Hessen: Bundestagswahlkampf 1949, © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Archiv des Liberalismus

Ausgegringst - unser erster und letzter Beitrag zur FDP: Warten auf den ­Messias

Ist die Krise der Bundes-FDP auch in Köln angekommen? Wir haben uns an der Basis umgesehen

Ralph Sterck kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: »Ich habe schon viele Fraktionsvorsitzende kommen und gehen sehen«, sagt er. Zumindest das kann man der FDP in Köln nicht vorwerfen. Hier herrscht personelle Beständigkeit. Ralph Sterck sitzt seit 1999 als FDP-Fraktionschef im Rat der Stadt. Der gelernte Speditionskaufmann, 1965 geboren, dessen Eltern das mittelständische Transportunternehmen Kölner Flitzer führten, ist unangefochten. Ebenso lange ist Fraktionsgeschäftsführer Ulrich Breite, Jahrgang 1964, dabei. Die beiden sind die Gesichter der Kölner FDP.  

 

In Köln, wo sich neun Fraktionsmitglieder in der Opposition einem zerstrittenen Bündnis aus SPD und Grünen gegenüber sehen, hat es die FDP einfacher als die Spitze in Berlin. Sie muss nicht regieren und profiliert sich statt­dessen vor allem als Anwalt der Autofahrer und des Einzelhandels: Es geht um ausreichend Parkplätze, man kämpft für verkaufsoffene Sonntage. Wenn man Breite und Sterck fragt, ob die Kölner FDP nicht in erster Linie der parlamentarische Arm von IHK und ADAC sei, fällt die Empörung darüber ein wenig gespielt aus. Sterck und Breite können einen Witz vertragen, schließlich sind sie ja immer noch so etwas wie die Spaßpartei — auch in der Krise.

 

Die Traditionslinie verwischt, wenn man das liberale Freiheitsethos lokal herunterbricht. Die Kölner FDP tritt gegen ein Alkoholverbot am Brüsseler Platz ein, fordert eine städtische Köln-App, will die Kölner Plätze häufiger kommerziell nutzen lassen und mahnt mehr Public-­Viewing bei großen Sportereignissen an. Und die Verwaltungsbezeichnungen für die Veedel der Innenstadt will man abschaffen. Damit im Personalausweis nicht Altstadt-Nord, sondern etwa Agnesviertel eingetragen wird. Das ist alles irgendwie liberal.

 

Auch soll demnächst ein Live-Stream die Ratssitzungen für alle zugänglich machen — der Vorschlag stammt ursprünglich von der Wählergruppe Deine Freunde. Das zeigt eine gewisse Hilflosigkeit. Die FDP versucht verzweifelt, ein urbanes Milieu zu erreichen, jene Menschen, die liberal eingestellt sind, aber nicht für mehr Parkplätze oder weniger Steuern eintreten, sondern post-materiell und konsumkritisch orientiert sind. Es ist der Pool von Wählern, aus dem die Grünen und neuerdings auch die Piratenpartei oder in Köln die Wählergruppe Deine Freunde ihre Stimmen schöpfen.

 

»Wir müssen hier die Kölner Probleme lösen«, sagt Sterck. »Da hilft nicht die reine Lehre, das gilt für Privatisierungen, aber auch für Videoüberwachung.« Gerade ist im Rat auf Initiative der FDP durchgesetzt worden, dass nicht nur die Stadtbahnen, sondern auch die Busse videoüberwacht werden — ein Tabubruch gemäß einer liberalen Lehre, wonach der Staat den Bürger nicht unter Generalverdacht stellen dürfe. Breite sagt etwas abfällig: »Gegen Videoüberwachung zu sein, wird in der FDP wie eine Mons­tranz hochgehalten! Wir müssen aber hier vor Ort schauen, wie wir die Stadt am Laufen halten.« Am Laufen halten — das heißt für Breite auch, dass die Stadt sicher und sauber ist. Statt sich um das junge, urbane Bürgertum zu kümmern,  setzt die FDP auf Law and Order. In Köln geht das.

 

Er wolle Köln nicht zu einer Puppenstube machen, sagt Breite. Aber Köln sei eine dreckige Stadt und die Sicherheit nicht überall gegeben. Breite, der ebenso wie Sterck fest in der schwulen Community verankert ist, erzählt, dass er mit seinem Freund nicht Händchen haltend über die Ringe gehen könne. Seinen Ruf als Sheriff von Köln hat sich Breite zwischen 2000 und 2004 mit der Kampagne erworben, die sich gegen Taschendiebe unter den jugendliche Roma-Flüchtlingen richtete, zugleich aber alle Flüchtlinge in den Ruch von Kriminellen stellte. Auf dem Höhepunkt forderte die Partei, jugendliche Kriminelle in geschlossene Heimen wegzusperren und mit der »Kuschelpädagogik und den überkommenen Dogmen der 70er Jahre« zu brechen. Seit 2004 die rechtsextreme Bewegung Pro Köln im Stadtrat sitzt, hat die FDP das Vokabular etwas gemäßigt.

