Zecken mit guten Augen, Männer mit schlechten Hosen

Der Klimawandel wird alles verändern, es wird übel enden. Die Alten verbarrikadieren sich in ihren Wohnungen, die Jungen gehen auf die Straße. Aber bald können sie dort nicht mehr demonstrieren, weil sich der Asphalt in der Hitze verflüssigt. Der Klimawandel ist zwar unsympathisch, aber nicht so langweilig wie andere Wandel, etwa der demographische. Ich mag den Klimawandel in mancher Hinsicht. Er tut mir sogar leid, er wird ausgegrenzt. Üblich ist es doch, einen Wandel zu willkommen zu heißen. Veränderung gilt als Fortschritt. Sich zu ängstigen, bedeutet rückwärtsgewandt und lächerlich zu sein. Es ist eine eucharistische Auffassung von Wandel als Wandlung.

 


Es gilt als träge, sich mit etwas zu begnügen, es nicht zu optimieren. Irgendwann wird man sich ein Leben ohne individualisierte Werbung nicht vorstellen können! Ein Wandel mit Renommee ist die Digitalisierung. Dagegen traut sich niemand, auf die Straße oder die Datenautobahn zu gehen. Peti­tio­nen im Internet würden sicher hämisch kommentiert. Stattdessen heißt es, man müsse den Wandel »als Chance begreifen«. Es gibt ja auch Vorteile der Digitalisierung. Individualisierte Werbung für T-Shirts mit lustigen Sprüchen zum Beispiel, wenn Tobse Bongartz plötzlich Geburtstag hat, oder nicht? Der Vorteil des Klimawandels gegenüber der Digitalisierung ist, dass man weiß, was kommen wird: die Katastrophe. Wo sind jetzt jene, die sagen, dass die climate change natives viel besser mit Sturzregen, Dürre und 50 Grad im Schatten umgehen als die Alten, für die das alles »Neuland« ist?

 


Aber wie soll man den Wandel gestalten, wenn viele von uns demnächst vor Hitze kollabieren oder von Sturzbächen weggespült werden? Ich poche auf mein Recht auf Panik. Ich sage warum:
Gesine Stabroth berichtet, es gebe jetzt »Killer-Zecken mit Augen« — Augen, um uns zu erspähen. Dann krabbeln sie hinter uns her, bis sie uns haben. Sie verbummeln ihre Tage nicht mehr auf Grashalmen und warten passiv-aggressiv darauf, dass jemand in kurzen Hosen vorbeikommt. Killer-Zecken treiben ihr Unwesen jetzt proaktiv. Grashalme sind ohnehin ein Auslaufmodell. Was itzundt prächtig blüth, sol bald verdörret seyn. Die Wiesen sehen bald aus wie Ascheplätze von Fußball-Bezirksligisten. Da wird es selbst für Killer-Zecken mit Augen ungemütlich, zumal ohne Sonnenbrille.

 


Und dennoch werden wir uns daran gewöhnen, es normal finden, wenn Killer-Zecken allmählich die Kon­trolle über den Planeten übernehmen. Wenn die Norm immer das ist, was vorherrschend ist, bemerken wir die Veränderung der Norm gar nicht, oder wenn wir die Veränderung bemerken, ist sie schon normal. Können Sie mir folgen? Ein Bewohner des Mittelalters würde es nicht als normal empfinden, dass man tagaus, tagein auf Displays starrt. Das Mittelalter ist ein Weilchen her, aber auch einen Bewohner der 70er Jahre würde das erschrecken. Uns nicht.

 


Den Zecken kommt ein weiterer Trend entgegen. Die Ausbreitung der kurzen Männerhose, auch in Gebieten, die bislang als sicher galten: Verwaltungsgebäude, Parlamente, Gotteshäuser. Werden wir uns an den Anblick haariger und tätowierter Unterschenkel gewöhnen müssen? Damit einher geht die flächendeckende Etablierung des bedruckten T-Shirts, die bei der Witterung nun nicht mehr von Jacke und Blouson kaschiert werden. Typisch für Krisensituationen sind die rätselhaften Botschaften darauf: »I'm tres over it — Party Time!«, »Hardrock Cafe Salzburg«, »Summer Body in Progress«, »Naturfreundehaus Niedersimten«. Die Hirne sind bereits verwirrt.
Die Killer-Zecken haben längst die Kontrolle übernommen.