Neue Musik aus dem Netz

Halster, Vassily K., Herman Müntzing — RNA Polymerase II Transcription (Clinical Archives)

 

Miche — Along Yurikamome (Clinical Archives)

 

Es ist an der Zeit, dass wir einmal einen Blick auf einen der Netlabel-Giganten werfen: Clinical Archives aus Moskau kann in den sieben Jahren seines Bestehens über 500 (!) Releases vorweisen. Wer nun mutmaßt, dass es sich hierbei um schnell produzierte elektronische Musik handeln müsse, den belehrt der Backkatalog eines besseren. Das Label widmet sich den in der Netaudio-Szene eher unterrepräsentierten Genres Experimental, Jazz, Noise, Drone, Freie Improvisation und ähnlichem mehr. »Eclectic and illogical music« nennen die Labelbetreiber das.

 

Das jüngst veröffentlichte Album des schwedischen Improv-Gitarren-Trios Halster geht für ungeübte Ohren zwar teilweise an die Grenze des Hörbaren, packt auf der anderen Seite aber durch irrsinnige Wendungen, eine hohe atmosphärische Dichte und viel Dynamik, für die auch und insbesondere der schwedische Experimental-Elektroniker Herman Müntzing und der russische Gitarrist Vassily K sorgen. Label-Neuzugang Miche aus Tokyo hingegen debütiert mit einem Ambient/Drone-Album von beeindruckender Tiefe. Die titelgebende »Yurikamome« ist eine computergesteuerte, fahrerlose Bahnlinie entlang der Uferlinie Tokyos —  und Miches Musik gewissermaßen der Soundtrack einer nächtlichen Fahrt durch diese futuristische Umgebung.

 

Jan Grünfeld — A Trace (headphonica)

 

Genau das richtige um den winterlichen Vorhang von trüben Gedanken entweder aufzuziehen oder bei entsprechender Disposition auch gerne zuzuziehen. Wir hören luftige Akustik-Gitarren, eingebettet in Umgebungsgeräusche und getragen von längeren tiefen Tönen von Cello, Bass oder auch mal Synthesizer. Darüber zart vorgetragener, fast schüchterner Gesang. Zerbrechlich muten sie zunächst an, diese Stücke. Doch atmen sie auch zwingendes Selbstbewusstsein, ein »Genau so und nicht anders«. Kein Wunder, hat sich Jan Grünfeld doch nach eigenem Bekunden vier Jahre Zeit für die Zusammenstellung gelassen. Manchmal liegt die Kraft dann doch in der Ruhe.

 

Phonotrash — Elsewhere (headphonica)

 

Gleiches Label, komplett anderer Sound. Die drei Musiker in klassischer Rock-Trio-Besetzung lassen es ordentlich krachen. Zum Einsatz kommen E-Drums, E-Gitarre mit billigen (sprich trashigen) Effekten und E-Bass mit nachgeschaltetem Gitarren-Synthesizer. Das Ganze dann komplett selbst im Proberaum aufgenommen. Das hat weniger mit Punk oder Garage zu tun, sondern mehr mit 8Bit-Ästhetik, Retro-Spielekonsolen, C64 und 80er Jahre SciFi-Sounds. Klingt wie Computermusik, ist es aber nicht. Ist nämlich mit viel Drive von einer durchgeknallten Band live eingespielt. Faszinierend. 

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