Im babylonischen Sündenpfuhl: Angeliki Papoulia

Das Wunder im Meer von Sargasso

Syllas Tzoumerkas dreht einen sardonischen Thriller über Aale und aalglattes Aas

Elisabeth hat es nicht mit Nettigkeit in Athens obere Polizei-Etagen gebracht: Elisabeth ist die Härte und Kompetenz in Person. Was aber nicht jedem gefällt — die Schwanzköpfe sind unter uns... Und so nimmt man einen nicht ganz geglückten Einsatz einer Antiterroreinheit unter Elisabeths Befehl zum Anlass, sie in die Provinz abzuschieben, nach Mesolongi, ein Top-Arschkaff im tiefsten Westen des Landes, das vor allem für seine Aalzüchtungs- und -verarbeitungs­industrie bekannt ist. Elisabeth macht das Beste draus und entwickelt sich im Verlauf der folgenden zehn Jahre zu einer tollwütigen Furie von Polizeichefin, die gerne mal besoffen im Schlampenoutfit durch die Straßen torkelt, sich mit Ohrfeigen Klarheit über Sachverhalte verschafft und dabei keinen Hehl daraus macht, was sie von der neureichen Lokalbourgeoisie hält, nämlich nichts. Ein Freitod und die daraus hervorgehenden Ermittlungen in einen Sumpf von Korruption und Missbrauch eröffnen unerwartete Chancen auf eine Rückkehr in die Kapitale...

Doch was hat es mit all den Jesus-Visionen auf sich? Was will Gott oder das Unterbewusstsein Elisabeth sagen? Sind es Warnungen, oder Schlüssel zu des Rätsels Lösung?

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass genau in dem Augenblick, da Yorgos Lanthimos mit »Pop. 1280« in Hollywood an einer Jim-Thompson-Adaption arbeitet, sein Kollege Syllas Tzoumerkas daheim mit »Das Wunder im Meer von Sargasso« zeigt, wie man sich dem Noir-Großmeister auf griechische Art nähern kann. Nicht, dass Tzoumerkas auf eine entsprechende Inspiration verwiesen hätte! Nur dürfte dieser Vergleich jedem halbwegs Krimi­beschlagenen in den Sinn kommen angesichts der so brutal sozio­pathischen wie hyper­intelligenten Elisabeth (gewohnt brillant gespielt von Angeliki Papoulia als rachsüchtig-geile Neurosenmolli), dann dem Porträt einer Kleinstadt als Sündenpfuhl von babylonischen Dimensionen, der Zeichnung seiner Gschaftel­huber­partie als dauer­gutgelaunt-schmierige Bagage von abgrund­tief lieder­lichen Kreaturen, schließlich dem kotzbrockig-sardonischen, weil unaus­weichlichen Ende. Und schaut man sich die griechische Filmgeschichte mit ihrer Lust am Surreal-Barocken an, dann sind die — auf verschrobene Weise auch pasoliniesken — Ausflüge ins Phantastisch-Biblische allein Ausdruck beziehungsweise Resultat eines logisch-lokalen Weiterdenkens von Thompsons US-amerikanischen Apokalypsen. Das kann man nicht besser machen. Und besser als »Das Wunder im Meer von Sargasso« wird’s dieses Jahr auch kaum mehr.

Das Wunder im Meer von Sargasso (To thávma tis thálassas ton Sargassón),
D/GR/NL/S 2019, R: Syllas Tzoumerkas,
D: Angeliki Papoulia, Boudali Youla, Hristos Passalis, 121 Min. Start: 12.9.