Wärmedämmung dank horizontaler Würste

Materialien zur Meinungsbildung /// Folge 209

Wir tragen jetzt alle Wurstjacken. Bei mir kam das so: Die Verkäuferin fragte, ob ich eine »stylishe Begleitung für die Übergangszeit« bräuchte? Ich fand das aufdringlich. Ich sagte, ich bräuchte keine »Begleitung«, sondern »Bekleidung«. Die Verkäuferin meinte aber styli­she Wurstjacken. Die hatte ich schon mal gesehen, im Fernseher. Viele Fußballtrainer tragen jetzt Wurstjacken. Immer springen sie von ihrer Trainerbank auf und setzen sich wieder hin. Mit Wurstjacke brauchen sie dann nicht immer den Sakko-Knopf auf- und zuzumachen. Wurstjacken tricksen die Etikette aus. Und man sieht richtig flott darin aus, sagte die Verkäuferin. Von ihr lernte ich auch, dass Wurstjacken nicht Wurstjacken heißen, sondern Steppjacken. Es ist Funktionskleidung. Die Funk­tion einer Wurstjacke ist es, leicht und warm zu sein. Mehr kann man von Jacken nicht verlangen. Da gab mir die Verkäuferin recht.

 


Meine Wurstjacke fühlt sich an, als seien Bratwürste frisch vom Grill ins Futter eingewoben worden, wo sie auf immer warmgehalten werden. Wärmedämmung ist wichtig. Mit meiner Wurstjacke bin ich energiepolitisch ganz weit vorne. Doch bestehen Wurstjacken aus Polyamid. Das klingt jetzt erst mal progressiv: Polyamid. Die neueste Gender-Variante? Ein Nahrungs­ergänzungsmittel? Designerdroge? Nee, Polyamid ist Kunststoff. Kunst ist ja gut, aber Kunst»stoff« ist schlecht. Polyamid hält kuschelig warm, ist aber giftig. Die Beziehung zu meiner stylishen Begleitung ist toxisch. Polyamid ist das Asbest der Oberbekleidung. Die Wurst­jacken-Entrepreneure brauchen für Polyamid außerdem viel Erdöl aus diktatorisch regierten Entwicklungsländern. Also doch besser Zobel, Nerz oder Hermelin? Die sind zwar Naturstoff — und Naturstoff ist gut —, aber tote Tiere gehen gar nicht, »Glam« hin, ­»retro« her. Also doch die Wurst­jacke.

 


Heikel ist neben Polyamid und Erdöl aber auch die Polsterung. Polster sind modemäßig echt »out«. Die berühmtesten und zugleich berüchtigtsten Polster sind Schulterpolster, die in den 80er Jahren in Damensakkos steckten. Mehr Denver Clan geht nicht. Die Abendgarderobe erinnerte an die Aus­rüstung für American Football. Das Sakkoknopf-auf-und-zu-Etikette-Problem verblasste dagegen. Damals waren solche Sakkos ­»power dressing«, mit Gongschlag 1990 verschwanden sie dann. Nun sind wir wieder gepolstert, mit Wurst­jacken. Was sagt uns das über die Zeitläufte? Ich glaube, die gepolsterte Wurstjacke ist »hygge to go«.

 


Aber Wurstjacke ist nicht gleich Wurstjacke. Man muss unterscheiden zwischen Qualität und Wühltisch-Ware. Gesine Stabroth sagte mir, es verhalte sich umgekehrt wie bei Badkacheln. Badkacheln? ­Gesine Stabroth sagte: »Hör zu! Die Qualität gekachelter Bäder erkennt man an der Größe der Kacheln. Je größer, desto besser. ›Size matters‹.« Kacheln mit dem Maß 20 × 33,3 cm sind die größten, die im Fachhandel erhältlich sind. Sonderanfertigungen sind gegen Aufpreis möglich. Meiden Sie Billigware aus ­China oder erdöl­produzierenden Diktaturen. Wäre dann also ein Bad, dass nur aus einer einzigen Kachel besteht, das vornehmste? Ich überlegte. Aber Gesine Stabroth war schon bei den Wurstjacken. Dort sei es umgekehrt. Wurstjacken mit möglichst vielen Steppnähten sind hochwertiger. Je mehr Wurst, desto besser. Meine Wurstjacke zählt 16 Wurst-Horizontalen. Für Einsteiger ein guter Wert, dachte ich.  

 


Aber dann sagte Gesine Stabroth: »Dreh dich mal um, aus den Nähten kommen so komische Krümel oder Fäden raus, boah!« Jetzt weiß ich, wie sich Verwaltungsgebäude der 80er Jahre fühlen, die wegen Asbest geschlossen werden. Beruhigend ist nur, dass ich jetzt weiß, dass nicht wirklich Bratwürste da drin sind. Aber ich brauche eine neue Begleitung, stylish ist nicht so wichtig.