Erst Geldstrafe, dann Friedenspreis: Ariane Dettloff am Gedenkstein im Hiroshima-Nagasaki-Park

Die Bomben von Büchel

In der Eifel lagern Atomwaffen. Nun nimmt der ­Protest dagegen zu

Am Aachener Weiher kurven gut gebräunte, junge Menschen auf E-Scootern herum, Grillduft steigt auf. Aus jeder Richtung schallt an diesem Augustabend die Partymusik. Die Bässe wummern bis zum Hügel hinauf, wo sich etwa fünfzig Menschen im Halbkreis versammelt haben, um der Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki gedenken. Es wirkt, als hätten sie sich verirrt. Einige Friedensbewegte haben Fahnen mitgebracht, Friedenstauben und Regenbogen sind zu sehen. Die meisten von ihnen könnten die Groß- oder Urgroßeltern der Feierfreudigen sein, die am Aachener Weiher sonst den Ton angeben.

Nachdem ein Mann »Imagine« von John Lennon gesungen hat, tritt Ariane Dettloff ans Mikrofon. Dettloff ist Mitglied bei der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Atomwaffen. Sie ruft: »Zu wenig ist bekannt, dass nur knapp hundert Kilometer von Köln entfernt der Atomtod lauert!« Damit meint Dettloff den Luftwaffen-Fliegerhorst Büchel in der Eifel, wo etwa zwanzig US-amerikanische Atomwaffen lagern. Offiziell bestätigt hat die Bundesregierung dies nie, doch sie bekennt sich zum Konzept der »nuklearen Teilhabe«, das Nato-Mitgliedsländer ohne eigene Atomwaffen in die Nuklearpolitik des Bündnisses einbindet. »Die Bomben gehören den USA, sollen im Ernstfall aber von deutschen Piloten abgeworfen werden«, sagt Dettloff. Diesen Abwurf trainieren deutsche Piloten in Büchel auch regelmäßig, wie unter anderem die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) mitteilt.

Die Bomben gehören den USA, sollen im Ernstfall aber von deutschen Piloten abgeworfen werden Ariane Dettlof

Im Jahr 2010 beschloss der deutsche Bundestag nahezu einstimmig den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland, doch nichts geschah. Lange Jahre wurde kaum über die Bomben von Büchel berichtet; auch Protest gab es nur wenig. Doch dies könnte sich nun ändern, denn die Furcht vor einem neuen atomaren Wettrüsten wächst. Die USA und Russland haben den INF-Vertrag über die Vernichtung und das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen gekündigt; am 2. August lief er aus. China, Pakistan, Indien und wohl auch der Iran rüsten nuklear auf. Sicherheitsexperten wie Oliver Thränert von der ETH Zürich warnen zudem davor, dass Rüstungskontrollen kaum noch stattfänden. Die gemeinsame Verantwortung für die Verhinderung eines atomaren Untergangs sei nahezu komplett verloren gegangen.

Die Kölnerin Ariane Dettloff wurde im vergangenen Dezember vom Amtsgericht Cochem zu dreißig Tagessätzen verurteilt, weil sie im Juli mit sechs anderen Aktivisten in das Bundeswehrgelände in Büchel eingedrungen und die Startbahn blockiert hatte. Die 74-jährige Journalistin legte Berufung ein und wartet nun auf einen neuen Gerichtstermin. Im April gelang es ihr und anderen Aktivisten erneut, die Zäune des Militärgeländes zu überwinden. »Ich lege es ein bisschen darauf an, ins Gefängnis zu kommen«, sagt Dettloff. Sie will endlich mehr Aufmerksamkeit für ihr Anliegen. Und sie prangert an, dass »die Bundesregierung parlamentarische Beschlüsse nicht umsetzt und das Völkerrecht bricht.«

Ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag hatte Atomwaffen 1996 generell für völkerrechtswidrig erklärt. Vor wenigen Wochen verklagte zudem die Stiftung Erneuerbare Freiheit das Verteidigungsministerium. Die Stiftung, die sich sonst vor allem für Freiheitsrechte im digitalen Raum einsetzt, pocht auf Herausgabe von Informationen über mögliche Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung durch die radioaktiv strahlenden Waffen. Diese wiederum sollen bald modernisiert werden. Laut der Initiative ICAN wollen die USA alle in Europa stationierten Atomwaffen zu »smarten«, zielgenaueren Lenkwaffen umbauen. Nicht nur ICAN befürchtet, dass so die Hemmschwelle für einen Einsatz sinken könnte.

Am 1. September wird der Initiativkreis gegen Atomwaffen in Büchel mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet, auch Ariane Dettloff wird zur Verleihung anreisen. Sie hofft, dass die Proteste nun endlich Fahrt aufnehmen und sich auch jüngere Menschen der atomaren Bedrohung bewusst werden. Sie hat bereits Kontakt mit Kölner Fridays-for-Future-Aktivisten aufgenommen. Mit ihnen müsse man zusammenhalten, so Dettloff. Denn: »Die kämpfen gegen eine ähnlich apokalyptische Bedrohung.«