Why Ai Weiwei?

 

Der chinesische Kunst-Superstar Ai Weiwei mahnt, protestiert und rebelliert

in Düsseldorf — nicht zuletzt in eigener Sache

An Ai Weiwei spalten sich die Geister, das darf man gerne behaupten. Einerseits gibt es jene Anhänger des chinesischen Dissidenten, die die direkte, nassforsche, laute Art des Künstlers zu schätzen wissen. Nicht wenigen innerhalb dieser Gruppe wird Weiwei höchstpersönlich zum Gradmesser der demokratischen Realität des chinesischen Staates. Freiheit ist hier die Freiheit des anderen — und Ai Weiweis.

 


Es gibt dennoch auch die Fraktion, denen der Chinese zu unterkomplex und effekthascherisch arbeitet. Beide dürften sich durch die große Ausstellung in Düsseldorf be­stätigt fühlen. »Wo ist die Revo­lu­­tion?« fragt der Untertitel der bis dato größten Ai-Weiwei-Schau in Europa. Eine Antwort wird derweil nicht geboten; wie auch? Dennoch erinnert die Frage an das Tian’an­men-­Massaker, die brutal-blutigen Nieder­­schlagung der Demokratie-Bewegung am Platz des (bis dahin) himm­lischen Friedens, die sich derzeit zum 30. Mal jährt. Die Bilder von den Pan­zern, die anrollten, um die vornehm­lich studentischen Protestierenden niederzuschießen, sind außerhalb Chinas ikonisch. Im Land der Mitte sind sie bis heute ver­bannt, alle Stichworte zum 4. Juni 1989 in den Internet-Suchmaschinen gesperrt.

 


Weiwei selbst war damals in New York, wo er erste Schritte in der Kunstszene der Weltstadt machte und sich den Formen der Pop-Art und Konzeptkunst annäherte. Als er 1993 zurück nach Peking ging, war dies nach Eigenaussage auch aus Respekt und Verantwortung gegenüber der Heimat. Dieser Verantwortung kommt er seitdem als mahnender, protestierender und offen rebellierender Künstler nach.

 


Im persönlichen, intro- wie retrospektiven Teil der Ausstellung im K21 (die Ausstellung besteht aus drei Teilen, derer zwei im K21-Keller sind und der dritte in der Grabbe- sowie der Klee Halle im K20), erfährt man Näheres. Im Mittelpunkt stehen die sechs Eisen-Sarkophage des Zyklus »S.A.C.R.E.D.« (2011-2013). Durch kleine Gucklöcher kann man in die Stelen blicken und sieht dort sechs — in Fiberglas gestaltete — Szenen aus der 81-tägigen Haftzeit 2011, als er an einem unbekannten Ort gefangen gehalten wurde. Der Titel verweist auf Giorgio Agambens Analyse zum »Homo Sacer«; einer Figur aus der römischen Antike, die rechtelos wie ein Toter unter den Lebenden weilte. So sieht und inszeniert sich Weiwei gerne: als Märtyrer. Auch an anderer Stelle zeigt Weiwei, in der Tradition vermeintlich politischer, Konzeptkünstler wie Hans Haacke, mit einfachen und direkten Nachrichten im Ausstellungsraum, welche Gewalt das Regime seinen Künstlern antue. Hier werden dann Foto­dokumente der Überwachung durch Spione präsentiert oder eine Fotografie-Reihe über die Wanzen aus dem Politbüro. Aufgefüllt werden diese Arbeiten mit Exponaten aus fast vierzig Jahren Kunstschaffen. Zwischen Cola-Vasen, Öl-Gemälden und Holz-Handschellen, findet man auch eine zerbrochene Blau-Weiße Schale.

 


Diese korrespondiert mit dem nominell ersten Ausstellungsteil. Dort geht es derweil weniger um den Künstler selbst als um die Flüchtlingswellen der letzten Jahre. Hier gibt es gleich zwei sechsteiligen Porzellan-Reihen, die auf Großschalen und Vasen — in der antiken chinesischen, wie griechischen Tradition der Geschichtenerzählung — Szenen aus den Kriegsgebieten und Flüchtlingstrecks dieser Welt blau auf weiß gemalt präsentiert. An den Wänden prangern einstweilen in All-Over Manier Fotos aus dem Dschungel Calais und grafische Arbeiten. Doch verkommen diese polyfokalen Werke zum bloßen Dekorum. Insgesamt ein Eindruck, der immer manifester wird, je länger man sich in der Ausstellung befindet.

 


Selbst die beiden raumgreifenden und monumentalen Skulptur-Werke »Life Circle« und »Laundromat« verlieren in so einem Surroun­ding an Bedeutung. Letztere ist eine Sammlung von 2000 Kleidungsstücken, die Flüchtende im Lager Idomeni zurückgelassen hatten. Dort, wo die Bedingungen so erschreckend waren, dass sie gar in europäischen Medien thematisiert wurden, worauf man das Lager lieber schloss, als seinen Bewoh­ner*in­nen ein menschenwürdiges Leben zu garantieren, fand Ai Weiwei große Haufen von Pullovern und Hosen. Verschiffen, reinigen, sortieren, aufhängen — Kunst. So einfach ist das Rezept für seine Arbeiten. Auch im K20 wartet ein Sammel- und Aufbereitungswerk: »Straight«. 160 Tonnen Armierungseisen, in Holztruhen, Särgen nicht unähnlich. Diese Eisenstangen stammen aus Sichuan, wo 2008 ein Erdbeben mindestens 70.000 Opfer forderte. Darunter auch Tausende Kinder aus einer zusammengestürzten Schule. Aus deren Trümmern ließ Weiwei, in dem kleinen Zeitraum zwischen Leichenbergung und Neuaufbau, die Eisen entfernen; für ein Mahnmal gegen Korruption. Wer hinter der Affektproduktion der Fassungslosigkeit auch ein kleines Gefühl von Ekel empfindet, dem sei es nicht verübelt. Woher der Ekel stammt, ist indessen jedem selbst überlassen.

 


Ob eine Tragödie so repräsentiert werden muss, oder gar kann, das wird derweil nicht thematisiert. Denn über allen Arbeiten schwebt der Nimbus des sakrosankten Künstlers, dessen Status als Dissident schon Grund genug für den Besuch sein soll. Bei derlei Vereinfachung, hilft auch die sonst feine Feder, die die Kuratorin Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung NRW seit 2017, bei solchen Mega-Produktionen zu schwingen weiß, kaum mehr. So werden viele Zusammenhänge der Ausstellung durch Gaensheimers Talent zur Korrespondenz zwischen Werken zusammengehalten. Gänzlich retten kann sie die Ausstellung nicht vor dem selbstproduzierten Künstlermythos des Popstars unter den Verfolgten des
chinesischen Regimes.

 




Kunstsammlung NRW, K20 Grabbeplatz und K21 Ständehaus, Düsseldorf, bis 1.9., Infos und Öffnungszeiten unter kunstsammlung.de/ai-weiwei.html