Foto: Manfred Wegener

Opus Dei in Köln: Die Numerarier sind unter uns

Eine familiäre Atmosphäre und ein Campusleben nach angelsächsischem Vorbild: In dem Kölner Studentinnenwohnheim Campus ­Müngersdorf präsentiert sich die katholische Organisation Opus Dei von ihrer freundlichen Seite. Ist also nichts mehr dran an den Horror­geschichten von Selbstkasteiung, ­Psychoterror und Geheimniskrämerei?

An der Aachener Straße 608 ist die Welt noch in Ordnung. Dort findet man, direkt an der Ausfahrt zum Militärring, einen gelben Gebäudekomplex aus den 60er Jahren. »Campus Müngersdorf« steht an der Tür, Wohnheim für Studentinnen. Drinnen leben Gleichgesinnte zusammen wie in einer großen Familie. Draußen, da ist die Wildnis. Wer von draußen kommt, muss an der Pforte klingeln, so wie alle Bewohnerinnen auch. »Wenn ich von der Uni hier herkomme, das ist wie Heimkommen. Da wartet immer jemand auf mich, der mich freundlich begrüßt«, sagt Eva Guldner, 19 Jahre, Lehramtsstudentin im zweiten Semester. Es stört sie nicht, dass sie keinen Schlüssel zu ihrem Zuhause hat. Die Studentinnen teilen sich den Pfortendienst, auch spätabends, bis alle heimgekehrt sind. Auf einer kleinen Pinnwand können sie nachsehen, wo sich ihre Kommilitoninnen gerade aufhalten. Im Haus, in der Uni oder auf Reisen, zu den Eltern etwa. Wenn eine abends länger ausgeht, muss die andere aufbleiben und warten. Da ist Rücksicht gefragt.

 

Die Pforte ist nicht das einzige, worin sich der Campus Müngersdorf von anderen Wohnheimen unterscheidet. »Wir wollen Werte vermitteln. Rücksichtnahme, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft«, erklärt Hilde Müller, die Leiterin des Hauses. »So, wie es in einer Familie eben sein sollte.« Des­halb gibt es gemeinsame Mittag- und Abendessen, ein allabendliches »Get-Together« nach der Tagesschau, und mindestens einmal im Monat schwär­men die Bewohnerin­nen aus, um im Behindertenheim zu helfen oder der Gesell­schaft auf andere Weise nützlich zu sein. Müller ist eine zupackende Frau mit gewinnendem Lachen und lockerer Zunge, kumpelhaft und mütterlich zugleich. Man kann nicht anders, als sich in ihrer Gesellschaft wohl­zufühlen. Auch wenn manches, was sie sagt, ungewöhnlich ist. Zum Beispiel, dass Jungsbesuche im Haus nicht erlaubt sind. Hat eine Studentin einen Freund, kann sie ihn nur in seiner Wohnung treffen, nur bei ihm übernachten. »Die Mädels können sich so ­einfach freier entfalten.«

 

Es dürfte allerdings noch ein weiterer Grund eine Rolle spielen. Ge­leitet und finanziert wird das Wohnheim nämlich von der Organisation Opus Dei. Gespart wird nicht: Die Zimmer sind groß und hell, es gibt eine Bibliothek, Studienzimmer mit Domblick, warme Mahlzeiten und einen Putzdienst. Alles ist hier perfekt sauber und ordentlich. »Damit sich die Mädels ganz aufs Studium konzentrieren können«, sagt Müller. In Aachen, Bonn und Münster betreibt das Opus Dei Studentenwohnheime nach ähnlichem Muster. In Köln steht sogar noch ein zweites: Das Haus Schweidt an der Weinsbergstraße in Ehrenfeld, in dem ausschließlich männliche Studenten leben. Geschlechtertrennung ist ein grundlegendes Prinzip des »Werks«, wie Mitglieder und Nahestehende das Opus Dei nennen. Weitere besondere Merkmale: streng hierarchischer Aufbau, absolute Papsttreue, Hang zu elitären Strukturen und zur alten Liturgie.

