»Burning«
Auch wenn er auf sämtlichen Filmfestivals der Welt längst Stammgast ist und jedes seiner Werke mit Preisen überhäuft wird, ist »Burning« erst der zweite Film des Südkoreaners Lee Chang-dong, der in Deutschland ins Kino kommt. Zwar ist die Filmnation am gelben Meer schon lange kein blinder Fleck auf der Kinolandkarte mehr, doch steht Lee, wenn es um die Wahrnehmung einer größeren Öffentlichkeit geht, im Schatten seiner exzentrischeren Landsleute. Zwischen Enfant terribles wie Kim Ki-duk (»The Isle«), Hyperstilisten wie Park Chan-wook (»The Handmaiden«) und Krawallbrüdern wie Kim Jee-woon (»Bittersweet Life«) hat es ein schnörkelloser Erzähler wie Lee schwer. In einer gerechten Filmwelt wäre seine brillante Murakami-Adaption »Burning« der Film, der diesen Zustand ändern würde.
Lange Zeit ist nicht ganz klar, welche Richtung Lees sechster Film einschlagen wird. Zeigt er ein Außenseiterporträt des angry young man und Möchtegern-Autors Jong-su, der sich mit Plackerei seinen Lebensunterhalt verdient und im Stillen einen Groll auf die Welt hegt? Eine Lovestory über seine ungeschickte Liebelei mit der neurotischen Provinz-Femme-fatale Hae-mi? Oder doch ein Gesellschaftsdrama über das von Standesdünkel geprägte Gegenwarts-Korea, in dem die Sieger und Verlierer bei der Geburt feststehen? Lees Meisterschaft zeigt sich in der mühelosen Eleganz seiner tonalen Balanceakte. Statt auf inszenatorische Kraftmeinerei zu setzen, investiert er in die Zeichnung vielschichtiger Figuren.
Dass drei (mindestens) einer zuviel sind, zeigt sich, als die Amour fou sich erweitert. Der ebenso elegante wie wohlhabende Playboy Ben tarnt seinen Snobismus gern als Charme und gewinnt Hae-mi im Nu für sich. Damit findet eine weitere toxische Zutat ihren Weg in den ohnehin giftigen Beziehungscocktail. Und doch: Für flüchtige Momente während eines von Marihuana-Schwaden umwehten Sonnenuntergangs scheint es, als würde das ungleiche Trio gemeinsam schweben. Der Zuschauer ahnt aber, dass sich die durch Liebe, Schmerz und Misstrauen aneinandergefesselte Ménage à trois längst im freien Fall befindet.
Dass auch Ben nicht das beste Beispiel für geistige Gesundheit ist, deutet sich im nonchalanten Bekenntnis an, gelegentlich leerstehende Gebäude anzuzünden. Nur eine Stichelei in Richtung von Jong-sus Schriftsteller-Ambitionen oder gar eine Anspielung auf William Faulkners Kurzgeschichte »Brandstifter«, an die sich auch Murakamis Text anlehnt? Meint er es ernst, oder ist das heimliche »Scheunenabbrennen«, so der Titel von Murakamis Kurzgeschichte, eine Chiffre für noch schlimmere Untaten, wie es zunächst Jong-su und bald der Zuschauer befürchtet?
Sanft und sacht und doch unaufhaltsam gleitet »Burning« in Thriller-Gefilde und vermeidet es, seine erzählerische Präzision durch billigen Genre-Budenzauber zu unterlaufen. Nicht die lang drohende Eskalation fesselt, sondern der Schatten des Zweifels, der den Verstand eintrübt und böse Ängste zu bösester Realität werden lässt. Selbst Claude Chabrol in seinen besten Tagen wäre stolz gewesen auf die Stilsicherheit, mit der eine Desorientierung heraufbeschworen wird, die auf ihre zwangsläufige Entladung zustrebt. Das lang angedrohte Gewitter wird eintreten. Klären wird es nichts.
Burning (Beoning) KOR 2018, R: Lee Chang-dong, D: Yoo Ah-in, Steven Yeun, Jeon Jong-seo. 148 Min. Start: 6.6.