Foto: Jörn Neumann

Räumpanzer gegen Igluzelte

Am 9. August beendete die Polizei gewaltsam das »6. Antirassistische Grenzcamp« auf den Poller Wiesen. Warum eigentlich?

Dies ist eine Durchsage an die Campteilnehmer«, schallt es aus dem Lautsprecherbus der Polizei. »Sie hatten mehrfach die Möglichkeit, das Camp zu verlassen. Dem sind Sie nicht nachgekommen. Sie sind hiermit in Gewahrsam genommen und werden zur erkennungsdienstlichen Behandlung in die Gefangenenstelle nach Brühl gebracht. Es ist 22 Uhr 13.« Die Einsatzkräfte der Polizei, die aus ganz NRW, Bayern und Hessen zur Räumung des »6. Antirassistischen Grenzcamps« auf den Poller Wiesen abkommandiert wurden, sind nervös an diesem 9. August, wirken aggressiv und schlecht gelaunt. Es ist Wochenende, die Hitze ist zermürbend, einige sind seit 12 Stunden im Einsatz. Denn das Camp ist schon seit dem Vormittag von der Polizei abgeriegelt, angeblich um eine Konfrontation zwischen den CamperInnen und einer neuerlichen Neo-Nazi-Demonstration zu verhindern. Bereits eine Woche zuvor, am 2. August, hatte die Neonazi-Organisation pro köln in Poll gegen Flüchtlingsheime und die Grenzcamper mobil gemacht – pikanterweise auch mit der Forderung »Chaotenlager auflösen«.

Dubiose Eingriffe in das Bürgerrecht

Stundenweise stellte die Polizei den Campern am Tag der Räumung das Wasser ab, es sind 36 Grad im Schatten. Im Laufe des Samstags und der Nacht zum Sonntag, an dem das Grenzcamp regulär zu Ende gehen sollte, werden nach Polizeiangaben von über 500 TeilnehmerInnen die Personalien festgehalten und Fotos gemacht. Die undurchsichtige polizeiliche Arithmetik offenbart, dass man krampfhaft einen Vorwand für diesen schweren Eingriff in Bürgerrechte sucht: In einer Bilanz während einer Pressekonferenz (Samstag 17 Uhr) stellt der Kölner Polizeipräsident Klaus Steffenhagen fest, es habe 9 Festnahmen aus polizeirechtlichen Gründen gegeben und 36 nach Straftaten. Insgesamt seien 84 Straftaten begangen worden, darunter, so die Polizei, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und Widerstandsdelikte. Die Bezugsgröße – zur Erinnerung – sind rund 1.000 CamperInnen und ein Zeitraum von zehn Tagen. Die Bilanz eines einzigen Bundesliga-Wochenendes sieht vermutlich beeindruckender aus.
Um 21.45 Uhr setzen sich drei Wasserwerfer und ein Räumpanzer in Bewegung und fahren auf die Rheinwiese, es folgen unzählige Polizeibusse, ein Gefangenentransporter. Das martialisch bewehrte Sondereinsatzkommando SEK marschiert auf. 1.500 Uniformierte sind im Einsatz, so schätzt eine Beamtin und widerspricht damit unwillentlich den Angaben des Polizeisprechers von zwei bis drei Hundertschaften.
Die verbliebenen rund 400 CamperInnen und ihre bunten Igluzelte sind nun eingekesselt und stehen im grellen Licht der polizeilichen Flutlichtstrahler. Die Szenerie bekommt eine bizarre DDR-Grenz-Ästhetik. Unter den BeobachterInnen und PressevertreterInnen macht eine Frage immer wieder die Runde: Was soll dieser gigantische Aufmarsch? »Es ist schwierig, die Verhältnismäßigkeit dieser Aktion zu erkennen«, sagt auch Edith Müller (Bündnis 90/Grüne), Vize-Präsidentin des NRW-Landtags, und wirkt ratlos. Sie war nachmittags zufällig mit dem Fahrrad vorbeigekommen – und angesichts der offenbar prekären Situation vor Ort geblieben. »Die CamperInnen sind friedlich. Mir erschließt sich das Vorgehen der Polizei nicht.«

Out of control. Für globale Bewegungsfreiheit

Vielleicht erschließt es sich nur über die wachsende Brisanz des Themas Migration, die auf allen politischen Ebenen sichtbar ist: die schwelenden Kölner Auseinandersetzungen um das Flüchtlingsschiff und die sogenannten »unerlaubt eingereisten Personen«; das Gezerre im Bundesrat um ein neues Zuwanderungsgesetz; das europaweite entschlossene Bemühen, Migration zu managen, zu steuern, zu begrenzen.
Die Grenzcamps, die seit sechs Jahren stattfinden, halten dagegen, formieren Widerstand im Denken und Handeln. Das diesjährige Motto lautete: »Out of control. Für globale Bewegungsfreiheit. Verwertungslogik und rassistische Ausgrenzung angreifen!« Mit Aktionen haben die CamperInnen zehn Tage lang Institutionen ins Visier genommen, die Ausdruck eines strukturellen Rassismus oder einer alltäglichen Diskriminierung von MigrantInnen sind: das Kölner Flüchtlingsschiff und das Ausländerzentralregister, die Justizvollzugsanstalt und die International Organisation of Migration in Bonn, den Flughafen in Düsseldorf, von dem aus Flüchtlinge abgeschoben werden.
Und nicht nur das: Zum ersten Mal wurde ein Grenzcamp mit einem dreitägigen Kongress eröffnet. Kontrovers, aber konstruktiv wurden in der FH Deutz theoretische und lebenspraktische Aspekte von Migration diskutiert. Bemerkenswert war die Debatte um die »relative Autonomie der Migration«, die MigrantInnen nicht als Opfer eines globalen Mobilitätszwangs sieht, sondern als Akteure. Der ehemalige EU-Kommissar Antonio Vitorino schätzt 500.000 illegale Einwanderer in die Länder der EU pro Jahr. Sie alle vollziehen einen Akt der Selbstermächtigung, indem sie unerlaubt geographische und rechtliche Grenzen überschreiten und sich damit eine Bewegungsfreiheit faktisch nehmen, die ihnen staatlicherseits verwehrt wird: »out of control«.
Die dazugehörigen Forderungen skandierten die eingekesselten CamperInnen auf den Poller Wiesen: Freedom of Movement! Gleiche Rechte für alle! Die Schlichtheit der Losungen sollte nicht über ihre potenzielle politische Sprengkraft hinwegtäuschen. Sie könnte der eigentliche Grund für die Nervosität und Brutalität des staatlichen Eingreifens sein.

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