In der Studiobühne feiert das Analogtheater mit »Rausch« seinen 15. Geburtstag

Die Welt neu erzählen

Innere und äußere Ausnahmezustände sind Thema in der kommenden Spielzeit 2019/20 der Freien Theaterszene in Köln

Das Theater im Bauturm setzt auf große Namen und namhafte Akteure. Der Premierenreigen beginnt mit Mary Shelleys Frankenstein (27.9.) in der Bearbeitung von Kieran Joel. Der Regisseur hatte zuvor mit »Don Quichote« und »Moby Dick« schon bewiesen, dass er große Literatur-Klassiker gewitzt und gekonnt auf die kleine Bühne des Bauturm-Theaters herunterbrechen kann. Mit der deutschen Revolutionsikone Rosa Luxemburg legt Regisseur Tom Müller und sein Ensemble nach. Tom Müller hatte mit »Amazonas« von Döblin im Bauturm reüssiert und im Keller mit Fassbinders Frühwerk »Tropfen auf heiße Steine« überzeugt. Nach dem Erfolg mit Falladas »Kleiner Mann - was nun?« wagt sich Susanne Schmelcher an Hemingways politischen Psychothriller »Wem die Stunde schlägt«. Die Frage, wie man sich der bedrohenden Gefahr des Faschismus entgegenstellt, bekommt heute wieder eine erschreckende Dringlichkeit. Keine Spielzeit ohne ein Köln-Stück. Das Theater-Triumvirat Laurenz Leky, Bernd Schlenkrich und René Michaesen verbinden in »Biotopia. Ein Kölner Bestarium« (sic!, Anm. d. Red.) den Klimawandel und Köln, bei der Frage, wie Mensch und Tier gemeinsam Auswege aus der Klima-Katastrophe finden können.

In der Studiobühne feiert mit der Spielzeiteröffnung (11.9., anschließend Festakt) gleich auch das Analogtheater seinen 15. Geburtstag. Mit »Rausch« setzt das Ensemble, unter der Regie von Daniel Schüßler, die spannende Projektreihe »Die Psychonauten« fort. Hier wird das Theaterpublikum auf eine surreale Reise zu den inneren und äußeren Grenzen des menschlichen Seins mitgenommen. Der Frage, nach dem richtigen Leben im falschen Zusammenhang, geht die Theatergruppe Sir Gabriel Trafique in »Identität« ebenso nach, wie das kollektiv plakativ in »All I NEED«, die den Zuschauer auf einen dionysischen Trip durch die menschlichen Bedürfnisse und ihre Befriedigungen führen. Eine neue Serie über die unterschiedlichen Lebensphasen des Menschen startet subbotnik. »An einem Tag I-IV« beginnt mit »… denn jeder sucht ein All zu sein« und erkundet neue Umgangsformen mit dem Tod. In »Köln 68 — eine theatrale Installation« schaut Regisseur Tim Mrosek (»Sturm«) gemeinsam mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln auf die wenig bewegten Zeiten des Aufruhrs in der rheinischen Provinz, als die Studenten in Paris und Berlin auf die Barrikaden gingen. Verbunden ist der Blick in die Vergangenheit mit der Frage, wie studentischer Protest in den heutigen, politisch bewegten Zeiten aussehen könnte.

Das Theaterleben ist zuweilen eine Baustelle. Nachdem das Keller-Theater in der vergangen Spielzeit den erzwungenen Auszug aus der alten Spielstätte zum Meta-Thema der Inszenierungen machte, wird unter dem Motto »Zukunft« in der neuen Spielzeit an neuer (Übergangs)-Stätte in der TanzFaktur nach vorne geschaut. Eröffnet wird die neue Spielzeit mit Irmgard Keuns erfolgreichem Romandebüt »Gilgi, eine von uns« aus dem Jahr 1931 (26.9.). Eine mit frechem und humorvollem Erzählton geschilderte Gesellschaftskritik, die die Kölner Autorin in ihrer Heimatstadt ansiedelte. Auch an neuer Spielstätte behält das Theater der Keller einen selbstreferentiellen Blick auf die eigene provisorische Situation des Theaters bei. So wird in »Der Zauberer von Oz« das Auf und Ab des Theaters in das Bühnengeschehen eingearbeitet.

Eine Baustelle im wortwörtlichen Sinn ist zurzeit auch noch das FWT in der Südstadt, weshalb das Theater am Zugweg die Sommerpause verlängert und erst im November in die neue Spielzeit startet. Dann gibt es u.a. die musiktheatralische Choreographie »Verschwindende Orte oder Was uns retten kann« der Regisseurin Eva-Maria Baumeister zu sehen. Das Theaterprojekt fragt, anlässlich der Abrisse von 21 Orten im Zuge des rheinischen Braunkohletagebaus, nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und dem Umgang mit der vermeintlichen Machtlosigkeit der Betroffenen. Wie hält man sich warm in der Kälte eines Turbo-Kapitalismus’, der in der rumänischen Metropole Bukarest über freundliche, aber unsichere Menschen wie die Protagonistin Christina unbarmherzig hinwegfegt? Die deutsche Erstaufführung der Theaterfassung des gefeierten Romans »Null Komma Irgendwas« von Lavinia Braniste wird darauf lakonische Antworten geben. Die Britin Alice Birth gehört zu den meistgespielten Theaterautorinnen ihres Landes. Im FWT wird »Revolt. She Said. Revolt Again« aufgeführt. Ein furioses, feministisches Manifest über systemimmanente, sexualisierte Gewalt.

Die erste Theaterpremiere nach der Sommerpause in der Orangerie bringt in »Raub - nach F. Schiller« (12–15.9.) ein Wiedersehen mit den Brüdern Jean Paul und Jonas Baeck. Als Teil des Ensembles Spiegelberg wird in der multimedialen Performance Motive aus Schillers »Die Räuber« mit biographischen Elementen aus dem Leben der Baeck-Brüder verwoben, die hier eigene Erfahrungen einer Brüder-Beziehung und dem Verhältnis zum Vater verarbeiten. Als Kommentar auf die aktuelle politische Lage versteht sich die Inszenierung von Ray Bradburys dystopischem Sci-Fi-Roman »Die Mars-Chroniken«, den Regisseurin Ulrike Janssen vom TheaterBlackBox Köln als Geschichte der interkulturellen Clashs auf heutige Strategien der Abgrenzung und Konfrontation der Kulturen abklopft. Das Stück wird als gemeinsame Koproduktion von Orangerie und Theater der Keller zur Aufführung gebracht. Träume wahr werden, lässt Futur3 in ihrem neuen Stück »I have a Dream«, in dem die Grenzen individueller Traumerfahrungen gesprengt werden sollen, um das kollektive Potential nächtlicher Ausflüge in das Reich der Träume für reale Lebens- und Gesellschaftsentwürfe nutzbar zu machen.

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