Feigen for Future

Der Ernährungsrat will mehr Menschen in Köln mit Lebensmitteln aus der Region versorgen. Kann das funktionieren?

»Der Schotte ist etwas anfälliger. Der hatte schon mal Läuse.« Mildred Utku steht an einem verregneten Dienstagabend auf dem Rathenauplatz und umfasst mit einer Hand den zierlichen Stamm eines Apfelbaums. »Aber er ist super angegangen.« Der Jungbaum, Sorte »James Grieve« aus Edinburgh, ist einer der beiden Stars der »Essbaren Stadt«. Der andere ist ein Rheinischer Bohnapfel, der einige Meter weiter steht. Erst im April hat das Grünflächenamt die Bäume gepflanzt. »Wir stehen hier auf dem ersten essbaren Platz Kölns«, sagt Utku stolz. Alte Männer spielen einige Meter weiter Boule, junge Männer hören HipHop aus einem überlasteten Lautsprecher. Sie scheinen von den essbaren Stars eher unbeeindruckt.

Mildred Utku ist Mitglied des Ernährungsrats für Köln und Umgebung. Sie kümmert sich vor allem um die Initiative »Essbare Stadt«: Öffentliche Flächen sollen stärker mit Nutzpflanzen begrünt werden. »Wenn es für die Menschen nicht essbar ist, dann für die Tiere«, sagt Utku. Auf einem Spaziergang zeigt sie auf den Feigenbaum und die Gojipflanzen am Brüsseler Platz; am Yitzhak-Rabin-Platz wächst Kapuzinerkresse. Noch muss man wissen, wo man das essbare Köln finden kann. Bald soll es augenfälliger werden. »In der essbaren Stadt soll man sich im Vorbeigehen hier und dort etwas nehmen können«, sagt Utku.

Die Ernährungsstrategie ist nicht auf schnelle Erfolge, sondern langfristig ausgelegt. Harald Rau, Umweltdezernent

Dem Ernährungsrat aber geht es um mehr als um ein essbares Köln: Er will »jedem einzelnen Kölner eine regionale und nachhaltige Ernährung ermöglichen«. Im Frühjahr 2016 formierte sich die Organisation aus 30 Mitgliedern: zehn aus Politik und Verwaltung, unter ihnen auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker, zehn aus der Zivilgesellschaft und zehn aus der Wirtschaft — etwa der Landwirtschaft, dem Lebensmittelhandwerk oder der Gastronomie. Die Idee solcher Ernährungsräte stammt aus Nordamerika, wo es in vielen Ballungsräumen »food policy councils« gibt — manche beraten Politik und Verwaltung, manche sind Teil von ihnen. In Köln beschloss der Rat der Stadt im Juli 2017, den Ernährungsrat über drei Jahre bis 2020 mit 50.000 Euro zu unterstützen. Das Ziel lautete: der Aufbau einer kommunalen Ernährungsstrategie. Die liegt nun vor. Ende Mai übergab der Ernährungsrat der Stadt einen Handlungsleitfaden, den der zuständige Umweltdezernent Harald Rau schon das »Grundgesetz für eine kommunale Ernährungspolitik« nennt. Mehr als 200 Menschen hatten eineinhalb Jahre an dem Konzept gearbeitet. Es soll Köln in den kommenden Jahren zur Ernährungswende verhelfen.

»Wir senden ein deutliches Signal, dass die Ernährungsfrage nicht nur europäisches und nationales, sondern auch kommunales Thema ist«, erklärt Rau. »Eine gesunde und klimabewusste Ernährung spielt in meiner Vorstellung von Köln als Stadt des guten Lebens eine zentrale Rolle.« Das Thema Ernährung vereine soziale, gesundheitliche, ökologische, wirtschaftliche Aspekte. Schon 2015 ist Köln dem »Milan Urban Food Policy Pact« beigetreten, einer Vereinigung von 199 Städten weltweit mit insgesamt mehr als 450 Millionen Einwohnern, die die Lebensmittelversorgung in wachsenden urbanen Zentren nachhaltig ausrichten wollen. Gesunde Lebensmittel, kurze Transportwege, Ernährungsgerechtigkeit — ansonsten drohe gerade Großstädten der Kollaps. Köln will in diesem Prozess vorangehen: Als bundesweit einzige Kommune, erklärt Umweltdezernent Harald Rau, verfüge man nun über eine umfassende Ernährungsstrategie.

