Film ohne Männer: Regisseurin Céline Sciamma

»Die Blicke müssen tanzen«

Die Regisseurin Céline Sciamma hat mit »Porträt einer jungen Frau in Flammen« einen feministischen Historienfilm gedreht

Frau Sciamma, Ihre ersten drei Spielfilme — »Water Lilies«, »Tomboy« und »Mädchenbande« — spielen in der Gegenwart, nun gehen Sie mit Ihrem neuen Film 250 Jahre in die Vergangenheit zurück. Warum?

Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen wollte ich über Kunst und Gemälde sprechen. Wenn man sich diese Periode anschaut, dann gab es bestimmt hundert Malerinnen, die erfolgreich waren. Doch in der Kunstgeschichte finden sie nicht statt. Diese Tatsache gab dann den Zeitrahmen vor. Ich habe bei dem Film auch nicht an das Genre Historienfilm gedacht, das ich respektieren sollte. Auch ein Genrefilm ist immer Kino. Man zeigt eine Haltung. Für mich fühlte es sich nicht so an, als entfernte ich mich von meiner früheren Arbeit. Es war wie immer: Man muss jedes Kostüm auswählen, man muss Entscheidungen über das Szenenbild treffen. Bei meinem neuen Film hat das vielleicht mehr Geld gekostet, aber nicht sehr viel mehr. Für mich war es derselbe Job, aber in einem größeren Maßstab. Es gab aber keinen Druck. Es hat einfach Spaß gemacht.

Was sind dann die Herausforderungen, wenn man eine Ära wiederaufleben lässt, die so lange zurückliegt?

Man muss viel recherchieren, besonders was die Situation der Künstlerinnen angeht. Man muss da wirklich forschen, weil das eine dicke Buch darüber noch nicht geschrieben ist. Die andere Herausforderung ist die Zusammenarbeit mit dem Team. Das ist die Schönheit des Kinos. Die Kostümdesignerin recherchiert über jene Zeit und natürlich auch der Szenenbildner. Mein Szenenbildner schlägt immer etwas vor, das dann in den Film einfließt. Doch manchmal ist die Überlegung auch interessant, was man nicht mit ins Bild nimmt. Zum Beispiel gibt es in meinem Film kaum Möbel. Die wenigen Stücke haben wir selbst gebaut, aus Holz, mit Baumwolle. Es ging uns mehr darum, ans Kino zu glauben, an klare Linien als an Authentizität.

Können Sie die Zusammenarbeit mit Kostümdesignerin und Szenenbildner genauer beschreiben?

Da gab es eine sehr enge Abstimmung. Ich wollte zum Beispiel für die Figuren so etwas wie eine Uniform. Wir haben uns dann zahlreiche Kostüme angeschaut. Sie durften nicht aus Seide sein, eher schwere Stoffe, die die Schauspielerinnen einengen, in ihre Rolle zwingen. Ich wollte auch, dass die Kostüme der Malerin Marianne Taschen haben, auch wenn mir gesagt wurde, das passe nicht in die Zeit. Mir gefiel die Idee dieser akkuraten Silhouette. Das ist der Job, den wir machen: Wir versuchen, den Frauen von damals ihre Gegenwart zurückzugeben.

Teil der Sehnsucht, diesen Film zu machen, war, wieder mit Adèle Haenel zu arbeiten, die das Modell spielt.

»Water Lilies« war unser gemeinsames Filmdebüt, uns verbindet also eine lange Beziehung. Ich wollte von ihr Seiten zeigen, die noch nicht zu sehen waren. Die andere große Sehnsucht war, beim Dreh des Films jemanden zu treffen, den ich bislang noch nicht kannte. Das Modell — das kenne ich sehr gut. Aber die Malerin — die musste ich mir noch anschauen. Noéme Merlant kam sehr früh im Casting-Prozess dazu. Sie war sehr bemerkenswert. Das Vorlesen war sehr spielerisch. Als sie dann mit Adèle im selben Bild war, war die Entscheidung gefallen. Da war dieser große physische Kontrast, diese Dynamik, nach der ich suchte. Sie bilden ein sehr kinogerechtes Duo, körperlich, aber auch psychisch. Sie sind beide sehr starke, sehr intensive, entschlossene und mutige Schau­spielerinnen.

Zwischen den Schauspielerinnen gibt es kurze und lange Blicke, schüchterne und neugierige. Wie haben Sie dieses Ballett der Blicke konzipiert?

Das stand schon so im Drehbuch, vor allem der Rhythmus der Blicke, wann sie einander anschauen. Das haben die Schauspielerinnen sehr genau gewusst. Es geht mir dabei nicht darum, ihnen vorzuschreiben, was sie tun müssen. Es ist nur ein Weg, an diesem Punkt die Konversation zu beginnen, ihre Bindung zu zeigen oder ihre Absichten kundzutun. Sie müssen tatsächlich »tanzen«. Ich selbst nenne es eine Kollektion von Blicken. Wie Sie schon sagten: Die Blickregie ändert sich mit jeder Szene.

Auf der Insel, auf der ihr Film spielt, leben nur Frauen …

Nein, wir zeigen nur die Männer nicht. (lacht)

Die Insel erscheint darum wie ein Refugium oder sogar ein Utopia.

Ja, das stimmt. Im Kino geht es um die Entscheidung, was im Bild zu sehen ist. Ich wollte keine Männer zeigen, weil es sonst auch um den Druck und die Dominanz gegangen wäre. Wir schauen jetzt auf das, was möglich ist, auf das Potenzial der Frauen. Ein politisches Utopia? Es muss einen Platz geben, wo es keinen Sexismus und keinen Rassismus gibt, wo die Ökonomie nicht alles bestimmt. Diese Plätze gibt es auch, in Familien, Gemeinschaften, vielleicht in einer Stadt. Diese Kultur muss wachsen.

Céline Sciamma

Celine Sciamma (*1978) studierte Französische Literatur an der Universität von Paris/Nanterre und Film mit Schwerpunkt Drehbuch an der Filmschule La Fémis. Ihr Langfilmdebüt »Water Lilies« (2007) wurde auf zahlreichen Festivals ausgezeichnet. Ihr zweiter Film »Tomboy« (2011) war Eröffnungsfilm des Panorama der Berlinale, es folgte »Mädchenbande« (2014), das Porträt einer Teenagerclique aus einer Pariser Banlieue. Mit André Téchiné schrieb sie das Drehbuch des Coming-of-Age-Dramas »Mit siebzehn« (2016), für den Stop-Motion-Animationsfilms »Mein Leben als Zucchini« (2016) adaptierte sie den gleichnamigen Roman von Gilles Paris. »Porträt einer jungen Frau in Flammen« lief im Wettbewerb des Filmfestspiele von Cannes und gewann eine Palme für das beste Drehbuch.