 

Die Hochleistungskatholiken

 

Die Kapelle im Campus Müngersdorf ist jeden Morgen und Abend gut gefüllt. Zum Auftakt der Messe sprechen die Studentinnen das Schuldbekenntnis: »Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld«, begleitet von dreimaligem, synchronem Schlagen an die Brust. Alle kennen die Liturgie, die Gebete, und wenn ein Lied an der Reihe ist, dann singen sie es laut, mehrstimmig, schön. Als sich die Messe dem Ende nähert, ziehen zwei junge Frauen aus der rechten und linken Bankreihe je eine kurze Kniebank vor den Altar, schnell und geräuschlos, wie in einem Ballett. Dann knien alle nacheinander nieder und empfangen die Hostie vom Pfarrer direkt auf die Zunge, ganz wie in alten Zeiten.

 

Innerhalb der katholischen Kirche hat das Opus Dei den einzigar­tigen Status einer »Personalprälatur«, was etwa dem Rang einer Erz­diözese ohne festes Territorium gleichkommt. Die weltweit rund 90.000 Mitglieder sind also neben ihrem in Rom sitzenden Prälaten Javier Echevarría keinem Bischof, sondern allein dem Papst unterstellt. Gegründet wurde das Werk 1928 von dem Priester Josemaría Escrivá in Spanien, wo heute etwa die Hälfte aller Mitglieder lebt. In Deutschland zählt das Opus Dei nur etwa 600 Mitglieder, wobei sich ein großer Teil von ihnen wohl im Raum Köln aufhalten dürfte. Denn hier befindet sich die Deutschlandzentrale von Opus Dei mit zwei angeschlossenen Zentren, in denen ­Mitglieder wohnen. Hier steht das Lindenthal-Ins­titut, das von Opus-­Dei-Mitgliedern geleitet wird, mit wissenschaft­lichem Anspruch auftritt und unter anderem mit der Universität Köln kooperiert. Neben den beiden Studentenwohnheimen betreibt das Werk in Köln auch zwei Jugendclubs, und in seiner Hand liegt seit Ende der 80er Jahre auch die Gemeinde St. Pantaleon. Seine Ak­tivitäten finanziert das Werk mithilfe einer Vielzahl von Stiftungen, deren Verbindung zum Opus Dei nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist.

 

Im Mittelpunkt der Theologie von Opus Dei steht die »Heiligung der Arbeit und des Alltags«. Indem man seine Arbeit besonders sorgfältig ausführe, ehre man Gott in je­der Minute und erlange eine Ahnung vom Paradies. »Da­hinter steckt ein Gedanke, der im Grunde ans Urchristentum anknüpft.« So drückt es ein hochrangiges, zum Priester geweihtes Mitglied des Werks aus. »Der Weg zum Paradies steht eben nicht nur Ordensleuten und Pfarrern offen, sondern auch dem Handwerker, der seine Wand besonders akkurat zimmert, oder der Hausfrau und Mutter, die sich hingebungsvoll um die Kinder und den Haushalt kümmert.« Mit dieser Theologie sei der Gründer Escrivá ein Vorreiter des Zweiten Vati­kanischen Konzils gewesen, das unter reformwilligen Katholiken als ­Aufbruch in die Moderne gilt — eine Behauptung, die Opus-Dei-Kritiker für den Gipfel der Dreistigkeit halten.

 

Arbeit, Fleiß und Sorgfalt, das klingt so, als habe man es mit einer Art von katholischem Calvinismus zu tun. Absolute Disziplin ist für die Mitglieder auch erforderlich, damit sie ihren sogenannten Lebensplan erfüllen können. »Man versucht, jeden Tag in die Messe zu gehen, Rosenkranz zu beten, persönliche Gebete und eine geistliche Lesung zu halten«, sagt Hilde Müller. Wie alle Mitglieder, die eine leitende Position innehaben, gehört sie zu den sogenannten Numerariern. Das bedeutet, dass sie zölibatär lebt und ihre gesamte Arbeitskraft dem Werk zur Verfügung stellt. Numerarier sind außerdem für die religiöse Bildung der übrigen Mitglieder verantwortlich, ein Teil der männlichen Mitglieder wird zum Priester geweiht. Supernumerarier dagegen sind verheiratete — oder aber heiratswillige — Mitglieder, deren Fokus auf den familiären Verpflichtungen liegt. Sie machen etwa zwei Drittel aller Mitglieder aus.

