Eine einmalige Chance

 

Immer mehr Filme buhlen im Kino um die Zuschauer, die Folge:

Das Kino nähert sich dem alten, linearen Fernsehen an — besonders in Städten wie Köln

 

Wer kennt es nicht: Man möchte ins Kino gehen und hat auch endlich einen Abend gefunden, an dem auch der Freund oder die Freundin Zeit hat, mit der man nach dem Film so gut in der Kneipe diskutieren kann. Doch man stellt fest, dass der Film, den man unbedingt sehen wollte, gar nicht mehr läuft. Wer das Gefühl hat, so etwas passiere immer häufiger, täuscht sich nicht. Um 22 Prozent ist in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Kinofilme gestiegen, die in Deutschland starten — 2018 auf stolze 641 laut Erhebung der deutschen Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. Das sind 53 pro Monat oder ein Dutzend pro Woche. Zugleich ist die Anzahl der Kinos leicht zurückgegangen.

 


Es herrscht also ein immer gnadenloserer Verdrängungswettbewerb. Wenn ein Film in der ersten Woche beim Publikum nicht ankommt, ist er in der folgenden vielleicht schon wieder aus der Stadt verschwunden. Für Köln gilt das in besonderem Maße: Dreizehn Erstaufführungskino gibt es momentan in der Stadt, zählt man das Autokino in Porz mit. Das sind pro Einwohner lediglich halb so viele wie in Berlin.

 


Kinos und Verleiher machen aus der Not eine Tugend. Immer öfter laufen Filme — oftmals gerade die interessanteren — nur noch einen oder bestenfalls wenige Tage im Kino. Verkauft wird das dann gerne als exklusives Event. Aktuelles Beispiel: Am 15. Juli kommt Francis Ford Coppolas »Apocalypse Now« frisch digital restauriert und aufgepimpt in einer neuen, angeblich letzten Schnittfassung für einen Tag auf die Leinwand. Schon seit längerer Zeit kennt man diese Auswertungsform in Deutschland von japanischen Animefilmen. Der vom Einspielergebnis erfolgreichste Anime aller Zeiten, Makato Shinkais »Your Name«, sollte Ende 2017 nur für zwei Tage hier ins Kino kommen. Als alle Vorführungen schnell ausverkauft waren, wurden allerdings hastig Termine nachgebucht. Ähnlich ist es mit der jüngsten Folge des »Dragonball«-Franchises: »Dragonball Super: Broly«. Im Januar lief er deutschlandweit im Rahmen der monatlichen »Kazé Anime Nights« und erreichte laut Angaben des Verleihers an diesem einen Tag mehr als 100.000 Zuschauer — mehr als die meisten Filme mit regulärer Auswertung in Deutschland.

 

Zum Vergleich: Christian Petzolds hoch gelobter »Transit« brauchte drei Monate, um eine knapp sechsstellige Besucherzahl zu erzielen. »Dragonball Super: Brody« wird daher, diesmal mit deutscher Synchronisation, noch einmal am 30. Juli in den deutschen Kinos zu sehen sein.
Diese Kürzest-Kinoauswertungen sind natürlich auch gute Marketinginstrumente, um den manchmal wenig später folgenden Heimkinostart zu bewerben — jede Zeitung, jedes Newsportal bespricht Kinostarts, aber längst nicht alle auch DVD-Veröffentlichungen. Bei »Apocalypse Now — Final Cut« liegen zwischen Kinoauswertung und DVD-Veröffentlichung gerade einmal etwas mehr als ein Monat.

 


Das Phänomen erstreckt sich natürlich auch auf weniger zuschauerstarke Segmente des Kinomarkts. Vor allem im Dokumentarfilmbereich sind so genannte »Kinotouren« mittlerweile gängige Mittel, um Menschen in die Kinos zu locken. Das heißt, Filmemacher touren mit ihrem Werk durch die Lande und stellen sich anschließend dem Publikum zum Gespräch. Manchmal laufen die Filme anschließend regulär in diesem Kino an, oftmals bleibt es aber bei dieser einen Vorführung. Auch Spielfilme bekommen so immer öfter eine Miniauswertung — vor allem in Städten mit verhältnismäßig wenigen Kinos wie Köln. Das Roadmovie »Wenn Fliegen träumen« hat Ende Juni einen offiziellen Deutschlandstart, wird in Köln aber voraussichtlich nur an zwei Tagen zu sehen sein. Regisseurin Katharina Wackernagel hat sich zur ersten Vorführung am 30. Juni angekündigt. Da sie ein bekanntes Fernsehgesicht (»Stralsund«) ist, wird es bestimmt voll im Odeon. Aber offenbar reicht das Vertrauen in den Film nicht aus, um ihn ohne diesen Bonus regulär zu spielen.

 


Noch schwieriger ist die Lage in Köln für Filme, die zwar zum Teil auf internationalen Festivals Preise gewonnen haben und hoch gelobt wurden, aber wegen ihrer Länge, Sperrigkeit oder einfach nur Originalität von Kinobetreibern als Publikumsgift eingeschätzt werden. Filme wagemutiger Verleiher wie Grandfilm oder Drop-Out-Cinema werden in Köln oftmals (wenn überhaupt) nur noch in Einzelvorstellungen gezeigt — entweder von Blu-ray gebeamt im Studio Argento im Hinterraum der Traumathek (siehe S. 53 in der Innenstadt oder auf der Schäl Sick in den Lichtspielen in Kalk, am 24. Juli etwa Radu Judes herausragender »Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen«.

 


Als sich das Kino in den 50er Jahren der Konkurrenz durch das Fernsehen erwehren musste, rüstete es technisch auf: Das Bild wurde breiter (Cinemascope), der Ton räumlicher, 3D, Geruchskino und andere Gimmicks erlebten kurze Moden. Wo es noch auf Jahrzehnte der heimischen Mattscheibe überlegen war, war die Verfügbarkeit: Das Fernsehen funktionierte linear, eine einmal verpasste Sendung konnte nicht nachgeholt werden, das Kino war im Vergleich deutlich flexibler. Heute scheint sich das umzudrehen: Mediathek und Streamingdienste bieten die Möglichkeit, über längere Zeiträume bequem Zugriff auf tausende Filme zu haben, ohne dafür das Haus verlassen zu müssen. Die Kinozuschauer müssen dagegen immer besser aufpassen, dass sie ihren Wunschfilm nicht verpassen.