Fotos: Manfred Wegener

Es geht auch Anders

In Ehrenfeld ist ein wegweisendes

schwul-lesbisches Wohnprojekt gestartet

Gegenüber, auf der anderen Seite der Äußeren Kanalstraße, beginnt Bickendorf mit einem großen Parkplatz, dem abgerisse­nen alten Hallenbad und der verloren wirkenden Rochuskapelle. Nicht unbedingt der Ort für gesellschaftliche Experimente, sollte man meinen. Lediglich das Westcenter, ein Hochhauskomplex aus den 70er Jahren, erinnert an vergangene, verloren gegangene Per­spektiven der Stadtplanung.

Doch der fünfstöckige Neubau an der Venloer Straße hat es in sich. Auch wenn er sich mit seinem roten Dach, den Backsteinklinkern und den Taxuseinfassungen um die kleinen Terrassen im Innenhof äußerlich nicht von anderen Neubauten der letzten Jahre unterscheidet. »Es geht uns darum, einen neue Wohnform auszuprobieren, die es bis jetzt nicht gab«, sagt Jens Uwe Lidy vom Vorstand des Trägervereins Schwul-Lesbisches Wohnen e.V. »Da sind wir erst einmal ins kalte Wasser gesprungen. Wir sind das Pilotprojekt für Deutschland.«

"Anfangs mehr lesbische Frauen als schwule Männer"

2003 findet sich auf Initiative des lesbisch-schwulen Beratungszentrums Rubicon eine Handvoll Menschen zusammen, um zu über­legen, wie ein gemeinsames Leben und Wohnen aussehen könnte. Sieben Jahre später sind alle 34 von der GAG Immobilien AG gebauten Wohneinheiten der Villa Anders bezogen. Deutschlands erstes generationenübergreifendes Wohnprojekt für Lesben, Schwule und Transgender ist ein voller Erfolg.

Ein knappes halbes Jahr wohnt die 52-jährige Gabriele Wedde nun schon hier. »Ich bin eingezogen, weil es in meinem Stadtviertel nicht so viele Möglichkeiten gab, andere Lesben kennenzulernen«, sagt sie. »Erstmals von dem Projekt gehört habe ich übrigens in der StadtRevue.« Die Idee spricht sie an, sie besucht die regelmäßig stattfindenden Frühstückstreffen und steigt in die Organisation ein. »Wir waren anfangs mehr lesbische Frauen als schwule Männer«, erinnert sie sich. »Lange Zeit dümpelte das Projekt vor sich hin.«

Regeln des Zusammenlebens werden noch geschrieben

Ende Februar, als die meisten schon eingezogen sind, überreicht ihr der GAG-Vorstand als Vertreterin des Hauses einen sym­bolischen Schlüssel zum Gemein­schaftsraum. Der beherbergt nicht nur das Büro des Vereins, sondern soll auch ein Mittelpunkt für die Bewohner und Bewohnerinnen sein. »Da treffen sich die verschiedenen Gruppen, die sich in der letzten Zeit zusammengefunden haben«, erläutert Eckhardt Moritz, der ebenfalls im vergangenen Dezember in die Villa ­Anders eingezogen ist. »Es gibt da ganz unterschiedliche Veranstaltungen wie Tanz- oder Kochgruppen, alles freiwillig natürlich.« Für den 42-jährigen Biblio­thekar wäre eine WG im herkömmlichen Sinn nicht in Frage gekommen. »Man hilft sich, wenn mal einer krank ist, man unterstützt sich in bürokratischen Angelegenheiten. Aber jeder hat seine eigenen vier Wände und sei­nen eigenen Rückzugspunkt. Das war mir persönlich sehr wichtig.«

Die Villa Anders bleibt ein Experiment. Es gibt keine Best Practice, keine vergleichbaren Projekte, an denen man sich orientieren könnte. Die Regeln des Zusammenlebens werden erst noch geschrieben. »Natürlich gibt es Konflikte, das ist klar«, sagt Gabriele Wedde. »Das ist eine spannende Herausforderung und manchmal eben auch nervig. Wir sind nicht gerade konfliktscheu im Plenum.« Alle zwei Wochen treffen sich die Mieter und Mieterinnen im Gemeinschaftsraum, um Unstimmig­keiten zu diskutieren, anstehende Aufgaben zu verteilen oder um gemeinsam ihre Freizeit zu planen. Obwohl es derzeit vor allem um die Planung der ersten Veran­staltung im Innenhof während des Sommerblut-Festivals geht, spielt das gemeinsame Altern immer eine Rolle.

Fünf Wohnungen für heterosexuelle Bewohner

Die notwendigen Vorkehrun­gen sind getroffen: Die Wohnungen sind barrierefrei, es gibt einen Aufzug und in der zum ­Gemeinschaftsraum umgewan­del­ten Wohneinheit ein Pflegebad. Ebenso ist die Integration in die Mehrheitsgesellschaft im Konzept der Villa Anders vorgesehen. 15 Prozent des Wohnraums, umgerechnet fünf Wohnungen, sind für heterosexuelle Bewohner vorgesehen. »Wir wol­len uns nicht abschotten«, sagt Jens Uwe Lidy. »Aber es geht uns um einen diskriminierungsfreien Raum, in dem man sich nicht erklären oder verstecken muss.«

Und? Funktioniert schwul-lesbische Integration abseits von CSD und Altstadt, draußen am Rande von Ehrenfeld? Der Vereinsvorstand nickt. »Im Grunde wissen ja alle Nachbarn Bescheid«, sagt er. »In der Bauphase gab es ein Bauschild, auf dem deutlich zu lesen war, worum es geht. Wir sind wirklich überrascht von der Akzeptanz, bislang hat es noch nicht mal ein einziges Graffiti gegeben.«