Die 25-Prozent-Mehrheit

Henriette Reker tritt bei der OB-Wahl 2020 wieder an. Konkurrenz ist nicht in Sicht

Ihr Job ist sicher. Dass die Oberbürgermeisterin im kommenden Jahr wiedergewählt wird, ist mehr als wahrscheinlich — mangels anderer aussichtsreicher Bewerbungen. Nach langem Zögern übermittelte Henriette Reker Anfang September ihre Entscheidung per Videobotschaft, die zugleich Wahlkampfauftakt war (»Es braucht ’ne Kontinuität, ich kenne die Stadt sehr gut«). Vorausgegangen waren Verhandlungen mit CDU und Grünen, deren Wähler sie 2015 ins Amt brachten. Während die CDU froh ist, eine Kandidatin zu haben, ist das grüne Lager gespalten. Die Kritik entzündet sich an Rekers allzu gemäßigtem Tempo etwa bei der Verkehrswende. Außerdem orientiere sich Reker immer stärker an der CDU. Stadtdirektor Stephan Keller (CDU) konnte sich unter Reker profilieren, den Umweltdezernenten Harald Rau, der wie kein zweiter in der Verwaltung für grüne Politik steht, pfiff sie mehrfach zurück.

Lange wurde bei den Grünen eine eigene Kandidatur diskutiert. Rau wäre jemand dafür gewesen, und die Chancen hätten so gut gestanden wie nie. Die Stichwahl ist in NRW abgeschafft, 25 Prozent der Stimmen könnten reichen.

Doch man setzt auf die Popularität Rekers und hofft, sie künftig auf mehr Engagement für grüne Themen verpflichten zu können. So müssen die Grünen eine Amtsinhaberin unterstützen, die unmittelbar nach ihrer Erklärung für einen zügigen Bau einer neuen U-Bahn auf der Ost-West-Achse plädierte. Ein Projekt, das die Grünen strikt ablehnen. Warum also sollte die grüne Basis Plakate für Reker kleben? Wie wollen sie am Stand erklären, dass die Wohnungsnot eher zunimmt und der Autoverkehr nicht zurückgedrängt wird?

Es könne nur darum gehen, bei den gleichzeitigen Wahlen zum Stadtrat ein gutes Ergebnis zu erzielen, heißt es bei Reker-Kritikern der Grünen. Allerdings könnte Reker hier noch zum Problem werden, wenn die Wähler Reker mit grüner Stadtpolitik gleichsetzen. Dennoch: Die Chancen, stärkste Fraktion zu werden, sind günstig. Doch mit wem wollte man dann eine Koalition bilden? Das bisherige Bündnis mit der CDU ist am Ende, und das Verhältnis zur SPD ist ramponiert seit 2015 Grüne, CDU und FDP die damalige Sozialdezernentin Reker aufstellten, um den »roten Filz« zu stoppen.

Von der SPD ist derzeit nichts zu erwarten. Die Partei ist tief gespalten, die Kritik an Reker wirkt schematisch, ein Gegenentwurf ist immer noch nicht zu erkennen. Mühsam versucht man, sich mit Ideen gegen die Wohnungsnot zu profilieren. Doch es gibt kein Gesicht, das man mit der Partei verbände. Von Erneuerung ist bei der SPD nach der Demission von Fraktionschef Martin Börschel, der über einen personellen Deal bei den Stadtwerken stolperte, nichts zu spüren. Nachfolger Christian Joisten war ein Kompromisskandidat; ihm gelingt es nicht, Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Ebenso wie die neue Parteichefin Christiane Jäger ist er vor allem mit internen Querelen beschäftigt. Wer kann, wer will überhaupt gegen Reker antreten?

Gehandelt wurden schon Norbert Walter-Borjans, bis 2017 NRW-Finanzminister und zuvor Wirtschaftsdezernent in Köln, sowie SPD-Gesundheitsexperte und Bundestagsfraktions-Vize Karl Lauterbach. Doch beide bewerben sich gerade auf den Vorsitz der Bundespartei, und ein Rückhalt in der zerstrittenen Kölner SPD wäre selbst ihnen nicht sicher. Jetzt ist dem Vernehmen nach Mike Homann im Gespräch, Bezirksbürgermeister von Rodenkirchen und ansonsten kommunalpolitisch unauffällig. Joisten und Jäger haben es verpasst, rechtzeitig eine Kandidatur vorzubereiten.

Auch die Linke will eine zweite Amtszeit von Reker verhindern und ein »progressives Bündnis« mit SPD und Grünen, aber auch kleinen Gruppen im Rat schmieden. Doch eine gemeinsame Gegenkandidatin zu Reker ist nicht in Sicht. Erschwerend kommt hinzu, dass SPD-Chefin Jäger nur jemanden mit SPD-Parteibuch akzeptiert. Das ist für die Linke zwar kein grundsätzliches Problem, sagt deren Parteisprecher Günter Bell. Es gebe ja Sozialdemokraten, die über die Parteigrenze hinaus als progressive Kräfte anerkannt seien. »Aber ich sehe derzeit nicht, das die SPD so jemanden aufstellt, und SPD-Funktionäre, Bundestagsabgeordnete oder auch Leute, die für die bisherige Stadtpolitik stehen, können wir nicht unterstützen.« Die Linke will nun aber weiter über Inhalte ein Bündnis für die kommende Ratsperiode schmieden. Außer der SPD sitzen noch die Piraten und Volt am Tisch. Die Grünen hatten abgesagt. »Die Tür bleibt für die Grünen aber offen«, sagt Bell.

Und die FDP? Sie schert aus dem Reker-Bündnis aus. Beim Kreisparteitag Anfang September zeigt man sich enttäuscht. »Schwarz-­Grün und die FDP, das war etwas Neues«, sagt Ratsmitglied Katja Hoyer. Aber die FDP sei von Schwarz-Grün nicht gut behandelt worden. Die FDP will sich nun auf die Wahl zum Rat der Stadt konzentrieren. Dort deutet alles auf eine Koalition von zwei der drei großen Fraktionen hin — und damit auf Stillstand: weil Rot-Grün zerstritten ist, Schwarz-Grün keine Gemeinsamkeiten mehr hat und eine »Große Koalition« das kölsche Sinnbild für Klüngel darstellt. Das Problem für Reker ist nicht die OB-Wahl, sondern der zukünftige Rat.