»Vorbild für das, was der Kardinal will«: Streikende Frauen vor St. Agnes

Unmöglicher Spagat

Die katholische Frauenbewegung Maria 2.0 macht Konservative nervös

Sie wirken noch immer verdutzt vom eigenen Erfolg. Als die Frauen der katholischen Kirchengemeinde St. Agnes im Mai ihren Streik abhielten, als Teil der bundesweiten Bewegung Maria 2.0, bekamen sie fast nur Beifall und Zuspruch. Eine Woche lang betraten sie keine Kirche und ließen alle Ehrenämter ruhen, die Pfarrbücherei blieb geschlossen. Die Frauen wollen sich mehr Rechte in der Kirche erkämpfen, sie fordern den Zugang zu allen Ämtern, die Abschaffung des Pflichtzölibats, eine zeitgemäße Sexualmoral, ein gleichberechtigtes Miteinander von Priestern und Laien, und sie verlangen, dass in Fällen von sexueller Gewalt die Täter konsequent strafrechtlich verfolgt werden.

Nun sind die Aktivistinnen von Maria 2.0 mit ihren weißen Schals wieder auf der Straße. Nach der Menschenkette um den Dom am 22. September folgt vom 2. bis 8. Oktober eine weitere Aktionswoche. Darin feiern sie Gottesdienste ohne Kleriker und setzen ihre »Gespräche am Feuer« fort, die schon im Mai auf große Resonanz bei Passanten gestoßen war. »Viele haben uns angesprochen. Menschen, die von der Kirche enttäuscht sind«, sagt Annabel Ruth. »Manche haben auch von ihren Verletzungen erzählt, da sind Tränen geflossen auf dem Platz.« Die Sehnsucht nach Kirche sei immer noch groß, sagt auch Mechthild Glunz, die die neue Aktionswoche mit organisiert hat. »Wir treffen einen Nerv bei denen, die keine Heimat mehr in der heutigen Kirche haben. Darunter sind auch viele Männer«, so Glunz.

Das Kölner Erzbistum hält sich mit einer Bewertung von Maria 2.0 zurück. »Derzeit gibt es keine Stellungnahme«, so ein Sprecher auf Anfrage. Zuvor hatte der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki in einer Predigt seinen Unmut über den Namen der Bewegung geäußert. Die Gottesmutter werde »zur Durchsetzung kirchenpolitischer Überlegungen« missbraucht.

Andererseits blieb vielen Pfarrern und Bischöfen nicht verborgen, welche Dynamik von der Bewegung ausgeht. Der Kölner Weihbischof Rolf Steinhäuser traf sich mit Vertreterinnen von Maria 2.0 zum »Wohnzimmergespräch«, weitere Gespräche mit Klerikern sollen folgen.

»Ich freue mich doch, wenn sich Menschen zusammenfinden und gemeinsam beten«, sagt etwa der leitende Innenstadt-Pfarrer Dominik Meiering. Die Zuwendung zu Menschen, die das Vertrauen in die Kirche verloren haben, oder das Entwickeln neuer Gottesdienstformate, in denen auch Frauen predigen können — da sei er sofort dabei. »Aber wenn ultimativ gefordert wird, dass Frauen nächstes Jahr zu Priesterinnen geweiht werden, dann bringt das nicht weiter. Da muss man realistisch sein.«

Das Kölner Erzbistum wird zurzeit umstrukturiert. Kardinal Woelki hat den sogenannten pastoralen Zukunftsweg ausgerufen, mit dem eine Vision für das Bistum im Jahr 2030 entwickelt werden soll —
für »eine Kirche, die die Menschen wieder mitnimmt«. Im September veröffentlichte das Bistum die »Zielskizze 2030«. Sie sieht vor, dass Pfarreien nach wie vor von Priestern geleitet werden, Gemeinden —
also die untere Ebene — aber unter der Leitung gemischter Pastoral-Teams selbständiger agieren können. Wie Frauen aber nun konkret an Leitungsämtern beteiligt werden, blieb ausgeklammert.

Auch die Deutsche Bischofskonferenz diskutiert gerade über Reformen; Bischöfe und Laien sprechen beim »Synodalen Weg« über Macht, Sexualmoral, Zölibat und die Rolle der Frauen. Maria 2.0 beteiligt sich aber nicht an den Gesprächen — man wolle unabhängig bleiben. Im September rügte Papst Franziskus: Die deutsche Teilkirche könne solche Themen nicht im Alleingang entscheiden. Hinter diesem Rüffel vermuten nicht wenige ein Manöver des Kölner Erzbischofs. Woelki hatte seine Ablehnung der Frauenweihe Anfang September in einem Gottesdienst noch einmal wiederholt.

St. Agnes zählt zu den bundesweit aktivsten Gemeinden bei Maria 2.0, neben Frauen aus Münster, Mainz und Freiburg. In Köln sind auch Frauen der Pfarrei in Höhenberg und Vingst sowie in Brauweiler aktiv, zudem wird die Bewegung vom Katholischen Deutschen Frauenbund und der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands unterstützt. »Diese Frauen sind ein Vorbild für das, was der Kardinal will: Sie versammeln sich und leben ihren Glauben«, sagt Peter Otten, Pastoralreferent von St. Agnes. Die Frauen seien auf Transzendenzsuche, sie suchten ihre religiöse Verortung. Er habe das nicht mehr für möglich gehalten, sagt Otten. »Ich dachte, Menschen wie sie hätten mit der Kirche schon abgeschlossen, und würden eher zu Graswurzelbewegungen gehen wie Extinction Rebellion.«

Fragt man Annabel Ruth, wie sie die Erfolgsaussichten für ihre Bewegung einstuft, muss sie erst mal seufzen. »Wir haben ja schon viel erreicht«, sagt sie dann. »Wir werden nicht mehr schweigen, uns nicht mehr traurig in die Ecke verziehen.« Mechthild Glunz sagt, es gehe ihnen nicht um Spaltung. »Das liegt uns völlig fern.« Sie seien Frauen aus der Mitte der Gesellschaft, mit Berufsleben und Familie. »Nur in der Kirche müssen wir diesen permanenten Spagat machen. Den kriegen wir nicht mehr lange hin.«

Diskussion: »Maria 2.0: Frauen an die Macht — und dann?!« Mi 2.10., 19 Uhr, Karl-Rahner-Akademie