Der Wert der Dinge: Zahia Dehar und Mina Farid

Ein leichtes Mädchen

Rebecca Zlotowski ist und bleibt eine der interessantesten Regisseurinnen ihrer Generation

Sie wissen nicht, was sie tun, aber sie wissen, was sie wert sind. Wer sie sind, davon werden sie selbst ein bisschen mehr erfahren in diesem Film. Es geht um Werte, sagt Philippe, die von Benoît Magimel gespielte Männerfigur. Naïma wisse, was sie wert ist — sagt ihr der um vieles ältere Phillippe, und das schätze er an ihr. Es ist der letzte Sommer der Jugend, von dem »Ein leichtes Mädchen« in sehr großer Leichtigkeit und mit Humor erzählt. Es geht um den Abschied von dieser Kindheit, von der Unschuld, aber auch um das Hier und Jetzt, um den Sommer an sich, darum, was das ist: Leichtigkeit; und ob das so einfach ist, sie sich zu bewahren in dem Leben das wir führen.

Die 16-jährige Naïma (Mina Farid) ist noch unschuldig, erst recht im Vergleich zu Sofia, ihrer entfernten Cousine. Beide verbringen zusammen in Cannes die Sommerferien. Sofia ist energiegeladen und hemmungslos, mit 19 schon ein paar Mal schönheitsoperiert und scheinbar ganz aufs Äußerliche fixiert und vollkommen materialistisch. Sofia (Zahia Dehar) bringt Naïma auf Ideen, auf einige sehr gute und auf viel Quatsch. Sie bringt ihr bei, wie man sich Katzenaugen à la Sophia Loren anschminken kann, und wie man bei einem gesetzten Essen über die Romane von Marguerite Duras redet, ohne einen einzigen gelesen zu haben. Sie bringt ihr bei, selbstbewusst zu sein, und sich zu nehmen, was vor einem liegt. Wie es die Männer tun, auch in diesem Film.

Der Film zeigt die Welt der Männer und die Welt der Reichen, und er zeigt, wie wie man Dinge richtig macht: Essen, Reden, Flirten, Bootsfahren, Kunst kaufen, Geld ausgeben. Das Boot heißt nicht zufällig »Winning Streak«. Die Winner-Typen, das sind die Männer. Sie haben Geld und sind alt, die Frauen sind jung und haben Schönheit. Win win. Dies ist ein feministischer Film, also einer, der das nicht alles schlimm findet, sondern besser den Hedonismus der Frauen verteidigt, die Tatsache, dass sie sich nehmen was sie wollen. Aber es ist auch ein Film, der genau hinsieht: Der das Verhältnis der Geschlechter, ihre Rollen und Klischees zeigt, Klischees die Geborgenheit und Chancen bieten, aber zum Gefängnis werden können. Über all das vergisst »Ein leichtes Mädchen« nie, dass das Geld und die Macht, die es gibt, sozial die noch wichtigere Kategorie ist. Als junge Frauen können sich Naïma und Sofia viel Freiheit nehmen. Aber Geld, und die Freiheit, die es gibt, haben sie einfach nicht, und die gibt es nicht so leicht. Die beiden kommen aus franco-arabischen Familien. Den Eltern geht es nicht schlecht, aber sie arbeiten als Bedienstete für die reichen Touristen. Eine Nebenfigur sticht besonders heraus: die von Clotilde Courau gespielte Freundin und Kundin der beiden Männer. Sie ist reich und klug, und im Konfliktfall schlägt sie sich auf die Seite der reichen Männer. An der Szene mit ihr macht die Regisseurin alles deutlich: die Macht des Geldes und der Bruch zwischen den Frauen-Generationen, alt und jung, bildungsbürgerlich und naiv. Unter dem Schein des Egalitären tut sich die Klassen­gesellschaft auf.

Die Französin Rebecca Zlotowski ist die interessanteste Regisseurin ihrer Generation. Eine ganz eigene Kino-Stimme, die immer persönliche Filme macht. Ihre Filme sind ungefügt, sie sind nicht akademisch, wie manche Werke des französischen Autorenkinos. Ihre Frauenfiguren — in ihrem Debüt »Belle épine« (2010), in »Grand Central« (2013) und in »Das Geheimnis der zwei Schwestern« (2016), die in Deutschland vor allem auf Festivals liefen und die alle Aufmerksamkeit verdienen — sind immer spröde und oft traurige Charaktere, wild und ungefügt, es sind Mädchen, die ihren Platz noch nicht gefunden haben, die suchen; Outsiderinnen, Lonerinnen, Einzelgängerinnen.

Ein leichtes Mädchen (Une fille facile) F 2019,
R: Rebecca Zlotowski, D: Mina Farid, Zahia Dehar, Clotilde Courau, 92 Min, Start: 12.9.