 

Hilde Müller trägt auch »ab und an« den Bußgürtel, der vor allem den Numerariern als Werkzeug der »Abtötung« empfohlen wird: Eine Art Metallband mit nach innen gerichteten Dornen, das man um den Oberschenkel bindet. In vielen Büchern über das Opus Dei ist nachzulesen, dass Numerarier diesen Bußgürtel zwei Stunden täglich tragen und sich zusätzlich einmal in der Woche mit einer Geißel aus verknoteten Seilen züchtigen sollen. Hilde Müller widerspricht: »Feste Regeln gibt es da nicht.« Wer das »Instrument« für sich nutzen wolle, könne das tun, gezwungen oder gedrängt aber werde dazu niemand. Und überhaupt, sagt Müller, »ich verstehe nicht, was die Leute immer mit dem Bußgürtel haben. Das piekst vielleicht ein bisschen, das war’s.«

 

Die Charmeoffensive

 

Den Ruf von Opus Dei prägten lange Zeit Bilder von sich geißelnden Fanatikern, Vorstellungen von einem antidemokratischen Geheimbund, der mit dem extrem rechten politischen Spektrum sympathisiert — immerhin war der Gründer Escriva ein Freund Francos. Es folgte in den 80er Jahren die aufsehenerregende Aussteigergeschichte von Klaus Steigleder im Spiegel: Darin erzählt der heutige Professor für Philosophie, wie er als Schüler im Kölner Jugendclub Feuerstein seinen Eltern entfremdet und dazu angehalten wurde, sich zu geißeln und den Bußgürtel zu tragen. Steigleders Bericht ist mit allen Zutaten gespickt, die eine aufregende Sektengeschichte braucht. Wenige Jahre nach dieser Veröffent­lichung erfuhren die Kölner Katholiken, dass Joseph Kardinal Höffner, bis 1987 Kölner Erzbischof, die Geschicke der Gemeinde St. Pantaleon in die Hände von Opus Dei legen wolle. Zwei Drittel der gewählten Mitglieder des Gemeinderats traten darauf hin zurück, und als die neuen Pfarrer Chorschranken, Mundkommunion und in Latein gehaltene Messen wieder einführten, suchten viele Gläubige das Weite.

 

Dann wurde es ruhiger um das Opus Dei, und seit etwa zehn Jahren scheint sich seine Wahrnehmung sogar ins Positive zu drehen: 2002 wurde der Gründer Escrivá heiliggesprochen, und als Papst Benedikt XVI. anlässlich des Weltjugendtags in Köln weilte, war St. Pantaleon die einzige Pfarrei, der er einen Besuch abstattete. Auch spektakuläre Aussteigergeschichten wie die von Klaus Steigleder hat es seit vielen Jahren nicht mehr gegeben. »Aus den letz­ten Jahren ist uns nichts derartiges bekannt«, meldet die Beratungsstelle Sekteninfo NRW. Hinzu kommt, dass die katholische Organisation plötzlich Journalisten in ihre Häu­ser einlädt, sich als offen und »ganz normal« präsentiert.

 

Und tatsächlich, wer im Campus Müngersdorf mit den Studentinnen zu Abend isst, kann all die Horrorgeschichten kaum in Einklang bringen mit dem, was man hier findet. Beim »Get-Together« werden Chips und Limonade herumgereicht, es wird viel gekichert, überhaupt herrscht eine Stimmung wie auf einer Klassenfahrt. Die jungen Frauen kommen aus Ecuador, Korea, Lettland, Ägypten oder Spanien, die meisten sind zwar katholisch, aber es leben auch evangelische und nichtkonfessionelle Studentinnen hier, seit kurzem auch eine Muslimin. Dem Opus Dei gehörten zurzeit nur sechs von ihnen an, sagt die Leiterin. »Das religiöse Programm ist absolut freiwillig.«

 

Die Studentin Eva Guldner nimmt all die Messen, Ein­kehrstunden und Betrachtungen gerne wahr. »Deshalb habe ich mir das Haus auch ausgesucht.« Sie kleidet sich so, wie modebewusste 19-Jährige das eben tun, mädchenhaft, verspielt, aber dabei unbedingt ordentlich. Sie kommt aus einer katholischen Familie, der Vater ist Diakon. Mitglied im Opus Dei sei sie nicht, habe aber »bisher nichts Abschreckendes« an der Organisation gefunden. Übrigens auch ihre Kommilitonen nicht, die sie manchmal zu Veranstaltungen mit ins Haus bringe. Die hätten da keine Berührungsängste, und wenn doch, dann seien sie überrascht, wie normal dort alles vor sich gehe. Opus Dei hält sie generell für »eine gute Form, um mit mehreren Menschen seinen katholischen Glauben zu leben.« Ob sie später mal ins Werk eintreten möchte, hält sie sich offen: »Vorstellen kann ich mir es schon.«