 

Ausgerechnet Breite kündigt nun an, die soziale Frage verstärkt auf die politische Agenda setzen. »Wer darauf eine vernünftige Antwort findet, der gewinnt die nächste Wahl«, ist er sich sicher. Zuletzt hat sich die FDP für ein weiteres Frauenhaus eingesetzt, als sie merkte, dass sie damit Rot-Grün in Köln gegen Rot-Grün im Land aus­spielen konnte. Und doch würde niemand die Kölner FDP als Experten­komitee für Soziales ansehen. Mitfühlender Liberalismus à la Christian Lindner, das passt nicht so recht zu der hemdsärmeligen Rhetorik der Kölner, die sich aus flotten Sprüchen und Furor speist.

 

Auch bei weniger existenzielleren Themen neigt die FDP zu einem Populismus, den ihre Verfechter freilich als Bürgernähe auffassen. Die Menschen merkten, dass die FDP auch heiße Eisen anpacke, glaubt Breite. »Kölner Staus kosten mich täglich viel Zeit mit der Familie«, stand auf einem Wahlplakat der FDP. »Dann fahr halt Bahn«, hat jemand darunter geschrieben.

 

Der FDP-Kreisverband Köln ist mit 850 Mitgliedern einer der größten in Deutschland. Er gehört zum einflussreichen Bezirksverband Köln/Bonn. Viele prominente Libe­rale stammen von hier: Guido Westerwelle, Andreas Pinkwart, Werner Hoyer, Gerhard Papke. Sterck und Breite haben die Handynummern der Partei-Granden, sie sagen »der Guido« und wissen, wo Westerwelle ausgeht, wenn er mal wieder in Köln ist. Da kann man sich noch als indirekt Regie­rungsbeteiligter fühlen. Aber wie geht man mit der Krise ganz unten um, sagen wir im Stadtbezirksverband Nippes?

 

In Nippes geht es zu, wie es in deutschen Vereinen so zugeht, auch wenn sie Partei heißen: Die Tagesordnung wird abgearbeitet. TOP 2 betrifft einen Bericht von der Weihnachtsfeier im Butzweilerhof. Natürlich waren die Flugzeuge ein Erlebnis, am besten hat Bezirksvertreter Stephan Wieneritsch ein blau-gelbes gefallen, das über allen Köpfen schwebte — das klingt nach linientreuer Partei­fantasie eines Mediengestalters.

 

Überhaupt ist das Klischee in Nippes nicht weit: Unter den sieben Anwesenden sind selbstständige Mediengestalter, Kommunikationsberater, Managementberater und eine Ärztin. Doch nassforsch ist hier keiner. Auch den neoliberalen Business-Typen sucht man vergeblich. Ärztin Bettina Houben trägt weiße Bluse, Perlenkette und Strickjacke, die sechs Männer vom Nippeser FDP-Verband haben Jeans und Pullover oder Fleecejacken an. Man ist bodenständig, möchte »Politik machen, die man sehen kann«: den Zebrastreifen oder die Sitzbank im Veedel durchsetzen.

 

Das passt irgendwie zur Lage, derzeit werden die handfesten Typen gesucht: »Die jetzt eintreten, sind uns die Liebsten«, sagt Wieneritsch. Viele können es nicht sein, die Mitgliederzahlen im Stadtbezirk schwankten bisher zwischen 67 und 62, jetzt sind es gerade mal 60. Die Verbliebenen handeln sich derzeit viel Häme ein. »Man erweitert nicht gerade seinen Freundeskreis«, meint Biber Happe. Selbst die kritische Haltung gegen die Vorratsdatenspeicherung werde nicht gewürdigt.

 

Egal, mit wem man spricht, der Name Lindner fällt bald — und es ist als erwarte man in diesen dunklen ­Stunden die Rückkehr eines Messias. Lindner — das ist für viele eine Verheißung auf eine neue Intellektualität, auf ein neues Profil, auf Wahlerfolge. Interviews erst ­wieder ab April, teilt sein Bundestagsbüro mit. Da helfen auch keine SMS von Ralph Sterck, der Mann inszeniert sein Comeback.

