darin spielen die Schauspieler, wie man meist vor einer Kamera spielt, glaubhaft und  psychorealistisch.

 


Die von Ersan Mondtag selbst entworfene Bühne ist zweigeteilt. Rechts gibt es einen mit Wasser ge­­fülltem Tümpel und eine Projek­tions­fläche. Die meisten Szenen der »Räuber« sind Videos, die im Wald gedreht wurden. Links steht ein dreh­­bares Haus neben einem Denk­mal im Diktatorenstil. Hier intrigiert Karls Bruder Franz, um das Herz der schönen Amalia zu erobern und seinen Vater in Tod und Wahnsinn zu treiben.

 


Franz und Karl Moor werden in der Kölner Aufführung von jungen Frauen gespielt, Amalia hingegen ist ein Mann. Vor allem Sophia Burtscher als Franz macht das großartig, brodelnd, unberechenbar, voller Zwischentöne. Da geht es weniger um Tiefen der Gendertheorie als vielmehr um die Tatsache, dass Schiller nur eine Frauenrolle geschrieben hat — und die nicht besonders vielschichtig ist. Ein Vokalquartett in Hexenkostümen mit spitzen Hüten und dunklen Umhängen bewegt sich singend über die Szene. Den schwebenden, leicht schrägen Soundtrack hat ein Streichquartett eingespielt.

 


Am Ende des Abends kommen alle zusammen, die Räuber und die Adligen, die Lebenden und die To­ten. Sie stehen gemeinsam im Tümpel, über ihnen rezitiert per Video die Schauspielerin Thelma Buabeng ei­nen Monolog der Publizistin Caro­lin Emcke. Sie fordert auf zur Ehrlich­keit. Die rechtspopulistischen Räuberbanden von heute sollen keine Erzählung konstruieren, sondern direkt sagen, dass es Menschenhass ist, der sie antreibt. Wirk­lich frei, sagt Carolin Emcke, ist nie­mand, egal, auf welcher Seite der Gesellschaft er steht. Darüber nachzudenken, wäre eine Gemeinsamkeit.

 


Das Publikum protestiert laut, als Ersan Mondtag mit seinem Team auf die Bühne kommt. Der Applaus — zuvor mit einigen Bravos für das Ensemble durchsetzt — verebbt schnell. »Die Räuber« sind ein in seiner Langsamkeit manchmal nervender, aber oft auch faszinierender Theaterabend voll anre­gender Gedanken.

 



A: Friedrich Schiller, R: Erdsan Mondtag