Endlich angekommen: Das »Graue Busse«-Denkmal vor dem Landeshaus des LVR; Foto: Manfred Wegener

Das Ende des Schweigens

Der Landschaftsverband Rheinland wagt sich an die Aufarbeitung seiner Vergangenheit

Und er bewegt sich doch. Nach jahrzehntelangem Drängen, er müsse sich endlich einmal kritisch mit der NS-Vergangenheit seines Nachkriegsdirektors auseinandersetzen, hat der Landschaftsverband Rheinland (LVR) einen ersten Schritt getan. Am 1. September hat die Ausstellung »Graue Busse« eröffnet, die aktuell im Foyer des Landeshauses über die Deportationen von und den Massenmord an psychisch Kranken durch die Nazis informiert. Allein im Rheinland wurden fast 10.000 Patientinnen und Patienten aus den Psychiatrien verschleppt und umgebracht. An sie erinnert nun das Denkmal.

 

Darüber hinaus hat LVR-Kulturdezernentin Milena Karabaic den ersten Schritt getan, um die Debatte über den Nachkriegsdirektor auch im LVR freizugeben. Viele NS-Funktionsträger hätten ihre Karriere nach 1945 »unbeschadet – und vielleicht auch unbeirrt« fortsetzen können, stellte sie in ihrer Rede zur Eröffnung der Ausstellung fest. Man müsse fragen, ob das nicht auch »in den psychiatrischen Einrichtungen« der Fall gewesen sei und dabei eine Haltung und ein Denken überdauert habe, »das aus heutiger Sicht zutiefst erschütternd ist«. Es gehe in der Sache auch, darauf bestand Karabaic, um den LVR-Direktor der Jahre 1954 bis 1975, Udo Klausa.

 

Klausas NS-Vergangenheit bislang Tabuthema

 

An Klausas Ehrenbüste wurde bis vor kurzem im LVR nicht das Geringste bekrittelt. Wenn etwa frühere Mitglieder der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK) wie Lothar Gothe und Heino Lonnemann, die in den 1970er Jahren katastrophale Missstände in den psychiatrischen Krankenhäusern des LVR aufgedeckt hatten, auf Klausas NS-Vergangenheit hinwiesen und fragten, ob die Zustände der Nachkriegszeit vielleicht in Zusammenhang mit dieser Vergangenheit stehen könnten, wurden sie in aller Regel ignoriert. Klausas Verhältnis zu den Nazis sei allenfalls »zwiespältig« gewesen, sein Lebenswerk auf jeden Fall »erfolgreich«, hieß es noch vor kurzem in der offiziellen Biografie auf der LVR-Website. 

 

Jetzt tut sich etwas: Das peinliche Loblied wurde aus dem Netz genommen. Immerhin habe Klausa 1936 eine Schrift mit dem Titel »Rasse und Wehrrecht« publiziert, räumte Karabaic am 1. September ein. Darin ist von »Förderung der rassisch wertvollen Menschen« und von »Aussonderung der Entarteten« die Rede. Als LVR-Direktor war Klausa auch für die Psychiatrien im Rheinland verantwortlich, deren Patientinnen und Patienten die Nazis für »entartet« erklärt und ermordet hatten.

 

Lange Karriere im NS-Apparat

 

Dokumente zeigen: Klausas Verhältnis zu den Nazis war keineswegs »zwiespältig«. Er war Sohn eines preußischen Landrats, wollte ebenfalls Verwaltungsbeamter werden. Aus NS-Sicht machte er seine Sache offenbar nicht schlecht. Als das Deutsche Reich im Oktober 1938 die Sudetengebiete annektierte, wurde Klausa nach Aussig (heute: Ústí) geschickt, um dort die deutsche Verwaltung aufzubauen. Als die Nazis am 1. September 1939 Polen überfallen hatten, wurde Klausa mit derselben Aufgabe nach Posen (heute: Poznan) versetzt. Während seiner Amtszeit dort wurden zahlreiche polnische Familien deportiert, um Raum für die »Germanisierung« der Stadt zu schaffen.

 

Nach dem Krieg erklärte Klausa, das sei ihm unangenehm gewesen. Er ließ sich zum Aufbau der Verwaltung in die okkupierte Stadt Bendzin versetzen, die ihr erstes Judenpogrom bereits hinter sich hatte. Bendzin sollte allerdings ebenfalls »germanisiert« werden. Wieder wurden Tausende Polinnen und Polen oft jüdischen Glaubens deportiert, spätestens 1942 auch nach Auschwitz. Im Mai 1942 zwang die deutsche Verwaltung die jüdische Bevölkerung zu Zehntausenden in ein Ghetto. Klausa ließ sich im August 1942 zur Wehrmacht versetzen. »In Hitlers Kampf«, schrieb der bekennende Katholik 1945 rückblickend, »konnte man keine antichristlichen Gedanken lesen, wohl aber seine konfessionelle Toleranz erkennen«. Na dann.

 

Schönheitsfehler: Auch die Uniklinik Düsseldorf ist mit dem LVR verflochten

 

Nun soll, wie Kulturdezernentin Karabaic bestätigt, die Geschichte der LVR-Psychiatrie seit 1945 aufgearbeitet werden, wissenschaftlich und kritisch. Ein echter Erfolg für Gothe, Lonnemann und die anderen Aktivistinnen und Aktivisten der SSK, die genau dies fordern – seit Jahrzehnten. Der Schönheitsfehler besteht darin, dass mit der Aufarbeitung die Uniklinik Düsseldorf beauftragt worden ist, über ihr medizinhistorisches Institut.

 

Die Uniklinik ist mit dem LVR verflochten – ihre psychiatrische Abteilung wird vom LVR geführt –, und der LVR finanziert das Forschungsprojekt. Bleibt zu hoffen, dass die Aufarbeitung der LVR-Psychiatriegeschichte in Sachen Klausa nicht doch wieder durch alte Verflechtungen gebremst wird.