Zurück zu den Wurzeln

Stell dir vor, die Saison der Schwarzwurzel beginnt und keinen interessiert’s. Immer noch wird sie als »Spargel des kleinen Mannes« verhöhnt. Während es jahrein, jahraus von April bis Ende Juni ein maßloses Buhei um den weißen Spargel gibt, erfährt sein winterliches Pendant nur Desinteresse. Ja, ja, interessant, heißt es dann. Aber Schwarzwurzeln seien ja so furchtbar umständlich zuzubereiten. Die Generation Thermomix will offenbar nur noch Chipkarten einlesen lassen, statt sich die Hände auch mal schmutzig zu machen. Ja, man kann Haushaltshandschuhe benutzen, damit der klebrige Saft beim Schälen nicht die Hände verfärbt. Aber, liebe Güte noch mal! Wie umständlich ist denn das Schälen des Spargels, und wie oft ist er trotzdem noch holzig?

Wichtig ist bei der Schwarzwurzel bloß, sie nach dem Schälen in einen Blanc aus Wasser, Essig, Weißwein und etwas Mehl zu geben, damit sie sich nicht verfärbt. In der Flüssigkeit kann man sie dann auch gleich garen – wie praktisch. Wo ist das Problem?

In vielen Rezeptbüchern ist die Schwarzwurzel nur pflichtschuldig registriert. Dort liest man dann Sätze wie »Zubereitung, siehe Spargel«. Das ist ignorant. Doch stimmt es in einer Hinsicht: Denn all das, was mit dem Spargel angestellt wird, obwohl es falsch ist — mit dicken Soßen servieren, braten, panieren — das verträgt die Schwarzwurzel ganz gut. Während der sonst geschmackssichere Wolfram Siebeck der Schwarzwurzel das Format für die Hochküche absprach, hat sich der Frankfurter Koch, Adorno-Schüler und Häuserkämpfer Klaus Trebes für sie eingesetzt und auch noch mal den fränkischen Storzenärla-Salat ins Bewusstsein gerufen: Schwarzwurzeln, durch eine Vinaigrette aus Weißwein und Weißweinessig gezogen und mit Schnittlauch obenauf. Damals, als Linke noch Fleisch aßen, gab es bei Trebes Kalbsschnitzel dazu.

Aber die Schwarzwurzel taugt auch zu gewagteren Kombinationen, etwa gebraten mit Ziegenkäse oder Austernpilzen. Auch Pairings mit saisonalen Zeitgenossen sind denkbar, Pilze etwa oder Nüsse — und warum nicht Wintertrüffel? Das Zusammenspiel mit der Quitte ist raffiniert: Da finden dann zwei Marginalisierte aus den Segmenten Gemüse und Obst zusammen. Als verbindendes Drittes zwischen deren Aromen passte die morbide Süße von Wild — aber das muss ja nicht sein. Man kann Schwarzwurzel mit Quitte oder auch Birne ebenso gut in einer Suppe schlüssig zusammenbringen oder als Püree.

Bernd Wilberg ist Redakteur der Stadtrevue. Bei seiner ersten Begegnung mit Schwarzwurzeln faszinierte ihn der Gedanke, dass irgend jemand zum ersten Mal auf die Idee verfallen sein musste, das unansehnliche Gemüse auf seine Verzehrtauglichkeit hin zu prüfen