Tatort Rathaus: Journalist Frank Überall auf heißer Spur, Foto: Manfred Wegener

»Da machen sich Leute die Tasche voll«

Der Kölner Journalist und Politologe Frank Überall prangert in seinem neuen Buch Korruption an, will aber auch die Täter verstehen

StadtRevue: Herr Überall, zuletzt haben Sie Ihre Promotion über den kölschen Klüngel veröffentlicht. Jetzt folgt mit »Abgeschmiert« ein Buch über Korruption in Deutschland. Wo liegt der Unterschied?

 

Frank Überall: Klüngel und Korruption werden oft gleichgesetzt. Aber Kooperation und Networking, die liebenswerten Seiten des Klüngels, sind nicht automatisch Korruption. Ich schätze, dass weniger als ein Drittel des Klüngels in Korruption mündet.

 

Wie wird denn jemand korrupt?

 

Voraussetzung ist es, als Amtsinhaber in Politik und Verwaltung die Schnittstellen zu kennen, wo man korrupt agieren kann. Hinzu tritt eine persönliche Ebene: Hat jemand zu wenig Erfolg, ist zu lange nicht befördert worden? Für so jemanden stellt Korruption eine Ressource dar. Man guckt zwar heute in Verwaltungen und Unternehmen danach, wer in korruptionsgefährdeten Bereichen sitzt. Das ist eine nette Idee, aber doch nur eine Mindestanforderung. Es geht nicht nur um Strukturen...

 

Es wird nicht jeder in diesen Strukturen korrupt. Sie nennen das, was hinzutreten muss, »Korruptions-ethik«...

 

Ja, denn korrupte Politiker oder Verwaltungsangestellte rechtfertigen das, was sie tun. Es sind tatsächlich meistens Männer. Sie geben vor, für die Bürger etwas Gutes zu tun: ein Bauprojekt etwa, neue Messehallen. Es sind ja vielleicht pro Kopf nur ein paar Cent, die die Bürger wegen Korruption jeweils mehr zahlen müssen.

 

Das heißt, die Nachteile für die Opfer sind letztlich kaum auszumachen?

 

Doch! Denn da machen sich Leute ja die Tasche voll. Und wenn das in mehreren Bereichen passiert, dann läppert es sich doch ganz ordentlich. Es entsteht jährlich ein hoher mehrstelliger Milliardenschaden.

 

Trotzdem sagen Sie, Korruption würde nicht ernst genommen.

 

Staatsanwaltschaft und Polizei sind nicht ausgerüstet, allen Verdachtsmomenten nachzugehen. Vor Gericht wird Bagatell-Korruption kaum noch verhandelt, sondern meist eingestellt gegen Zahlung einer Geldauflage. Oder es gibt eine Bewährungsstrafe, wo die Betroffenen teilweise drüber lachen. Wann gibt es schon mal harte Urteile in Sachen Korruption? Hinzu kommt, dass es eine Verjährungsfrist von nur fünf Jahren gibt – viel zu wenig!

 

Was wäre wichtiger? Gesetzliche Bestimmungen oder ein Mentalitätswandel?

 

Beides hängt zusammen. Um die Mentalität zu ändern, muss die Justiz auch den Verfolgungsdruck aufbauen. Was Korruption so attraktiv macht, ist das geringe Risiko, entdeckt zu werden. Vor fünfzehn Jahren waren Schmiergelder noch als »nützliche Aufwendungen« von der Steuer absetzbar. Was ist mit jemandem, der vor dreißig Jahren in einem Bauunternehmen angefangen hat und das gar nicht anders kennt? Da behilft man sich dann vielleicht mit Provisionszahlungen oder vergibt Beraterverträge, für die eventuell keine angemessene Gegenleistung erbracht wird.


In Köln gibt es eine Reihe von Namen, die bei vielen umstrittenen Großprojekten immer wieder auftauchen: Bauunternehmer, Investoren, Politiker...

 

Man muss sich juristisch zurückhalten, so lange keine Verurteilung rechtskräftig ist. Aber man darf sagen, dass diese Personen es zumindest meisterhaft eingeübt haben, die Bedürfnisse anderer zu erkennen. Ob Korruption vorliegt, mag zwar zunächst eine strafrechtliche Frage sein, und so lange es keine Verurteilung gibt, gilt die Unschuldsvermutung. Aber trotzdem sollten sich diese Menschen fragen, ob es richtig ist, was sie tun, nur weil sie strafrechtlich nicht belangt werden können. Als Politikwissenschaftler fasse ich den Begriff weiter und sage: Nur weil es nicht unter Strafe steht, bedeutet es nicht, dass es keine Korruption ist.

 

Zur Korruptionsbekämpfung in der Politik fordern Sie Ombudspersonen, unabhängige Schiedsstellen. Was hat es damit auf sich?

 

Bekommt heute jemand im Ortsverein oder -verband einer Partei mit, dass ein Parteimitglied etwa im Stadtrat geschmiert worden sein soll – was kann der schon tun? Er bräuchte einen unabhängigen Ansprechpartner, eine Ombudsperson. Das könnte ein externer Rechtsanwalt für jede Partei sein, im Idealfall für jeden Landesverband.


Diese Ombudsperson wäre Parteimitglied?

 

Das wäre egal. Aber sie dürfte keine Funktion in der Partei haben, das ist wichtig. Der Rechtsanwalt hat ein Mandantengeheimnis, zudem kann er sich Unterlagen kommen lassen, mit Beschuldigten sprechen und den Fall juristisch beurteilen. Das Gute daran: Diese Ombudsperson hinterließe  Aktenspuren. Eine Partei könnte einen Fall nicht unter den Teppich kehren. Bei Behörden und Wirtschaftsunternehmen gibt es das schon. Warum nicht in der Politik?

 

Frank Überall: Abgeschmiert. Wie Deutschland durch Korruption heruntergewirtschaftet wird. Bastei Lübbe 2011, 250 Seiten, 19,99 €.