Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg, März 1994

Versprechen und Wirklichkeit

Frank Gaudlitz erhält den Fotopreis der Michael Horbach Stiftung

Gorbatschow, Perestroika und das Ende der Sowjetunion, ein historischer Moment der offenen Möglichkeiten — dreißig Jahre ist das her und in Zeiten des Zaren Putin scheinbar endlos weit weg. Wie hat sich das Land, der Alltag der Menschen verändert? »Russian Times 1988–2018« betitelt der Fotograf Frank Gaudlitz sein jetzt abgeschlossenes Langzeit-Projekt, das uns die vergangenen drei Jahrzehnte eindrucksvoll bebildert.

Beginnend 1988 mit der Peres­troika-Zeit, entstand seit den 90er Jahren ein bis in die Gegenwart reichendes Bildkonvolut über gesellschaftliche Depression als Auswirkung blutiger Verteilungskriege. Während die Reformen neue Freiheiten und Rechte versprachen, ist für viele Russen Unterdrückung und Armut das Ergebnis. Neben den Metropolen Moskau und St. Petersburg fand Frank Gaudlitz seine Bilder in Provinzstädten, in den GULAGs und Nickelbergwerken auf der Halbinsel Taimyr, im Altai-Gebirge oder den Steinkohlerevieren Kemerowos.

Stilistisch pendelt Gaudlitz zwischen schwarz-weißer Sachlichkeit und (bei den jüngeren Farbfoto­grafien) Inszenierung, spielt mit den Klischees russischer Kultur oder seziert das patriotische Bildvokabular nationaler Selbstdarstellung. Manchmal reicht ihm der »glückliche Moment«, etwa wenn eine blütenweiße Braut vom Bräutigam durch die knöcheltief verschlammte Straße eines Dorfs getragen wird. Welten scheinen zu liegen zwischen diesem Bild und der Farbfotografie von drei Alten in orangen Regencapes, tapfer mit roten Nelkensträußen auf einer leeren Tribüne ausharrend, und doch erzählen beide die alte, neue Geschichte von Ideal und Realität.

»Russian Times 1988–2018« ist jetzt als aufwändiger Fotoband erschienen und im September in Köln zu sehen: Im Rahmen der Ausstellungseröffnung erhält Frank Gaudlitz den mit 10.000 Euro dotierten Fotopreis der Michael Horbach Stiftung. Es ist nicht sein erster: Geboren 1958 in Vetschau, studierte er in Leipzig bei Arno Fischer und wurde für seine Langzeitprojekte in Russland, Osteuropa und Südamerika vielfach ausgezeichnet. Dass das Haus Schlangeneck parallel seine Anden-Serie »Sonnenstraße« zeigt, ist zudem einen Ausflug in die Eifel wert!

Kunsträume Michael Horbach Stiftung
Wormser Str. 23, Mi+Fr 15.30–18.30, So 11–14 Uhr
Ausstellung 1.9.–30.10., Eröffnung & Preisverleihung 1.9., 11–14 Uhr

Haus Schlangeneck
Schweizer Str. 41, 53881 Euskirchen, Eröffnung 22.9., 15 Uhr
Es erscheint eine Edition zu »Russian Times«.