Ehrenfeld gehört euch allen

Mit Kunst, Politik und Party erobert das CityLeaks Urban Art Festival den öffentlichen Raum zurück

»Unter Krahnenbäumen war eine Straße wie viele in Köln [...]. Sie bildete die Bühne, vor der sich die wahre Essenz einer Straße entfaltete — als ein Ort der Begegnung, wo Kinder spielen und Feste gefeiert werden.« So beschrieb der Fotokurator Reinhold Mißelbeck das Leben auf jener Straße, die der legendäre Chargesheimer in den 50er Jahren mit seiner Kamera porträtierte. Chargesheimer war so etwas wie ein fotografierender Straßenjunge, seine Bilder zeigen den Stadtraum als öffentlichen Ort, der allen gehört, oder wie man heute gern sagt: Die Straße gehört zu den »Commons«, ist ein öffentliches Gut — und unter dem Pflaster liegt bekanntlich der Strand.

Die Straße gehört allen

Kann ein Fotobuch wie die 1958 erschienene Straßenballade »Unter Krahnenbäumen« uns mit Bildern von gestern für morgen inspirieren? Diese Frage stellt das PhotoBookMuseum (in Kooperation mit Studio Quack & gisbert) im Rahmen des CityLeaks Festival für Urban Art mit seiner aufwändigen Installation »Chargesheimer Tunnel«: Die überdimensional groß auf ein begehbares Tunnel-Zelt in der Körnerstraße projizierten Fotografien haben einen immersiven Effekt: Die Besucher*innen flanieren durch jene Nachkriegs-Straßenschlucht. Bei dieser Zeitreise darf er ruhig darüber nachdenken, ob Ehrenfeld eigentlich noch den Bewohnern gehört oder den Autos, Politikern und Gentrifizierungsgewinnlern.

2019 kehrt CityLeaks — nach dem letztjährigen Stopp am Ebertplatz — mit seinem Schwerpunkt zurück nach Ehrenfeld. Das PhotoBookMuseum ist einer von zahlreichen Projektpartnern des Festivals, das Künstler*, Wissenschaftler*, Architekten* und Theoretiker*innen mit Anwohnenden und Stadtnutzenden zusammenbringt und sich mit seiner diesjährigen Ausgabe noch stärker in Fragen der Stadtentwicklung einmischt. Fast alle Projekte bespielen öffentliche Orte und laden zur Partizipation ein. Dass man die Debatten über unser künftiges Zusammenleben nicht der Politik und Investoren allein überlassen sollte, lässt sich in Ehrenfeld, einem Paradebeispiele für urbanen »Strukturwandel«, sehr konkret und dabei exemplarisch durchspielen.

Zurück nach Ehrenfeld

Den Sommer über enstand die Festivalzentrale in den seit Jahren einer sinnvollen Zukunft entgegen rottenden alten Bahnbögen an der Hüttenstraße: Im Rahmen einer Residency erforschte das italienische Kollektiv Studio Orizzontale das Potenzial der brachliegenden Bahnbögen und entwickelte die Festivalarchitektur, die aus recycelten Materialien gemeinsam mit freiwilligen Helfern gebaut wurde. Ihr Entwurf »Simul et Singulis — zusammen und man selbst sein« bietet während der Festivalzeit Ausstellungs-, Versammlungs- und Arbeitsräume, dazu eine Piazza und ein Büdchen.

So flexibel dynamisch wie die Architekturen von Studio Orizzontale versteht der Künstlerische Leiter von CityLeaks, Georg Barringhaus, auch das seit 2011 existierende Festival: Die (künstlerischen) Prozesse sind im Fluss, Kooperationen und Netzwerke entstehen, führen zu präsentationsreifen Ergebnissen, versanden oder werden in Zukunft weiterentwickelt. »Es geht darum zu Fragen, wie die Stadt stetig zusammengefügt, zerlegt wird und immer wieder neue Assemblagen entstehen«, ist im druckfrischen Festival-Magazin zu lesen. »Assemblage« ist denn auch das diesjährige Motto, ein Rückgriff auf ein — gar nicht neues — Verfahren in der Bildenden Kunst: Aus einem Fahrradlenker und Sattel montierte Picasso in den 40er Jahren einen Stierkopf, die plastische Collage »Tête de taureau«. Das Konzept der Assemblage wird heute auch in der Stadtforschung auf die Erkundung, Beschreibung und Analyse des Urbanen angewandt. Die Stadt als Vielheit, immer in Bewegung.

Durchaus folgerichtig hat auch das Festivalprogramm viel von einer Assemblage. Neben Cityleaks-Veranstaltungen wie dem »Interactingday« (Zitat: ein interaktives Spektakel zwischen Tanz, Performance und mobiler Architektur), Stadtführungen oder der CityLeaks-Akademie bringen die Partner sich ein. Die Alanus Hochschule zeigt eine Ausstellung (»Coherent Existence — 6 Typologies for Communal Urbanism«), die AF Galerie präsentiert in der Halle HELIOS37 das französische Künstlerduo Taroe & Tictone sowie die Group Show »Throw Ups«; die Tanzinstallation »Puffing Bodies« ist eine Koop zwischen IPtanz aus Köln und dem Maya Dance Theatre Singapur. (Mehr dazu im Theater-Teil dieser Ausgabe, Anm. d. Red.)

Zum Ende des Festivals wird die Videoinstallation »Die Mutter der L« der Künstlerin belit sağ in der Lichtstraße eingeweiht, eine Kooperation mit der Kölner Akademie der Künste der Welt. belit sağ erarbeitete mit jungen Frauen der Bosnisch-Islamischen Kulturgemeinschaft Gazi Husrevbeg, die dort ihre Moschee hat, ein Reenactment nach Familienfotos der Migrantinnen.

Ehrenfeld ist, wir ahnen es, eine Assemblage. Und für alle, die lieber Augenfutter als Diskurs haben: Natürlich wird es wieder neue Murals geben. Check out »re:freshing the wall« von Taroe & Tictone (Widdersdorfer Straße 248-252) oder »re:assemble« von ZOER (Subbelrather 184).

CityLeaks Festival 2019

Ehrenfeld, 31.8. bis 21.9., Festivalcenter: Bahnbögen Hüttenstraße

Terminauswahl: Grand Opening und Einweihung des Festivalcenters mit Grußwort von Schirmherrin Henriette Reker und Programm (u. a. Street Art Tour, Impuls­vortrag, Ausstellungseröffnung, dublab Hangout) am 31.8. ab 12 Uhr

Installation »Chargesheimer Tunnel« 14.9., 20 Uhr, Körnerstr. 6–26

»Interacting Day« 14.9., 17–20 Uhr

»Die Mutter der L.«: Videoinstallation von belit sağ, 20./21.9., 20–22 Uhr, Vogelsanger Str. 210

»re:claim Ehrenfeld«: Große Parade für Vielfalt, gegen Verdrängung!, 21.9., 15-18 Uhr, Start: Festival Center, Ende: Lichtstraße, dort ab 16 Uhr Straßenfest

Weitere Termine: cityleaks-festival.de