»Das melancholische Mädchen«

 

Die Schriftstellerin Susanne Heinrich überrascht in ihrem Debütfilm mit einer ­feministischen Komödie

 

Am Ende des Films läuft das melan­cholische Mädchen vor einer Fototapete mit exotischem Strandmotiv. Irgendwann steigt sie vom Laufband und geht aus dem Bild. Diese letzte Sequenz scheint das moderne Äquivalent zum Film­ende eines klassischen Westerns: dem Ritt in den Sonnenuntergang. Doch die Andeutung einer verheißungsvollen Zukunft wäre in ihrem Fall wohl schon zu viel.

 


Das melancholische Mädchen folgt Generationen ebenso hübscher wie nachdenklicher Frauenfiguren. Mal erinnert ihr eleganter Haarknoten an Audrey Hepburn, mal ihre Wuschellocken an Meg Ryan. Das melancholische Mädchen ist eine momentan wohnungslose Schriftstellerin mit Schreibblockade. Im Fellmantel und mit großen Kulleraugen in einem runden Puppengesicht streift sie zu Bigband-Jazzklängen auf der Suche nach einem Schlafplatz durch die Großstadt und begegnet dabei einigen Fremden. Meist Männer, von denen sie mit einigen schläft.

 


»Das melancholische Mädchen« ist das Spielfilmdebüt der Schriftstellerin Susanne Heinrich (siehe Interview S. 51), das im Januar dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde. Tatsächlich ist der Film eine Anomalie im zeitgenössischen deutschen Filmschaffen, denn irgendwie schafft es Heinrich, formale Strenge mit Verspieltheit zu verbinden: 15 unabgeschlossene Episoden bilden das narrative Grundgerüst des Films; zumeist absurde Situationen, die auch als einzelne Kurzfilme funktionieren würden. Darin stiefelt das Mädchen durch bonbonbunte Kulissen, die an die Sets von Werbespots erinnern, von der Kamera zumeist in starren Tableaus eingefangen. Eine Episode entwickelt sich zu einem Musikvideo, andernorts drängen sich märchenhafte Elemente wie ein Einhorn oder Funken versprühende Zauberstäbe ins Bild.

 


Monoton sprechen die Figuren, betont künstlich sagen sie ihre Zeilen auf, die klingen wie depressive Kalendersprüche: »Wir haben die Freiheit, uns zu entscheiden, ob wir Bier oder Wein wollen.« Schon im Prolog legt Susanne Heinrich ihrer Titelheldin einen Hinweis darauf in den Mund, wie sich »Das melancholische Mädchen« lesen lässt: Nie passiere melancholischen Mädchen etwas, sagt sie da halb zu sich selbst, halb zur Kamera gerichtet. Denn die Kata­strophe sei immer schon passiert. Eine Kata­strophe namens Kapitalismus und Patriarchat inklusive aller unschönen Begleiterscheinungen.

 



(dto) D 2019, R: Susanne Heinrich, D: Marie Rathscheck, Nicolai Borger, Monika Freinberger, 80 Min. Start: 27.6.