 

Wenn Eva Guldner oder Hilde Müller über das Opus Dei reden, klingt alles ganz leicht, ganz harmonisch. Mit großer Selbstverständlichkeit preist Müller auch die Bildungsveranstaltungen an, deren Besuch für alle Bewohnerinnen verpflichtend ist. An einem Mittwoch im Früh­sommer findet der Vortrag »Lebensrecht für alle?« statt, bei dem der ­Referent ­Kristijan Aufiero seine Anti-Abtreibungskampagne »1000plus« vorstellt. Aufiero ist Vorsitzender der Vereine »Birke e.V.« und »Pro Femina«, die eine — staatlich nicht anerkannte — Schwangerschafts­konfliktberatung anbieten. Wobei das Wort Beratung in diesem Fall in die Irre führt, denn Beratungsscheine werden nicht ausgestellt. Um Alternativen geht es nicht, »wir sind in jedem Fall für das Leben«, so ­Aufiero. Damit Schwangere sich gegen eine Abtreibung entscheiden, geht seine Organisation sogar so weit, den Frauen eine monatliche finanzielle Unterstützung zu zahlen. »Einmal haben wir einer Frau sogar ein Auto gekauft.«

 

Probleme werden schnell abgehandelt: Schwangerschaften nach einer Vergewaltigung? Sind natürlich bedau­erlich, aber nur in den seltensten Fäl­len der Grund für eine Abtreibung und damit zu vernach­läs­sigen. Schwe­re Behinderungen? Wir sagen bedingungslos ja zum Leben, auch wenn die Umstände mal etwas schwieriger sind. Finanzielle Probleme? Dafür gibt es ja uns, wir unterstützen die Mutter, damit sie eine freie Entscheidung treffen kann. Zum Schluss werden Broschüren und Spendenaufrufe verteilt, verbunden mit dem Appell an die Studentinnen, sie in ihren Gemeinden auszulegen. Die jungen Frauen greifen zu, die Stimmung ist aufgekratzt, alle scheinen voller Tatendrang, sich für die gute Sache zu engagieren.

 

Die Unterstützer

 

Eine Anti-Abtreibungskampagne wie die von Kristijan Aufiero braucht finanzstarke Unterstützer, und er findet sie unter anderem in hochadligen Kreisen, etwa bei Gloria Fürstin von Thurn und Taxis sowie Johanna Gräfin von Westphalen. Gemeinsam engagiert man sich im Forum Deutscher Katholiken, zu dem auch Mitglieder des Opus Dei wie der Deutschlandfunk-Moderator Jürgen Liminski zählen. »All diese rechten katholischen Vereinigungen bilden zwar kein straff geführtes Netzwerk, aber sie stehen sich geistig nahe und spielen sich Kontakte zu«, so der Journalist Peter Hertel. Der mittlerweile 76-Jährige ist der wohl profilierteste Opus-Dei-Kritiker Deutschlands, er hat Jahrzehnte zum Thema recherchiert und juristische Kämpfe mit der Organisation ausgefochten. Um an die richtigen Leute heranzukommen und zumindest einen kleinen Einblick in die Organisation zu erhalten, hat er Jahre gebraucht. »Was im Opus Dei abläuft, bestimmen letztlich nur einige wenige, hochrangige Mitglieder. Und die sind ausschließlich männlich.«

 

Das tonangebende Geschlecht lässt sich von der Frauenriege um­hegen. »Ehrenamtliches Engagement« nennt Hilde Müller es, wenn die Studentinnen einmal im Monat St. Pantaleon putzen. Ein Dienst der genau­so obligatorisch ist wie der Besuch der »Bildungsveranstaltungen«. Die Stu­dentin­nen schrubben Kirche, Sakristei und den ganzen Rest der »Männer­wirtschaft«, erzählt Müller und erklärt mit verschwörerischem Augenzwinkern: »Die Männer sehen den Schmutz einfach nicht so gut.« Was nach Ansicht von Opus Dei Frauen können und was Männer, spie­gelt sich auch im Programm wider: Während im Campus Müngersdorf Vorträge zur Arbeit in der Kita und Workshops mit Namen »Fit für den Haushalt« angeboten werden, gibt es im Haus Schweidt, dem Wohnheim für die männ­lichen Studenten, Kurse zum Management und zur Unternehmensethik.

