Heilen, Helfen, Halleluja!

Wie der Strukturvertrieb von »Life Plus« verspricht,

Gesundheit und Wohlstand unters Volk zu bringen

und versucht, im Rheinland groß zu werden

»Sie sagt die Wahrheit«, versichert ein kurzhaariger Mann, als er den Saal verlässt. Vier Frauen stecken noch schnell Infomaterial ein. »Über siebzig Prozent der Erkrankungen werden heute als ernährungsbedingt eingestuft«, steht dort unter anderem. Auf der Rückseite findet sich ein »Gutschein Präventionsberatung«. Einzulösen bei Gitta Halstenbach-Witkowski, »Präventologin« in Pulheim.

Die 49-Jährige referiert während der Rheinischen Gesundheitstage im Heilig-Geist-Krankenhaus in Longerich über »Wellness, Gesundheit, Happy Aging«. Wovon in den Unterlagen nicht die Rede ist: Die Pulheimerin arbeitet für Life Plus, ein US-Unternehmen, das Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Life Plus bringt Vitamine, Mineralstoffe oder Fischölkonzentrat per Strukturvertrieb unters Volk. Gitta Halstenbach-Witkowski und ihr Mann Uwe Witkowski gehören zu den Topleuten des Vertriebs. Wer bei Life Plus einsteigt, muss für mindestens siebzig Euro im Monat Produkte bestellen – zum eigenen Verbrauch. Um in der Struktur aufzusteigen, sind Vitamine oder Schlankmacher für mindestens 150 Euro monatlich zu ordern.

Strukturvertriebe, auch Multi-Level-Marketingsysteme genannt, sind höchst umstritten. Das Lockangebot für Neueinsteiger lautet: Kaufe nicht nur, sondern empfehle weiter. Am besten an Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen. Dann bekommst du Provision für jede Bestellung, die deine Freunde machen. Der Rubel rollt vor allem dann, wenn auch die neugewonnen Käufer Kunden gewinnen. Und diese ebenfalls. Denn auch an deren Umsatz wird der Neueinsteiger beteiligt, oft sogar mit besonders hohem Prozentsatz. Auf diese Weise wächst eine pyramidenförmige Struktur heran. Mit solchen Strukturvertrieben beschäftigte sich 1998 auch eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages unter dem Namen »Sogenannte Sekten und Psychogruppen«. »Das Unternehmen wird zur Ersatzfamilie«, kritisierte die Kommission. Sie warnte, dass »der Aufstieg im System keinesfalls so schnell erfolgt, wie er auf den Veranstaltungen suggeriert worden ist«.

»Drei-Sterne-Diamanten« kassieren bis zu 20.000 Euro im Monat

Der deutsche Life-Plus-Strukturvertrieb besteht aus rund 50.000 Mitarbeitern, davon leben nach Schätzungen einige Hundert im Rheinland. Frauen und Männer aus nahezu allen Berufsgruppen sind hier zu finden. Gitta Halstenbach-Witkowski, ehemals in der Computerbranche tätig, hat zusammen mit ihrem Mann den Status »Diamant«. »Reisen, Kultur, ein zweiter Wohnsitz in der Toskana«, all das könne sie sich heute leisten. So steht es zumindest auf ihrer Webseite. »Drei-Sterne-Diamanten« kassieren bis zu 20.000 Euro im Monat – an Provision. So viel dürfte auch Gabi Steiner verdienen, die Frau an der Spitze der deutschen Life-Plus-Pyramide. Eine Mittfünfzigerin aus der schwäbischen Provinz, die heute auf Mallorca in einer Villa residiert.

Angela Clausen, Ernährungsberaterin der Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf, kann nur den Kopf schütteln. Sie betont, »dass die gesamte Produktpalette von Life Plus für den normalen Verbraucher überflüssig ist«. Wer gesund ist und sich halbwegs normal ernährt, muss keine zusätzlichen Vitamine, Mineralstoffe oder Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen. Das gilt auch für Kinder, wie Stiftung Warentest im Juni 2008 feststellte. Angela Clausen warnt sogar: »Falsch angewandte oder hochdosierte Präparate können gesundheitsschädlich sein.« Auch bei sachgemäßer Anwendung könne es zu unerwünschten Nebenwirkungen mit Medikamenten kommen.

Gitta Halstenbach-Witkowski hingegen propagiert »Vitalstoffe auf Naturbasis«. Die helfen angeblich, das Krebs- und Herzinfarkt-Risiko zu senken. Sie wirken zudem, so die Behauptung, gegen Bronchitis, Neurodermitis, Depressionen, Augenerkrankungen, Konzentrationsschwäche, trockene Haut – und verbessern die Erektionsfähigkeit. »Wirklich jeder« könne diese Produkte finanzieren, behauptet die Diamant-Frau aus Pulheim. Auf ihren Internetseiten finden sich weitere Verheißungen. Es lasse sich ein »zusätzliches Einkommen in beliebiger Höhe entwickeln«. Und zwar durch »Empfehlungsmarketing«. Ein Flyer zum Download verspricht, es würde »nichts verkauft. Es wird empfohlen«.

Das »eigentliche Produkt« sei »Freiheit und Lebensqualität«

Einkommen in beliebiger Höhe? Kein Verkauf? All das sind irreführende Aussagen. Dazu will sich Gitta Halstenbach-Witkowski gegenüber der StadtRevue nicht äußern. Den Flyer mit der Aussage »keinerlei Verkaufsaktivitäten« hat sie inzwischen von der Seite nehmen lassen.

Zur Life-Plus-family gehört auch Eva Kanis, Unternehmensberaterin und Seminarleiterin in Köln. Die gut 60-Jährige berät auch Frauen, die sich selbstständig machen wollen – und kassiert Provision, wenn die bei Life Plus anheuern. Warum sie das macht? Auch sie will sich nicht äußern. Auf ihrer Internetseite lobt sie die »außergewöhnliche Produktqualität« und »fairste Geschäftsbedingungen«. Das »eigentliche Produkt« aber sei »Freiheit und Lebensqualität«: »Den guten Spirit, den ich in unserer Organisation kennen gelernt habe, möchte ich in Zukunft mit so vielen Menschen wie möglich teilen«, so Eva Kanis.