Steht wieder leer: Haus an der Vogelsanger Straße

Das Zwitschern der Elster

Aktivisten wollten in Ehrenfeld ein soziales Zentrum gründen. Doch dann kam die Polizei

Am ersten Abend war noch alles in Ordnung: Rund 150 Leute versammeln sich Mitte Juli in Ehrenfeld, um auf einen Gentrifizierungs-kritischen Spaziergang zu gehen. Ihr Ziel: ein Haus in der Vogelsanger Straße. Um 21 Uhr heißt es auf Twitter: Die »Elster«, so taufen die Aktivist*innen das Haus, ist besetzt. Sie bringen Lebensmittel und Klopapier ins Haus, der benachbarte Kiosk spendet Wasser­eis, im Erdgeschoss spielt eine Crustcore-Band. Um 22.30 Uhr kommt die Polizei: Die Nachbarn hätten sich über zu laute Musik beschwert. Man einigt sich, noch zwei Songs, dann ist Schluss. Gegen halb eins taucht der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn auf. Ihr gehört das Haus. Nach einem kurzen Gespräch ziehen sie wieder ab. Das erste Wochenende in der Elster — Konzerte, Workshops, Filmvorführungen — findet statt wie geplant.

Dreizehn Tage später kommen Polizei und Sicherheitsdienst wieder in die Vogelsanger Straße, diesmal mit Helmen und Mannschaftswagen. Nach und nach tragen sie etwa zwanzig Aktivist*innen aus dem besetzten Haus. Dann mauern Handwerker die Fenster zu, seitdem bewacht eine Sicherheitsfirma das Haus. Fünfzehn Aktivist*innen sind wegen Hausfriedensbruchs angezeigt.

»Die Menschen treffen sich weiter, die Gruppe ist nicht tot«, sagt Anna Meise, eine der Aktivist*innen aus der Elster, die unter Pseudonym auftritt. Sie sitzt im Hof der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) und erzählt von den verschiedenen Gruppen, die sich an der Besetzung beteiligt haben: »Das hat es seit Jahren nicht gegeben.«

Das Haus an der Vogelsanger Straße wurde von der Bahn genutzt. Der besetzte Teil stand seit 2017 leer, eine angrenzende Halle ist vermietet. Es liegt direkt an der Ehrenfelder Bahnstrecke, über die nachts viele Güterzüge fahren. Gegenüber liegt das Gelände des ehemaligen Ehrenfelder Güterbahnhofs. Dort entsteht gerade ein neues, teures Wohnviertel.

Die Bahn hat gesagt, sie würde mit uns verhandeln, wenn das Haus nicht mehr besetzt ist. Das ist ja jetzt der Fall.

Die Aktivist*innen hatten große Pläne für das Haus an der Vogelsanger Straße. Sie wollten dort ein Zentrum für FLINT — Frauen, Lesben, Inter-, nicht-binäre und Trans*personen — errichten, mit Proberäumen und Platz für Initiativen. Das nicht-kommerzielle Angebot sollte Kampfsport und Yoga umfassen, auch eine Essens­­ausgabe gegen Spende. Und das Haus sollte ein Schutzraum sein — auch für Menschen, denen keine anderen Räume mehr offen stehen.

Menschen wie Erika Henning. Die 79-jährige ist obdachlos und sucht verzweifelt ein Zuhause, wie viele andere auch. Sechstausend Obdachlose weist die Stadt Köln offiziell aus, die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Um wieder Obdach zu finden, ist Henning gewillt, radikale Schritte zu tun. Im März hatte sie gemeinsam mit dem SSM eine leerstehende Wohnung in Dellbrück besetzt, Anfang Mai ehemalige belgische Armeeunterkünfte in Ossendorf. Auch in der Elster hat sie gewohnt, in einem Zimmer im Dachgeschoss. Bei der Räumung musste sie persönliche Dinge zurücklassen. »Mittlerweile heißt es, dass diese Dinge verloren gegangen sind«, sagt Anna Meise.

Die Chancen, dass Henning in das Haus in der Vogelsanger Straße zurückkehren kann, sind gering. Es gebe dort »von Seiten der Stadtverwaltung keine Nutzungsgenehmigung für Wohnraum«, erklärte eine Bahnsprecherin gegenüber der Stadtrevue. Man befinde sich in konstruktiven Gesprächen mit der Stadt über die zukünftige Nutzung des Gebäudes. Solche Gespräche wünschen sich auch die Aktivist*innen: »Die Bahn hat gesagt, sie würde mit uns verhandeln, wenn das Haus nicht mehr besetzt ist«, sagt Anna Meise. »Das ist ja jetzt der Fall«.

Die Bevölkerung wähnt Meise auf ihrer Seite: »Auch die bürgerliche Mitte hat sich durch die Besetzung empowered gefühlt.« Sie erklärt sich das mit der Knappheit von Wohn- und selbstverwalteten Räumen in Köln. In einem nächsten Schritt wollen die Aktivist*innen nun mit verschiedenen feministischen Gruppen reden, um zu erfahren, welchen Bedarf es dort für neue Räume gibt. Die Beratungsstelle Agisra, die sich besonders für Frauen mit Migrationshintergrund einsetzt, hat bereits Unterstützung signalisiert. »Wir hätten gehofft, dass die Bahn das Haus zur Verfügung stellt«, sagt Behshid Najafi von Agisra. Die Initiative ist gerade auf der Suche nach Ersatz für ihre Beratungsräume am Neumarkt. Das Haus in der Vogelsanger Straße sei prinzipiell ein guter Standort, auch wenn dort einige Umbauten nötig wären. Die Aktivist*innen der Elster sind dazu bereit. »Wir haben ein Finanzierungskonzept und wollen das Haus in Schuss bringen«, sagt Anna Meise. »Schließlich haben wir es nicht einfach so besetzt.«