Ein typischer Beamter

Der ehemalige LVR-Landesvor­sitz­ende Udo Klausa musste sich niemals für seine Nazi-Vergangenheit verantworten. Die britische His­torikerin Mary Fulbrook hat seine Zeit als Beamter im besetzten Polen aufgearbeitet. Owen Hatherley hat sie in London getroffen

 

Udo Klausa war ein typischer Nazi-Beamter. Das ist zumindest, was die britische Historikerin Mary Fulbrook über Klausa schreibt, der von 1953 bis zu seiner Pensionierung 1975 der erste Landesdirektor des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) war. Aber Klausa war auch ein Freund der Familie von Mary Fulbrook. Seine Frau Alexandra war eine längjährige Freundin von Fulbrooks Mutter, bevor diese in den 1930ern nach England fliehen musste. Nachdem die beiden Frauen ihre Freundschaft nach dem Krieg wiederbelebt hatten, wurde Alexandra Klausa die Patentante von Mary Fulbrook. Klausa war ein Berufsbeamter und obwohl er später von Anti-Psychiatrie-Aktivisten wegen seines Traktats »Rasse und Wehrrecht« und den unhaltbaren Zuständen in den LVR-Psychiatrien kritisiert wurde, wurde seine Rolle als Beamter im besetzten Polen lange Zeit nicht diskutiert. Genau dieser Zeit widmet sich Mary Fulbrooks Studie »Eine kleine Stadt bei Auschwitz«. Sie kommt zu dem Schluss, dass kein Widerspruch darin besteht, als Berufsbeamter am Völkermord beteiligt gewesen zu sein.

 

Die kleine Stadt bei Auschwitz ist B?dzin, früher einmal Teil des »Dreikaiserecks« , wo das Habsburger, das Deutsche und das Russische Reich aufeinandertrafen. »Formal war diese Gegend nie ein Teil von Deutschland«, erläutert Mary Fulbrook, »nach dem Überfall der Deutschen auf Polen wurde es in das ›Großdeutsche Reich‹ eingegliedert.« Die meisten besetzten Gebiete lieferten ihre jüdische Bevölkerung an das General­gouvernement aus, um »judenrein« zu werden. Die Gegend um B?dzin war jedoch Teil der »Polizeigrenze«, wo Juden konzentriert wurden. »Auch Auschwitz war Teil dieses Landstrichs«, sagt Fulbrook. B?dzin war »überwiegend polnisch und jüdisch geprägt«, in den umliegenden Dörfern gab es kleine jüdische Gemeinschaften. Als Landrat war Klausa verantwortlich für diese Gegend, als Kopf der Zivilverwaltung kontrollierte er, wer sich ansiedeln durfte. »Das bedeutet, dass er die dortige Bevölkerung umsiedeln konnte. Die Unerwünschten mussten aus den besseren Gegenden wegziehen, damit die Erwünschten dort einziehen. Manchmal mussten auch Polen für Deutsche Platz machen, die Juden aber mussten aus ihren Häusern ausziehen und wurden in den schlechteren Gegenden der Stadt zunehmend ghettoisiert.« Dies scheint Klausas wichtigste Funktion gewesen zu sein, aber er verantwortete auch, dass die Menschen den Judenstern trugen oder geringere Nahrungsmittelrationen bekamen. Klausa war zudem für die Gendarmerie zuständig.

 

»Sicher könnte man sagen, dass er ›nur in der Verwaltung‹ tätig gewesen ist, aber es war die Verwaltung eines zutiefst repressiven Regimes«, so Mary Fulbrook. Hinrichtungen durch die Gendarmerie waren Alltag, am schlimmsten war ein Massenmord im Dorf Celiny. Von ihrem Haus, der enteigneten Villa einer jüdischen Familie, die Fulbrook als »das beste Haus der Stadt« bezeichnet, konnten die Klausas »von ihrem Fenster aus« den Abtransport nach Auschwitz beobachten. Weil er es »mit den Nerven« hatte, verließ Udo Klausa B?dzin 1942 und trat den Dienst bei der Wehrmacht an.

 

Klausa war ein Karrierist, der es im NS-Staat zu etwas bringen wollte, obwohl er Katholik war. 1932 trat er in die SA und 1933 in die NSDAP ein. 1936 veröffentlichte er »Rasse und Wehrrecht«, aber in seinen, für seine Familie bestimmten, Memoiren war ihm sehr daran gelegen, sich und andere »anständige« Verwaltungsmenschen von den »Verbrechern« der Gestapo und SS sowie den »Ideologen« an der Spitze des NS-Staats abzugrenzen. Klausas Ahnung, dass er »in etwas involviert gewesen sei, was besser nicht geschehen sollte, in Kombination mit einem ungebrochenen Konformismus und Karrierismus ist vermutlich typisch für viele, zu denen wir keinen Zugang haben oder über die wir nicht soviel wissen«, sagt
Fulbrook. Die Historikerin beschreibt Klausa als »kolonialen« Antisemiten, der dennoch dem »eliminatorischen« Antisemitismus der Nazis zuarbeitete. »Es geht nicht um die Motivation des einzelnen, sondern was man für den Judenmord mobilisiert«, erläutert sie. »Wenn eine Gesellschaft total dazu mobilisiert ist, in ihr konformistisch zu handeln, dann schafft man so die Bedingungen für die kleine Minderheit, die motiviert sind, zu morden. Der Holocaust konnte nur geschehen, weil Menschen Rollen ausfüllten, wie sie es davor und danach für unmöglich gehalten hätten.«

