Nehmt die Produktionsmittel selbst in die Hand

 

Mit Mavi Phoenix und Ilgen-Nur sind zwei junge Künstlerinnen Stars der diesjährigen c/o pop

Selbstverständlich lehnen viele Musiker*innen Zuschreibungen ab. Häufig laufen diese dem eigenen Verständnis oder der eigenen Vermarktungsstrategie entgegen. Eines der bekanntesten Beispiele der jüngeren deutschsprachigen Popgeschichte dürften immer noch Tocotronic sein, die 1996 ihren Comet in der Kategorie »Jung, Deutsch und auf dem Weg nach oben« ablehnten. Für einen Award wollten sie sich nicht unter dieser Kategorie subsumieren lassen.

 


Dergleichen Einsortierungen dürften auch der Stuttgarter Wahl-Hamburgerin Ilgen-Nur zuwider sein. Kaum war ihr Debüt »No Emotions« 2017 in den Channels erschie­nen, stürzte sich das vornehmlich männliche Personal der deutschen Pop-Hörerschaft und des Musikjournalismus auf die »freche«, »türkisch-deutsche« »Slackerqueen«. Dabei geriet schnell in Vergessenheit, dass man nicht nur eine »Hoffnung für die deutsche Pop-Musik« vor sich hatte, sondern eine ernstzunehmende Künstlerin; eine, die en passant so etwas wie den deutschen Anti-Folk wiederbelebte — sofern es diesen je gab. Die Vorbilder sind gleichwohl nicht Adam Green oder Ben Kweller, sondern die weib­lichen Akteure des Songwriter-Pops der letzten 15 Jahre. Kate Nash und ihr Hit »Foundation« hat dementsprechend nicht nur Lena Meyer-Landrut in die Herzen der Deutschen gespült, sondern auch Ilgen-Nur zum Musizieren gebracht.

 


Es hätte dennoch anders kommen können: Wo heute Selbstbewusstsein und eine frische Brise herrscht, war ehedem ein zurückhaltendes Teenager-Girl. Doch die Sichtbarkeit von Künstlerinnen aus dem Bereich Indie, Folk und Singer/Songwriter (Courtney Barnett, Angel Olsen, etc.) ermöglicht es, selbstbewusst mit dem eigenen Können und Schaffen umzugehen und zu experimentieren — abseits des männ­lich-dominierten deutschen Indie-Umfelds. So konnte für die EP »No Emotions« nicht nur Max Rieger von den Nerven als Produzent gewonnen werden, sondern sogleich der Support-Slot bei der Hallentour der einstigen Award-Ablehner von Tocotronic vortrefflich gefüllt werden. Ende des Jahres kommt dann auch das Debüt-Album, das sehnlichst erwartet wird.

 


Glücklicherweise hat das c/o-pop-Festival, wo Ilgen-Nur in der neugeschaffenen Programmstrecke c/o Ehrenfeld auftreten wird, den Trend um gender-balanced booking nicht verschlafen und die Quote der female acts in den letzten Jahren gesteigert. Dies führt sogleich zum zweiten weiblichen act to watch, den das c/o Ehrenfeld an prominenter Stelle präsentieren wird: Mavi Phoenix.

 


Die Österreicherin Marlene Nadler durfte schon vor zwei Jahren am Abschlussabend des Festivals auftreten. Wo Ilgen-Nur zur Gitarre greift, vermag Mavi Phoenix  mit HipHop-Beats begeistern. In dem weitgehend männlich-domi­nierten  Metier der (Sound-)Cloud-Rapper steht sie ihre »Frau« und ist in der Heimat schon mehr als nur ein Insider-Tipp; dies beweist nicht nur der FM4-Amadeus-Award (vergleichbar mit dem Nachwuchs-Echo), den sie jüngst einheimsen konnte. Wo andere noch auf Deutsch rappen, entschied sich Mavi Phoenix schon früh für den englischen Sprech­gesang — für jemanden, der schon im Kindergarten englisch sprechen lernte, keineswegs abwegig.

 


Während in Österreich das »akzentfreie Englisch« gefeiert wird (so der Kurier), kommt man nicht umhin, die Prosodie der Linzer Heimat doch herauszuhören. Gerade bei den Ansagen und Shout-Outs zwischen ihren Tracks wird das breite Oberösterreichisch zelebriert. Musikalisch orientiert sie sich dennoch selbstverständlich an internatio­nalen Standards: So bringt sie nicht nur die aktuelle Mischung aus ­HipHop, Pop und Trap aufs ­Tableau und über die Konzertan­lagen, sondern auch sehr viel Autotune. Was den männlichen Kollegen gerade recht ist, kann den weiblichen Rapperinnen eben auch billig sein. Und der Erfolg gibt ihr bekanntlich recht. Airplays und Stream-Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mavi Phoenix, benannt übrigens nach River Phoenix, ist in den Charts angekommen. Vergleiche mit der britischen Künstlerin M.I.A. liegen vielleicht nicht auf der Hand, werden dennoch immer wieder bemüht. Festhalten kann man dennoch: Dem hohen internatio­nalen Pop-Standard wird die Öster­reiche­rin mit ihren Produktionen mehr als gerecht. Auf ihrer letzten EP »Young Prophet II« zeigt sich Mavi Phoenix in Top-Form.

 


Damit sendet die c/o pop gleich mehrere positive Signale: Erstens ist es möglich, als weiblicher Act mittlerweile auch bei Festivals nicht in den Neben- und Nachmittagsspots ausgeschlachtet zu werden; zweitens wird man vor allen Dingen für die Kunst wahrgenommen und nicht auf Grund irgendwelcher Kategorisierungen, die man im Zweifel eh nicht annehmen möchte. Das könnte und darf gerne zu weiteren selbstbewussten Künstlerinnen führen; ganz nach dem Motto: Nehmt die Produktionsmittel selbst in die Hand.