»Ein heute geborenes Kind wird nicht mehr wissen, was ein Moment Privatsphäre bedeutet – einen Gedanken zu haben, der weder aufgenommen wurde, noch analysiert. Das ist ein Problem, denn das Privatleben ist wichtig, das Privatleben hilft uns zu bestimmen, wer wir sind und wer wir sein wollen.« (Edward Snowden zu ­Weihnachten 2013 im britischen TV-Sender Channel Four) | Foto: willma ... / photocase.com

Spinner, Spanner und Spione – Alu-Hut-Träger im Aufwind

Nahezu alle Lebensbereiche stehen ­aufgrund der Digitalisierung unter Beobachtung – wie sollen wir damit umgehen?

Gegen die Bedrohung der Privatsphäre, etwa durch die Vorratsdatenspeicherung oder auch die Elektronische Gesundheitskarte, sind bislang nur wenige auf die Straße gegangen. Das Eintreten für Datenschutz und das Recht auf »informationelle Selbstbestimmung« wirkte auf viele wie ein Thema für Computer-Nerds. In der breiten Öffentlichkeit fand das Anliegen kaum Gehör. Denn die meisten Menschen hielten sich für nicht betroffen, schließlich hatten sie ja nichts zu verbergen und demnach auch nichts zu befürchten. Zumindest das hat sich nach Edward Snowden geändert. Das Thema hat den Mainstream erreicht und wird dort ausführlich, wenn auch meist in Schlagworten, diskutiert. Und so beginnen nun auch jene, die meinen, nichts zu verbergen zu haben, doch etwas zu befürchten. Es ist längst nicht mehr nur die Piratenpartei, die sich des Themas annimmt und öffent­­­lich Forderungen stellt. Aber eine Verbesserung der Situation erfordert mehr als die bloße Forderung nach »Mehr Transparenz!« Denn diese sichert für sich genommen ebenso wenig das Menschenrecht auf Privatsphäre wie Volksabstimmungen den Erhalt der Demokratie.

 

Aber es gibt auch jene, die Datenschutz generell für unzeit­gemäß halten. Für sie ist die Idee einer geschützten Privat­sphäre überholt, stattdessen propagieren sie »Post Privacy«, das Ende der Privatheit. Ihre These: Da das Internet nun mal ein rechtsfreier Raum sei, sei Datenschutz sowieso nicht mehr möglich. Daher sei es vielmehr notwendig, dass die Nutzer ihr Verhalten dementsprechend anpassten, indem sie etwa das Internet und vor allem Soziale Netze als erweiterte Öffentlichkeit begreifen sollten. Aber diese provokanten Thesen, wie sie etwa die »Datenschutzkritische Spackeria« im Internet vertritt, werden der Komplexität des Problems nicht gerecht. Die von der Spackeria vertretene »Post Privacy«-Philosophie ist mehr Zeitgeist-Strömung als politische Position. »Wir sind hoffnungslose Idealisten und wünschen uns eine diskriminierungsfreie Welt, in der es nicht notwendig ist, sich ins Privatleben zurückzuziehen«, sagte Julia Schramm, eine Vorreiterin der Post-Privacy-Bewegung, vor gut zwei Jahren. In einem Interview auf Spiegel online behauptete sie: »Privatsphäre ist sowas von Eighties!« Die 28-Jährige, die 2012 für kurze Zeit als einer der wichtigsten Köpfe der Piratenpartei gehandelt wurde, bezeichnet heute ihre Forderung »Keine Macht den Datenschützern!« immerhin als »dumme Aussage«, und die Idee einer Gesellschaft ohne Privatheit hält Schramm mittlerweile für »sehr naiv«. Kein Wunder also, dass die Spackeria-Bewegung, deren Name auf einen abwertenden Kommentar der Chaos-Computer-Club-Sprecherin Constanze Kurz über die »Post-Privacy-Spacken« zurückgeht, sich seit Snowden nicht mehr hörbar zu Wort gemeldet hat.

 

Klar, dass die Vertreter der Gegenposition nun Aufwind spüren und man von der sogenannten »Alu-Hut-Fraktion« in den vergangenen Monaten häufiger etwas gehört hat. Zwar lässt diese Bewegung, die sich nach den Hüten aus Science-Fiction-Geschichten benannt hat, die ihre Träger vor telepathischer Beeinflussung durch Außerirdische schützen sollen, auch viel Ironie erkennen. Aber mit ihrem Anliegen ist es der Alu-Hut-Fraktion ernst: Ihre Anhänger üben sich in digitaler Askese. Sie praktizieren Datenvermeidung – und verzichten daher auf Facebook, Twitter und ähnliche Dienste. Und sie veranstalten sogenannte Crypto-Partys: unkommerzielle Treffen, die dazu dienen, sich gegenseitig digitale Verschlüsselungstechniken beizubringen. Zwar gehen Fachleute mittlerweile davon aus, dass es vielleicht gar keine Verschlüsselung gibt, zu der nicht irgendwo ein Generalschlüssel existiert. Und erst kürzlich berichtete die Washington Post unter Berufung auf Snowdon-Dokumente, dass die NSA an einem Supercomputer baut, der so gut wie alle Verschlüsselungen knacken kann. Dennoch kann es für den einzelnen ratsam sein, Methoden der digitalen Verschlüsselung zu nutzen. Die Schlapphüte von der NSA können dann zwar wohl trotzdem mitlesen, aber eben viele andere Spinner, Spanner und Spione nicht mehr.

 

Wichtiger aber als jede Verschlüsselungstechnologie ist, dass man verantwortungsvoller mit der Privatsphäre umgeht. Das »Data Mining« der Geheimdienste braucht ja vor allem eines: Daten. Und einen großen Teil davon werfen wir freiwillig mit der Aussicht auf Spaß, Bequemlichkeit oder ein halbes Prozent Rabatt selbst in den Pool. Wir tauschen unsere Privatsphäre in kleinen Häppchen gegen kostenlose E-Mail-Accounts, WhatsApp, iPads und Smartphones ein. Und auf dem Weg zur Demo gegen den Überwachungsstaat nehmen wir noch eben ein paar Payback-Punkte an der Tankstelle mit. Wir sind ja nicht blöd. Oder vielleicht doch?

 

Das Schwierige am Datenschutz ist, eine eigene ­Kompetenz zu entwickeln. Die »Datenschutzkritische Spackeria« und die »Post Privacy«-Bewegung haben mit ihren Provokationen nicht zuletzt dazu beigetragen, uns das vor Augen zu führen. Wenn wir uns das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung nicht wegnehmen lassen wollen, dann sollten wir zuerst damit aufhören,es als Sonderangebot auf den Markt zu tragen.