Lob der Neophyten

Eingewanderte Arten werden als Eindringlinge bekämpft. Das ist doch Pflanzenrassismus!

 

Sie heißen Neophyten, und sie gelten als Problem. Keine Gartensendung im Morgenprogramm kommt ohne den sorgenvollen Hinweis aus: Vorsicht vor eingeschleppten Pflanzen! Vor allem die sogenannten invasiven Arten sollen die deutsche Bodenordnung gefährden. Indisches Springkraut! Kein Bach ist mehr sicher vor dem Gewächs, das bei geringster Berührung abertausend Samen verschleudert. Mancherorts sollen schon Schüler angeheuert worden sein, um die unerwünschten Einwanderer bei Klassenausflügen niederzutrampeln.

Zusammen mit dem Riesenbärenklau aus dem Kaukasus habe das Indische Springkraut einheimische Pflanzen bereits zurückgedrängt, heißt es weiter. Und dann können die fremden Pflanzen auch für Menschen zur Plage werden! Der Riesenbärenklau kann die Haut verbrennen, und das beifußblättrige Traubenkraut aus Amerika, besser bekannt als Ambrosia, soll schwere Allergien aus­lösen. In der Schweiz liegt nun ein Gesetzentwurf vor: Wer »gebietsfremde Arten« vorsätzlich in seinem Garten wuchern lässt, kann für drei Jahre im Gefängnis landen!

In unserem Schrebergarten stand lange ein imposanter Kirschlorbeer. Das ist ein immergrüner Strauch, der auch in Neubausiedlungen sehr beliebt ist, weil er schnell wächst und einem so den Anblick des Nachbarn beim Sonnen­baden erspart. Und jetzt das: Die Bundes­regierung listet den Kirschlorbeer — er kommt aus Kleinasien — als potenziell invasiv! Es gibt Grund zur Annahme, dass er mit seinem dichten Unterwuchs heimische Arten verdrängt. In Schweizer Garten­centern soll er bald nur noch mit Warnhinweis verkauft werden. Als wir unseren Kirschlorbeer zu Jahresbeginn fällten, gab es denn auch lobende Worte vom Vereinsvorstand. Dabei wollten wir uns gar nicht der floralen Masseneinwanderung entgegenstellen, wir wollten bloß mehr Platz und Licht.

Woher kommt diese botanische Fremdenangst? Was ist falsch am lila blühenden Springkraut, dessen Samen man sogar essen kann? Warum darf der Kaktus aufs Fensterbrett, die kanadische Goldrute aber nicht in den Garten? Und wie lange muss eine fremde Pflanze hier noch wachsen, bis sie als heimisch gilt? Das wird wohl ewig dauern. Als Neophyt gilt jede Pflanze, die nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus zu uns kam.

Anne Meyer:

Anne Meyer ist Redakteurin der Stadtrevue. In der Schweiz käme sie wohl bald in Konflikt mit dem Gesetz: Die leuchtend gelben, wild in die Höhe schießenden Pflanzen in ihrem Schrebergarten hat sie neulich als kanadische Goldrute identifiziert. Höchst invasiv!