 

Auch Kim Beckemeier hofft auf Lindner. Die 23-Jährige Porzerin trägt Turnschuhe und Jeans zum Kapuzenpulli. Mit ihren beiden Stellvertretern Willem Fromm und Robert Wande sitzt die Kreisvorsitzende der JuLis in der Kölner FDP-Zentrale in der Altstadt bei Kaffee, Cola und Salzstangen. Bei den JuLis ist sie seit Anfang 2010, ihre beiden Kollegen ein paar Monate länger.

 

»Wir haben alles miterlebt«, sagt Wande. »Den Erfolg bei der Bundestagswahl und dann den Absturz.« Wie kommt man als junger Mensch zur FDP? Wande erinnert sich an eine Anne-Will-Sendung. »Da fand ich Westerwelle viel beeindruckender als alle anderen«. Mit seinem damaligen Klassenkamerad Fromm ging er zur Zeit des Europawahlkampfs 2009 erstmals zu den JuLis. »Und dann bin ich da hängengeblieben«, so der 21-Jährige.

 

Natürlich kennen Sie all die Witze, die über ihre Partei gerissen werden. Sie kennen das satirische Extra-3-Video »Wenn Kinder ins FDP-Milieu abdriften«, sie kennen den FDP-Rap von The Incredible Herrengedeck aus Berlin. »Das ist ja im Moment eine eigene Gattung, wie Blondinenwitze«, sagt Fromm. Der Geschichtsstudent beteuert, keine negativen Erfahrungen mit Gleichaltrigen gesammelt zu haben: »Ich bin ja nicht Mitglied einer verbrecherischen Organisation.«

 

Die politischen Inhalte hätten sie von Anfang an überzeugt. Die Abschaffung der Wehrpflicht, die generelle Bürger­rechtspolitik, die Kritik an der Vorratsdatenspeicherung, die europafreundliche Position. Und das richtige Maß zwischen wirtschaftlicher und bürgerlicher Freiheit, das gebe es bei keiner anderen Partei, sagt Wande feierlich. »In der FDP ist der Mensch halt immer noch am freiesten«, ergänzt Beckemeier und lacht ein wenig verlegen.

 

Von der großen Krise ist auch bei den JuLis Köln nichts zu spüren. »Hier läuft alles ganz normal weiter. Wir haben sogar Eintritte«, sagt Beckemeier. Seit ihrer Wahl zur Kreisvorsitzenden im vergangenen Oktober hätten sie mehr als zehn neue Mitglieder zu verzeichnen. Und man will noch mehr junge Kölner ansprechen. Der AK Stadtentwicklung heißt daher ab sofort AK Kölle und tagt erstmals Anfang März. »Bei kommunalen Themen wollen wir jetzt mehr reinpowern«, sagt Wande. Und dann redet er von Themen, die auch Ralph Sterck und Ulrich Breite umtreiben: Die schwierige Parkplatzsituation zum Beispiel, die Änderung der Veedelsnamen in der Innenstadt, die vielen Baustellen.

 

»Auch wir sind ja mal als Boy Group angetreten, als Freundeskreis, der Politik machen möchte«, sagt Sterck. »Da steht man in guten und schlechten Zeiten zusammen, das habe ich für die Bundespolitik auch gehofft, das war aber leider nicht so.« Überhaupt lassen sich Breite und Sterck den Spaß nicht verderben. Auf Facebook sieht man sie im Karnevalskostüm. Für Fraktionschef Ralph Sterck hat die FDP gar eine eigene Internetseite eingerichtet. Der letzte Eintrag datiert vom November vergangenen Jahres: »Sie müssen die Uhr anstellen, Herr Oberbürgermeister, sonst rede ich endlos, und das will ich den Kolleginnen und Kollegen nicht zumuten.« Einen noch? Sagt einer »Meine Damen und Herren, entscheidend ist, dass etwas passiert!«. Sagt Ralph Sterck: »Was hinten dabei herauskommt!« Und das Protokoll vermerkt: »Heiterkeit«. Und was kommt bei der FDP hinten raus?

 

Im Nippeser Stadtbezirksverband wünscht sich jemand, dass »die Herrschaften in Berlin die Töne besser setzen«. Der Name Rösler fällt dabei nicht ein einziges Mal, dafür wird Westerwelle, der Alt-Vorsitzende, als guter, wenn auch umstrittener Politiker und begnadeter ­Rheto­riker gelobt. In der Rückschau sehen eben selbst gelbe Schuhsohlen besser aus. Hoffnung setzt Stephan Wieneritsch, der einst in die FDP als Bürgerrechtspartei eingetreten ist, vor allem in das neue Grundsatzprogramm, vom er sich wünscht, dass es »in verständlichen Worten« formuliert ist. Auf Christian Lindner kommt eine Menge Arbeit zu.