 

Wie sieht es also aus bei den Männern? Ein Anruf im Haus Schweidt, dem Studentenwohnheim in Ehrenfeld. Da ist es plötzlich vorbei mit der Offenheit. Nach wochenlangen vergeblichen Versuchen, mit dem Haus in Kontakt zu treten, kommt schließlich die Nachricht: Ein Besuch im Haus ist nicht erwünscht, nicht einmal ein Telefonat mit dem Leiter. Begründung: Der neu eingesetzte Leiter, ein SPD-Politiker namens Dennis Hutschenreiter, müsse sich ebenso wie die neuen Studenten erst einmal im Haus einfinden. Stattdes­sen kommt es zu einem durchaus interessanten Gespräch mit einem hochrangigen, geweihten Mitglied des Opus Dei, das jedoch namentlich nicht genannt werden möchte. Darin bekennt er unter anderem, auch Jugendlichen den Bußgürtel zu empfehlen, »wenn ich den Eindruck habe, dass es für ihn das Richtige ist. Wenn er den Wunsch verspürt nach Wiedergutmachung, wenn er mitleiden möchte mit Christus.«

 

Abgesehen von diesem Interview ist aus der Männerwelt des Opus Dei nichts zu erfahren. »Das Opus Dei ist nun mal eine Geheimorganisation. Es ist schwierig, mit diesen Leuten zu reden, weil man als Außenstehender erstens nie weiß, ob sie Dinge, die nicht nach außen dringen sollen, bewusst verschweigen beziehungsweise korrekt darstellen, also: ob sie die Wahrheit mitteilen. Und zweitens, weil sie oft selbst nicht viel über die Wahrheit der Organisation wissen, wenn sie nicht zur männlichen Führungsebene gehören«, sagt Opus-Dei-Kenner Hertel. Da ist das eine, das offene Gesicht des Werks, das einem im Campus Mün­gers­dorf gezeigt wird. Dann wieder bleiben die Türen verschlossen, und jedem Interesse wird mit unverhohlenem Misstrauen begegnet. Eine nur scheinbare Offenheit zeigt sich auch im Umgang von Hilde Müller mit den Referenten, die im Campus Müngersdorf auftreten und mit denen sich das Wohnheim gerne schmückt. Renommierte Wissenschaftler, Journalisten von FAZ und Zeit haben schon auf dem Podium gestanden. Ist das Opus Dei in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

 

Nachfragen fördern Erstaunliches zutage. »Dass die Einrichtung mit Opus Dei in Verbindung steht, habe ich erst vor Ort verstanden, unmittelbar vor der Lesung. Ich fand das ehrlich gesagt überraschend«, berichtet die Zeit-Redakteurin Nina Pauer. »In ihrer Anfrage hatte Hilde Müller das Opus Dei mit keinem Wort erwähnt.« Der Psychologe Stephan Grünewald will sogar erst auf Nachfrage der StadtRevue davon erfahren haben, bei welchem Träger er aus seinem Buch »Deutschland auf der Couch« gelesen hat. Ihm ist die Sache unangenehm. »Ich lasse mich ungern von irgend jemandem vor den Karren spannen.« Beide erinnern sich jedoch, dass die Lesungen in offener Atmosphäre und vor außergewöhnlich interessiertem Publikum stattgefunden hätten. Hilde Müller habe sich in besonders freundlicher Art darum bemüht, sie als Referenten zu gewinnen. »Sie hat mir sogar eine Karte zum Geburtstag geschickt. Über so etwas freut man sich natürlich.« Hilde Müller bestreitet, mit irgend etwas hinterm Berg zu halten. »Dass wir vom Opus Dei sind, kann man doch überall nachlesen.«

 

Die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Wer­ner gehörte sogar eine Weile dem Kuratorium des Campus Müngersdorf an — ohne sich über die Trägerschaft bewusst zu sein. Als ihr klar wurde, für welche Organisation sie da ihren Namen hergegeben hatte, trat sie sofort zurück. Auch ihr scheint diese Episode äußerst unangenehm zu sein.

