Unter Fleischergesellen

Der kroatische Skandal-Regisseur Oliver Frljić inszeniert Brechts «Fatzer« am Schauspiel

Zwölf Feldbetten wachsen im ­Kölner Depot 2 aus schwarzer Erde, sieben versprengte Soldaten gießen den Boden, dazu läuft der Schlager »Sagt mir, wo die Männer sind«: Ja, Krieg ist furchtbar, aber danach geht es aufwärts, und heile Männer wachsen bald wieder nach, erzählt das Setting. Nur um diese naive Hoffnung dann brutal zu unterlaufen, wenn Scheinwerfer die Zuschauer blenden, Schüsse knattern und die Feldbetten zu Schutzmauern aufgestellt werden.

 


Wie Fliegen kippen die Soldaten tot in den Dreck, offenbart der blindwütige Krieg seine Sinnlosigkeit, vor dem die vier Deserteure Fatzer, Koch, Schröder und Frühhaupt nach Mülheim an der Ruhr in einen Keller fliehen. Der gehört der einsamen Therese Kaumann, die sich nach drei Jahren sexueller ­Abstinenz auf die Männer stürzt — Brecht hatte ja eher eindimensionale Frauenfantasien, wie man auch im apokalyptischen 400-Seiten-Fragment »Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer« merkt. Erst 50 Jahre später, 1976 an der Berliner Schaubühne, wurde es in ein spielbares Stück übersetzt.

 


Auch der gefeierte kroatische Brachial-Regisseur Oliver Frljić nutzt den »Fatzer« als Steinbruch und dreht die fatalistische Bestandsaufnahme in Richtung Rechtsextremismus: auf Halbmast hängt die schwarz-rot-weiße Reichsfahne, zu Anfang und Ende wird die erste Strophe des Deutschlandliedes gegrölt. Laut werden auch die Texte gebrüllt, Fatzers Rolle wechselt durch,
und auch Frau Kaumann, durch Wickelkleid und halterlose Strümpfe markiert, wird zum Glück — und mit beachtlicher Energie — von Männern und Frauen gespielt. Als der blanke Hunger unter den Kameraden herrscht, serviert sie den Soldaten zunächst die eigenen Lederstiefel, dann essen sie ihre Exkremente und wischen die Hintern mit der Reichsfahne ab — im Bretterverschlag neben der Bühne performt eine Statistin diverse Stuhlgänge.

 


Bald sind aus den Hungernden ihre eigenen Schlächter geworden, sie ziehen sich Fleischerschürzen an und simulieren, wie sie Stücke aus dem Schauspieler Benjamin Höppner schneiden. Ohnehin zieht sich das Wort Fleisch als Ekelbild durch Text und Inszenierung. Bedrohlich improvisierend erinnert Schauspieler Höppner dann auch daran, dass unser 70jähriger europäischer Frieden mit Kriegen woanders erkauft wird — aber verlässt dann doch lieber schnaubend den Raum, anstatt die Zuschauer ernsthaft zum Gespräch zu bitten. Frljić bebildert kräftig die erwachenden Gespenster unserer Zeit. Am Ende wirken die Provokationen aber recht aufgesetzt.

 



»Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer«, A: Bertolt Brecht, R: Oliver Frilijć, Spieltermine im Herbst 2019