 

Fulbrook verwendet einen Großteil ihres Buches darauf, Klausas nicht sonderlich exakte Darstellung der Ereignisse in B?dzin zu entfalten. Klausa war daran interessiert »nicht unschuldigerweise schuldig« zu werden, wie es Fulbrook ausdrückt, und so legt Klausa sich sogar eine Geschichte über einen »geretteten Juden« zurecht. Dieser Jude arbeitete als Faktotum im Haushalt der Klausas und wird von ihm wie ein Familienmitglied präsentiert. Seine Familie sei dem Abtransport nach Auschwitz für kurze Zeit entgangen, weil sie sich im Keller von
Klausas Haus verstecken konnte, schreibt Klausa. Fulbrook hält diese Geschichte für »übertrieben«. Sie habe sich »ein Bein ausgerissen, um im Zweifel für Klausa zu sein«, nachdem Klausas Kinder ihre Darstellung des Vaters kritisiert hatten, erzählt Fulbrook. Dennoch habe sein Sohn sie beim Schreiben des Buchs unterstützt. Unter Klausas Papieren in Köln befinden sich Fotos von zwei Familienreisen nach B?dzin, auf denen er seiner Familie zeigen konnte, »wo er gewesen ist und wo die Kinder geboren wurden«. Er merkt an, wie »scheußlich« die Stadt unter realsozialis­tischer Herrschaft geworden sei und ist sich sicher, dass sie es unter seiner Verwaltung nicht war.

 

In Polen selbst erinnern sich viele mit einer Detailgenauigkeit an die deutsche Besatzung, die im Vergleich zu Klausas Schwammigkeit bemerkenswert ist. »Wir hatten sehr viel Glück mit den Menschen, die wir in der Gegend um B?dzin getroffen haben«, erinnert sich Fulbrook. »Meistens waren es einfache polnische Arbeiter und Bauern.« Als Fulbrook das Dorf Celiny besuchte, um die Stelle zu finden, an der 32 Menschen an die Wand gestellt wurden, konnte ihnen ein alter Mann weiterhelfen. »Er wusste, wo der Ort war, denn er hatte als Teenager gegenüber gelebt und die Erschießung beobachtet — eine schreckliche Erfahrung.« Die Menschen wurden per LKW angekarrt und dann an einer Wand erschossen. Der Junge folgte dem LKW, aus dem Blut tropfte, als er mit den Leichen wieder wegfuhr.

 

Wie aber entkam Klausa nach dem Krieg der Entnazifizierung?
Fulbrook erinnert sich daran, dass ihre Familie zur Zeit der Lebensmittelrationierungen nach dem Zweiten Weltkrieg  Pakete aus Süd-Wales an die Familie Klausa schickte. Ihre Familie wusste nicht, dass die Klausas zu dieser Zeit im Schloss eines Freundes in der französischen Besatzungszone wohnten, wo sie »von silbernen Tellern aßen«.

 

Udo Klausas Tätigkeit als Landrat im besetzten Polen hätte eigentlich automatisch zu einer Verhaftung führen müssen. Er entkam den drohenden zehn Jahren Haft durch »Verbindungen«. Für Fulbrook ist Klausas Fall typisch, weil er sich nie rechtfertigen musste. »Diese Menschen haben bei der ›Endlösung‹
mitgeholfen und sich des Mordes schuldig gemacht, weil sie Juden
ghettoisiert und ausgehungert haben. Sie sind damit durchgekommen.«
Udo Klausa musste sich nie zu seiner Zeit in B?dzin äußern und es dauerte bis 2011, ehe der LVR beschloss, die Nazi-Vergangenheit seines ehemaligen Vorsitzenden zu untersuchen. Klausa war da schon dreizehn Jahre tot, die Ergebnisse werden diesen Herbst veröffentlicht. »Es ist schockierend, wie die deutsche Nachkriegsjustiz versäumt hat, Menschen zu verfolgen, die am Nazi-System beteiligt waren«, sagt Fulbrook. »Und es war die deutsche Verwaltung, die sicherstellte, dass sich diese Menschen niemals vor Gericht verantworten mussten.«