 

Es gibt aber auch renommierte Institutionen, die das Opus Dei für salonfähig halten. Dazu gehört die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die seit zwanzig Jahren mit dem Campus Müngersdorf kooperiert. »Bei diesen Veranstaltungen handelt es sich um Angebote für Studierende zur politischen Bildung, wie sie die KAS mit den gleichen Themen und Referenten bundesweit an vielen Orten auch mit anderen Kooperationspartnern durchführt«, teilt Susanne Kophal von der Konrad-Adenauer-Stiftung mit. »Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte wegen der Kooperation mit Opus-Dei-nahen Werken sind mir nicht bekannt.« Peter Hertel ist über die Zusammenarbeit der beiden Organisationen nicht überrascht: »Ich weiß, dass vor einigen Jahren Numerarier des Opus Dei in der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig waren. Es gab auch eine enge Zusammenarbeit mit der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung.«

 

Das katholische Hinterland

 

Dass sich das Opus Dei ausgerechnet im Kölner Raum so ausbreiten konn­te, hängt nicht zuletzt auch mit der Anerkennung zusammen, die das Werk aus dem Erzbistum erfährt. In Köln habe das eine gewisse Tradition, berichtet Peter Hertel: »Schon Kardinal Höffner war ein Sympathisant, seine Schwester, die ihm den Haushalt führte, war wohl Mitglied.« ­Weihbischof Dominik Schwaderlapp steht dem Werk sehr nahe und ist vermut­lich Mitglied in der »Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz«, einer Gemeinschaft von Diözesanpriestern, die dem Opus Dei sehr eng verbunden sind. Es wurde wiederholt öffentlich berichtet, dass er an Exerzitien des Opus Dei teilgenommen hat. Auch Kardinal Meisner hat mehrfach sein Wohlwollen gegenüber dem Werk geäußert. Er bekräftigte diese Zuneigung, als er 2006 den Pressesprecher der Diözese durch ein Opus-Dei-Mitglied ersetzte, das dann zu­sätzlich auch zum Chefredakteur der Kölner Kirchenzeitung er­nannt wurde. Inzwischen sind diese Posten allerdings wieder neu besetzt.

 

Als die ersten Opus-Dei-Mitglieder in den 50er Jahren nach Deutschland kamen, eröffneten sie zunächst eine Niederlassung in Bonn und siedelten dort auch ihren Finanzapparat an. »Sie gehen immer gerne da hin, wo die politische Macht und das Geld sind«, so Hertel. Konsequenterweise versucht das Werk seit den 90er Jahren, in Berlin Fuß zu fassen. Auch Hilde Müller, die aus Aachen stammt, wurde für einige Jahre dorthin geschickt, bevor sie nach Köln zurückkehrte, um den Campus Müngersdorf zu leiten. In der Hauptstadt jedoch war das Werk nicht sehr erfolgreich. Der Versuch, ein Jungengymnasium — nach dem Vorbild eines Mädchengymnasiums in Jülich — zu errichten, ist bisher gescheitert. »Das entsprechende katholische Hinterland finden sie in Berlin eben nicht — im Gegensatz zum Rheinland«, sagt Hertel dazu.

 

»Köln ist ohne Zweifel das Machtzentrum des Opus Dei in Deutschland«, bestätigt auch der Theologe David Berger. Als Lektor der Vatikanischen Glaubenskongregation gehörte er zu den obersten Zensoren innerhalb der katholischen Kirche. Nachdem er sich jedoch als homosexuell geoutet hatte, wurde er von allen Ämtern entbunden und arbeitet inzwischen als Chefredakteur eines schwulen Lifestylemagazins in Berlin. »In St. Pantaleon versammelt sich alles, was es in der katholischen Kirche an Ultrakonservativen gibt«, sagt Berger. Dem Opus Dei in St. Pantaleon sind in den letzten Jahren reaktionäre Gruppen gefolgt wie etwa die Kölner Liturgische Tagung, die eine Rückkehr zur klassischen Liturgie anstrebt, oder aber die Zeitschrift Theologisches, die dort ihre Jahrestagungen ab­hält. Kürzlich erschien darin ein Artikel, der Homosexualität und Kindesmissbrauch gleichsetzte, erzählt David Berger, der bis zu seinem Coming-out selbst Schriftleiter und Mitherausgeber der Zeitschrift war. Kritische Stimmen aus anderen Teilen des Erzbistums sind nicht zu vernehmen. Gerade zum Thema Opus Dei möchte sich lieber keiner äußern. »Die liberalen Geistlichen sind nach und nach aus Köln wegbeordert worden, oder sie haben von selbst aufgegeben. Eine Oppo­sition gibt es kaum noch.«