Umfassend ist das Papier in der Tat: In 18 Kapiteln finden sich alle ernährungspolitischen Herausforderungen entlang der Produktionskette »vom Feld bis zum Teller«. Da stehen gelungene Generationswechsel in landwirtschaftlichen Betrieben neben besserer Außer-Haus-Versorgung mit veganem und vegetarischem Essen, gesündere, regionale Mahlzeiten in Kitas und Schulen neben ökologischem Umgang mit Verpackungen und Lebensmittelüberschüssen. Die Ernährungsstrategie beschreibt das Schlaraffenland einer nachhaltigen und regionalen, ökologischen und sozial gerechten Versorgung mit Lebensmitteln.

Der ganzheitliche Anspruch des Konzepts aber könnte zum Problem werden: Die Ernährungsstrategie will den Interessen unterschiedlicher Akteure gerecht werden, ohne Prioritäten zu setzen. Macht das die Ernährungsstrategie nur zum nächsten Konzept, das in den Schubladen der Verwaltung verschwindet, ohne umgesetzt zu werden? Umweltdezernent Rau widerspricht: »Die Ernährungsstrategie ist nicht auf schnelle Erfolge, sondern langfristig ausgelegt.« Umfang und inhaltliche Vielfalt des Strategiepapiers würden der Komplexität des Themas gerecht, so Rau. Er will die Verantwortung, dass Köln eine Ernährungswende gelingt, nicht auf einzelne Akteure oder Themen abwälzen: »Für die Umsetzung dieses Ziels sind Verwaltung und Politik, Konsumentinnen und Konsumenten, Zivilgesellschaft und Wirtschaft gemeinsam verantwortlich.«

Zunächst liegt der Ball nun bei der Politik. Die Verwaltung will die Ernährungsstrategie als »Leitlinie für zukünftige politische Entscheidungen« in die Politik einbringen. Schon im September könnte der Rat darüber entscheiden, welche Bedeutung man dem Konzept beimisst, das man vor zwei Jahren bestellt hatte. Denkbar ist ein ähnliches Vorgehen wie beim jüngst beschlossenen Klimanotstand: Wann immer Entscheidungen und Beschlüsse das Thema Ernährung betreffen, wird die Verwaltung deren Vereinbarkeit mit dem »kommunalen Ernährungsgrundgesetz« prüfen. Außerdem könnte die Verwaltung Maßnahmen und Pilotprojekte erarbeiten, um die Ernährungsstrategie umzusetzen. Dabei geht es auch ums Geld. Derzeit wird diskutiert, welche finanziellen Mittel für die Umsetzung der Ernährungsstrategie künftig im städtischen Haushalt bereitgestellt werden. Aber, betont Umweltdezernent Harald Rau: »Nicht jede Maßnahme zur Einleitung der Ernährungswende kostet Geld.« Im Juni etwa beschloss der Umweltausschuss, dass Betriebe, die naturnahe, ökologische Landwirtschaft betreiben, künftig bei der Pacht von städtischen Nutzflächen bevorzugt werden.

Auch auf dem essbaren Rathenauplatz geht es nicht in erster Linie ums Geld. Die Stachel- und Johannisbeersträucher habe man von einem Spender erhalten und selbst eingepflanzt, erzählt Mildred Utku von der Essbaren Stadt. Unterstützung braucht ihre Initiative meist beim Drumherum: Wo bekommt man Zugang zu Grundwasser, um die Pflanzen zu bewässern? Welche Qualität haben die Böden? Während das Grünflächenamt anfangs vor allem die Risiken für die Gesundheit oder Verkehrssicherheit sah, befindet sich die Essbare Stadt mittlerweile in einem besseren Dialog mit der Stadt. »Da verändert sich gerade was. Auch wenn uns die Stadt nicht erlaubt hat, hier eine Mini-Kiwi zu pflanzen«, sagt Mildred Utku und lacht. Mittlerweile ist sie glücklich mit den beiden Apfelbäumen. »Wenn alles gut läuft, gibt es in zwei Jahren die ersten Äpfel.« Die Ernährung einer Millionenstadt zu verändern, braucht eben Zeit.

Essbare Stadt: Spaziergänge durch große und kleine Gärten

Fr 30.8., 15–16.30 Uhr, Blumen auf dem Ebertplatz und im Kunibertsviertel, Treffpunkt Ebertplatz
Di 10.9., 18.–19.30 Uhr, Große und kleine Gärten in der Innenstadt, Treffpunkt St. Michael, Brüsseler Platz
So 22.9., 16–17.30 Uhr, Bäume auf dem Ebertplatz, Treffpunkt Ebertplatz
So 29.9., 15–16.30 Uhr, Ehrenfeld hinterm Gürtel, Treffpunkt Bürgerzentrum Ehrenfeld